Cover des Buches Suicide (ISBN: 9783735757036)
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Rezension zu Suicide von Stefan Lange

Eine schonungslos offene, romanhafte Biografie über die dunkle Zeit eines Lebens.

von Sunreading vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Biografischer Lebensteil: von manisch glücklich bis selbstzerstörerisch depressiv; authentisch und schonungslos – inklusive gutem Ausgang

Rezension

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Sunreadingvor 9 Jahren

„Jedes normale Kind, welches das Licht der Welt erblickt, ist ein extrem abhängiger Mensch, angewiesen auf die Zuwendung, Fürsorge und Geborgenheit der Eltern. Es will wertfrei für das Sein geliebt und akzeptiert werden.“
„Die Gefühle meiner Kindheit waren (jedoch) Angst, Haß und Kälte. Noch Jahre später war ich nicht in der Lage, positive Gefühle in mir zu finden …“
„ … in meinem Leben war ich im Kreis gelaufen; zugegeben, er hatte einen großen Radius, doch am Ende der letzten Beziehung hatte ich alle Fehler wiederholt, nur gewaltiger und absurder als jemals zuvor.“

Trotz einer schwierigen Kindheit sieht es aus, als wären die Weichen für ein gutes Leben gestellt: Nach dem erfolgreichen Abschluss von Schule, Ausbildung und Studium, reist Stefan Lange im Alter von Ende 20 nach Sevilla, um dort für drei Monate Wirtschaftsspanisch zu lernen. Neben seiner Liebe zu Spanien entfacht in der schönen Stadt sein Herz jedoch auch für eine Frau – Susanne. Er glaubt an die große Liebe, vertraut ihren Versprechungen; später weigert er sich, sie wieder aufzugeben und versinkt immer tiefer in seinem erneut aufgebrochenen Kindheitstrauma: Alles, nur keine Trennung …

„Was hatte das Leben mit mir vor? Wieviele Enttäuschungen hielt ein Mensch eigentlich aus? Wann wäre die Grenze der Belastbarkeit erreicht, wenn ich ständig von einer Niederlage zur nächsten stolperte? Was machte ich falsch im Leben, oder war ich selbst sogar falsch? War die Zeit der glücklichen Stunden, in denen man Luft für den nächsten Tiefschlag holen konnte, nicht etwas zu knapp bemessen?“


„Suicide“ ist in zwei Abschnitte unterteilt. Teil I (etwa 85% der Biografie) beschäftigt sich mit der Zeit 1994/95; mit dem schönen und später sehr depressiven Leben des Autors, seinen Suizidversuchen sowie einer kurzen Spanne darauf. Dieser Teil hat seinen schriftstellerischen Ursprung sehr nah während des Geschehens selbst (entspricht auch den alten Rechtschreibregeln) und nimmt einen mit in die dunkelsten Strudel der Selbstzerstörung. Dem zweiten Teil, der sich vor allem mit einer kurzen Reflexion der Zeit „danach“ befasst, merkt man sehr stark den zeitlichen Abstand zum Geschehen und der zwischenzeitlich stattgefundenen Therapien an. Dieser kürzere Part enthält wertvolle Schlussfolgerungen und Erkenntnisse in Bezug auf die Verhaltensentwicklungen, deren Wurzeln bereits in der Kindheit ausgebildet wurden, bis hin zum Suizid-Versuch selbst und dem Weg aus der Dunkelheit wieder ins Leben zurück. Die Abschnitte haben sich von meinem Leseempfinden her streckenweise so stark unterschieden (wahrscheinlich der Weiterentwicklung des Autors geschuldet), waren so sehr abgeklärt und psychologisch, dass ich mich zwischenzeitlich fragte, wohin der Stefan aus Teil I verschwunden ist; ein großer Schritt in Richtung Leben …

Meine Meinung zum Buch:

Man sollte sich von dem schönen, aber (meiner Meinung nach) zu sehr zu einem fiktiven Roman passenden Cover nicht ablenken lassen. Zwar werden hier streckenweise romanartige Elemente, wie aktive Dialoge als Erzählform verwendet, dennoch legt der Autor hier vielmehr in einer Art Tagebuchform die dunkelste Zeit seines Lebens offen.
„Suicide“ liest sich wie ein aufziehendes Unwetter. Zuerst noch sehr schön und den Umständen entsprechend positiv, dann wird der Lebens-Himmel langsam grauer und wolkiger, bis sich bedrohliche Quellwolken auftürmen und sich schließlich alles in einem grausamen Zusammenprall entläd. Erst im zweiten Teil kommen zum Glück wieder einige Sonnenstrahlen zum Vorschein.

Wer „Suicide“ in die Hände nimmt und zu lesen beginnt, sollte sich von vornherein darauf einstellen, im Verlaufe des Lesens in einen tiefen Strudel der Depressionen hineingezogen zu werden. Und zwar schonungslos und ohne Atempause zwischendurch.
Sehr empathische und/oder Lebens-Bejahende Leser werden sich ab einem bestimmten Zeitpunkt wahrscheinlich wünschen, sie mögen endlich wieder aus der Schwärze des Seelenlebens des Autors auftauchen dürfen, um Luft zu bekommen. Doch es sollte genug Kraft und Interesse vorhanden sein, zuvor auch das tiefste Tal der Selbstzerstörung gemeinsam mit ihm zu durchschreiten, bevor es zum Schluss wieder langsam bergauf geht.

Ich selbst empfand dieses Buch in zweierlei Weise sehr lehrreich: Zum einen bietet diese intensive Darstellung eines schwer depressiven Inneren einen hervorragenden Maßstab, an dem man seine eigene Stellung zum Leben ermessen kann. (Bis zu welchem Punkt kennt man die im Buch beschriebenen Gedankengänge und Erleben an sich selbst? Ab welchem Zeitpunkt fängt eine innere Rebellion gegen das Gelesene an? Ab wann möchte man am liebsten aussteigen?)
Zum anderen bietet Stefan Lange auch für Angehörige und Freunde von Betroffenen neben einem tiefen Einblick in die innere Welt eines Depressiven so einige wertvolle Hinweise an, welche gut gemeinten Ratschläge und Handlungen eher konstruktiv und welche vertiefend destruktiv wirken können.
Auch habe ich sehr viele wahre und lehrreiche Sätze und Erkenntnisse aus dem zweiten Abschnitt als wertvoll für mich mitnehmen können.

Zwei meiner Lieblingszitate:
„Um einen Weg durch das Leben zu finden, braucht es Mut und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Vor allem aber braucht jedes gesunde Leben ein Ziel.“
„Wenn die letzte Beziehung wenig mit Liebe gemein hatte, was ist dann die wahre Liebe? Die Liebe hat etwas mit Respekt, Fürsorge und Vertrauen zu tun und ist ein Miteinander. Sie ist immer bedingungslos und akzeptiert, statt nach Veränderung eines Menschen zu verlangen. Das Geheimnis mag darin liegen, daß sich zwei Menschen binden, aber dennoch zwei unabhängige Personen bleiben, und das verlangt nach reifen und selbstdefinierten Menschen, die Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben und ihr Sein vor dem anderen vertreten können.“

Meine absolute Leseempfehlung für alle, die sich (ob aus Betroffenen-, Angehörigen-, oder Therapeutensicht) mit Depressionen und Suizid auseinandersetzen möchten. Für alle, die sich trauen, mehr zu lesen, als die rosarote Harmonie des Lebens. Inklusive toller Einsichten am Schluss ...

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