Rezension zu "Wladimir" von Stanislaw Belkowski
Wenn man sich dieses Buch erst einmal nur ansieht, dann bekommt man leider ein völlig falsches Bild von seinem möglichen Inhalt. Man kann sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass manche Leute im Redline-Verlag gar nicht wissen, was in diesem Buch steht und bei der Aufmachung einfach der in den westlichen Mainstream-Medien aufgebauten und gepflegten Mystifizierung von Putin gefolgt sind. Auf dem Cover wird der russische Präsident verfremdet und extrem unsympathisch dargestellt. Und auf der Rückseite des Buchdeckels steht der übliche Blödsinn vom russischen Tyrannen.
Doch im Text bemüht sich der Autor um ein ganz anderes Putin-Bild. Obwohl es sich dabei meistens um Spekulationen handelt, kommt er wahrscheinlich der Wahrheit viel näher als manch anderer. Fast alle im Westen veröffentlichten Bücher über Wladimir Putin wurden von seinen Feinden verfasst. In ihnen vermischen sich daher oft ideologische Verzerrungen, persönliche Rachsucht oder Frustration sowie mangelnde Distanz mit der Unfähigkeit zu einer kühlen politischen Analyse. Und natürlich bedienen diese Bücher auch ein Bild über Putin, das in die merkwürdige und nicht besonders kluge Strategie passt, Russland in die Enge zu treiben. Man kann diese vor allem nicht im deutschen Interesse stehende Politik nur begreifen, wenn man die Angst der USA vor einem konfliktfreien und aufstrebenden eurasischem Wirtschaftsraum in die Betrachtungsweise miteinbezieht.
Natürlich ist Putin kein "lupenreiner Demokrat" wie sein Freund Schröder meint. Das war auch nie seine Rolle. Eher zufällig ins Spiel gekommen, sollte er zu Beginn seiner ersten Amtszeit die Jelzin-Oligarchie retten. Im Gegensatz zur im Westen herrschenden Meinung war er dabei äußerst erfolgreich. Bis auf die Kaltstellung des einstigen Oligarchen Chodorkowski, der Putin aus verschiedenen Gründen in die Quere kam, behielten fast alle diese Leute, die es innerhalb kürzester Zeit von sowjetischen Habenichtsen zu Dollar-Multimilliardären gebracht hatten, ihr zu großen Teilen ins Ausland geschafftes und kriminell erzieltes Vermögen. Die Ausplünderung Russlands wurde unter Putin ungehemmt fortgesetzt und ausgedehnt.
Erst ganz am Ende des Buches geht der Autor darauf ein, was für Russland unter Putin charakteristisch ist und das Wesen seiner Herrschaft ausmacht. Er bezeichnet die russische Volkswirtschaft als eine Chaljawa-Wirtschaft. Ein Russe würde das sofort verstehen, weil er nichts anderes kennt, ein Mitteleuropäer dagegen wohl erst, wenn er es selbst erleben würde. Der Begriff hat etwas mit der russischen Märchenwelt zu tun und entspricht wohl im Deutschen einer Mischung von "Tischlein-deck-dich!", dem berühmten Goldesel und (nicht zu vergessen) dem "Knüppel-aus-dem-Sack", der gelegentlich eingesetzt wird, wenn einem die ersten beiden Wunderdinge abspenstig gemacht werden sollen.
Der Autor beschreibt das so: "In der Oeconomia putina ist man gewohnt, ein Ergebnis ohne reale geistige oder physische Anstrengungen zu erreichen. ... Die Oeconomia putina erschafft nichts, sondern verteilt. Die unerschöpfliche Quelle der zu verteilenden Güter ist der russische Staat. Der Gegenstand der Bemühungen der Oeconomia putina ist die Verwertung des Erbes der UdSSR, denn nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist auf russischem Territorium in Wirtschaft, Infrastruktur, Wissenschaft oder Technik nichts Wesentliches geschaffen worden."
Das ist die für das russische Volk bittere Wahrheit und das Wesen von Putins Herrschaft. Russland ist ein von seinen Rohstoffexporten völlig abhängiges und ausgeplündertes Land. Sinkt der Ölpreis, dann droht sehr schnell der ökonomische Kollaps. Russland ist nicht einmal mehr in der Lage, seine Armee mit eigener Waffentechnologie in ausreichender Menge und Qualität zu versorgen. Der im Westen aufgebaute Popanz der einstigen militärischen Weltmacht erweist sich beim näheren Hinsehen als völlig hohl.
Da es in Russland keine demokratischen Traditionen gibt, geht es auch der sogenannten Opposition nicht etwa darum, das Land auf einen vernünftigen Weg zurückzubringen, sondern nur um den eigenen Weg zu den Fleischtöpfen. Jedenfalls behauptet dies der Autor als Insider. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das stimmt.
Auch die Putin angelasteten politischen Morde kommen im Buch zur Sprache. Zu seiner Verteidigung sprach Putin einmal davon, dass diese Morde ihm mehr geschadet als genutzt hätten. Der Autor zeigt, dass Putin mit den ihm gerne untergeschobenen Taten wohl kaum etwas zu tun hat und erklärt die wahrscheinlicheren Zusammenhänge.
Leider spielen wirtschaftliche Fragen erst am Ende des Buches eine bestimmende Rolle. Stattdessen legt der Autor Putin vorher gewissermaßen auf die Psychologen-Couch, um all die Mythen über ihn, die man im Westen so gerne hört, auseinanderzunehmen. Die meisten seiner Argumentationsketten sind gedanklich durchaus nachvollziehbar und klingen logisch und fast zwingend. Ob sie auch tatsächlich stimmen, ist eine andere Frage, die sich für den Leser nicht abschließend klären lässt. Sie erscheinen jedoch wesentlich glaubwürdiger zu sein als alles, was man andauernd über Putin in westlichen Veröffentlichungen lesen muss.
Allerdings besitzt dieses Buch einige erhebliche Schwächen. Da wäre zunächst der selbstgefällige und flapsige Stil des Autors, der mit Putin betont abschätzig umgeht und ihn nicht selten wie einen Trottel darstellt. Belkowski spricht in diesem Zusammenhang gerne von "unserem Helden". Darüber hinaus vermengt er eigene Ansichten, Gerüchte und Erzählungen anderer mit Tatsachen ohne darauf wirklich immer hinzuweisen. An manchen Stellen macht er es weniger gut vorinformierten Lesern schwer, ihm folgen zu können, weil er Kenntnisse voraussetzt, die diese nicht haben können. Mir hätte es auch besser gefallen, wenn Belkowski seine eigenen nicht besonders kleinen Eitelkeiten für sich behalten und sachlicher an die Dinge herangegangen wäre.
Dessen ungeachtet liegt hier dem deutschen Leser ein Buch über Putin vor, das der Wirklichkeit und den eigentlichen Motiven der Putinschen Politik wohl viel näher kommt als die hierzulande sonst üblicherweise verbreiteten Propagandaklischees. Und das alleine macht es trotz all seiner Schwächen zu einer interessanten Lektüre.