Rezension zu "Goethestraße 23" von Stefan G. Henzmann
Nach den steigenden Flüchtlingszahlen 2015 wurde viel diskutiert. Wem sollte Asyl gewährt werden? Was sollte mit den vielen neuen Menschen im Land passieren? Wo würden sie wohnen, leben, arbeiten?
Auf die ersten beiden Fragen gäbe es wahrscheinlich genauso viele Antworten wie Befragte. Die letzte Frage wird im fiktionalen Werk „Goethestraße 23“ von Stefan G. Henzmann beantwortet. Dort sollen nämlich Geflüchtete in der Dachgeschoßwohnung untergebracht werden. Natürlich sorgt das gerade bei den alteingesessenen Hausbewohnern für Sorgen und im Laufe des Buches für eine Menge Chaos.
Die Geschichte aus dem 4.0 Verlag basiert zumindest was die Erzählungen der Geflüchteten angeht auf wahren Begebenheiten. Auch prinzipiell schafft Herr Henzmann es viele reale politische Ereignisse in seine fiktive Welt einzubinden. So sorgen auch in der Goethestraße die Worte „Wir schaffen das“ von Frau Merkel oder die Geschehnisse in Chemnitz für Diskussion.
Der Schreibstil ist sehr angenehm und besonders zum Ende wird es auch noch ziemlich spannend. Der Anfang plätschert eher dahin, ohne jedoch langweilig zu werden.
Es wird ausschließlich aus der Perspektive der deutschen Bewohner erzählt und trotzdem mit viel Fingerspitzengefühl auf das Schicksal der Geflüchteten eingegangen. Aus den abstrakten Zahlen der politischen Debatten werden auf einmal Menschen mit Namen, einem Charakter, einer Vergangenheit und einer möglichen Zukunft in Deutschland. Aus über 44.000 Geflüchteten aus Syrien zwischen 2014 und dem Juli 2019 (Quelle: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/flucht/265710/demografie) werden Buschar, Alia und ihr neunjähriger Sohn Enis.
Es werden Vorurteile behandelt, Klischees aufgeworfen und kritisch hinterfragt, wie nah diese eigentlich an der Realität sind. Statt von oben herab zu predigen, lässt die Geschichte den Leser selbst ein Urteil und mögliche Konsequenzen fällen.
Durch die vielen Perspektivwechsel fängt man an die eigene Sicht zu hinterfragen und dem Gelesenen kritisch gegenüber zu stehen. Es ist eben nichts schwarz und weiß, richtig oder falsch bei so einem komplexen Thema. Trotzdem setzt sich das Ganze zu einem schlüssigen Gesamtwerk zusammen.
Außerdem muss ich sagen, dass ich keinen der Charaktere wirklich sympathisch find, was diesen Blick von außen nur verstärkt. Der Autor schafft es für den Leser einen gewissen Abstand zum Erzählten herzustellen, trotz des personalen Erzählers.
Fazit: Eine realitätsnahe Geschichte, die bei dem ganzen Populismus erfreulich bodenständig und sachlich bleibt.