Stefanie Schaffer-de Vries

 3,9 Sterne bei 53 Bewertungen

Lebenslauf

Jeanette Winterson, 1959 in Manchester geboren und in Lancashire bei evangelikalen Adoptiveltern aufgewachsen, veröffentlichte mit fünfundzwanzig Jahren ihren preisgekrönten Debütroman »Orangen sind nicht die einzige Frucht«. Es folgten zahlreiche weitere Bücher, mit denen sie zu einer der angesehensten Autorinnen Großbritanniens avancierte. Sie ist mit zwei Romanen auf der Liste der »100 Greatest British Novels« vertreten und wurde 2006 von der Queen zum Officer und 2018 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. 2019 wurde »Frankissstein« für den Booker Prize nominiert. Jeanette Winterson schreibt regelmäßig für den Guardian und lebt in den Cotswolds und in London.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Stefanie Schaffer-de Vries

Keinen Eintrag gefunden.

Neue Rezensionen zu Stefanie Schaffer-de Vries

Cover des Buches Die Abtrünnigen (ISBN: 9783328602613)
B

Rezension zu "Die Abtrünnigen" von Abdulrazak Gurnah

BettinaR87
Unwahrscheinlichkeit der Liebe

Sansibar: Ein verletzter Mann taucht auf und bringt die kleine Nachbarschaft, in der der Krämer Hassanali mit seiner Schwester Rehana lebt, in große Unruhe. Der Verletzte entpuppt sich als Europäer und damit erst einmal als Risiko für Hassanalis Familie – in Kolonialzeiten wird mit Vorwürfen wie Raub aufseiten der Kolonialmächte sehr schnell um sich geworfen und damit das Leben einfacher Menschen nachhaltig mit einem unbedachten Wort zerstört.

Tatsächlich aber ist der Engländer ein Orientalist, spricht zumindest Arabisch und kommt nach seiner Genesung zu Hassanali, um ihm zu danken. Dabei lernt er indirekt Rehana kennen und am Ende ist es vermutlich ein kleines, unscheinbares Notizbuch, das die beiden ursprünglich Liebenden in Sansibar zusammen führt – und die Basis für eine weitere Liebesgeschichte zweier abtrünniger Seelen im gleichen Viertel in den 50er Jahren legt.

Der Leseeindruck

Die Geschichte, die eigentlich erzählt werden soll, findet wirklich sehr indirekt und wahnsinnig unaufgeregt statt. Der Autor macht allein schon aus der Chronologie der Ereignisse/Familie ein Statement: Alles beginnt bei den Großeltern, die von den Auswirkungen ihrer Handlungen – im Gegensatz zu uns – natürlich nichts wissen können. Wir, in unserem Wissen, sehen also zu, wie die Basis für die Gegenwart/eigentliche Geschichte gelegt wird. Das schürt eine gewisse Erwartungshaltung, die durch den Klappentext stark befeuert wird.

Alle Beteiligten erhalten nacheinander ein eigenes Kapitel, in dem genau ihre sehr pointierte Sicht der Dinge dargelegt wird. Dabei kommt natürlich auch die Haltung der kolonialistischen Mächte zur Sprache und auch wenn es in dem Fall um einen maximal arroganten und rassistischen Engländer geht, muss sich niemand der Illusion hingeben, dass der nicht als Beispiel für alle anderen Kolonialmächte intendiert wurde. Er wird entsprechend vorgeführt, ohne jedes Erbarmen: Es gibt keine dezenten Andeutungen, die die Leser:innen entschlüsseln müssen – der Autor spricht ohne Umschweife und sehr direkt. Die Charaktere werden sehr genau beschrieben, sodass man sie sich gut vorstellen kann. Was leider ein wenig ziellos bleibt, denn nachdem man sich an sie gewöhnt hat, verschwinden sie direkt wieder aus dem Fokus.

Entsprechend der erwähnten starren Chronologie und dem wechselnden Fokus auf alle einzelnen Charaktere dauert es übrigens bis zur Mitte des Buchs, bis die eigentlichen Hauptpersonen auftauchen: Man sollte sich also beim Klappentext nicht direkt auf ein Feuerwerk der Liebe vorbereiten. Das indes wird an einer Stelle sogar richtiggehend übersprungen: Der Autor verfasst ein Zwischenkapitel in der ich-Perspektive, das denkbar schwammig bleibt.

Was davon wiederum bleibt? Eine eigenwillige Geschichte, die nur in kleinen Teilen zur Unterhaltung geschrieben wurde und in großen einfach um des Erzählens willen. Wer möchte, kann eintauchen in verschiedenste Gedankenwelten und lernt die Charaktere kennen, als wären sie die eigenen Nachbarn. Klassische Strukturen, wie etwa groß angelegte Spannungsbögen, finden sich eher nicht, dafür ist auch die Sprache zu neutral, zu beobachtend.

Cover des Buches Die Abtrünnigen (ISBN: 9783328602613)
Irisblatts avatar

Rezension zu "Die Abtrünnigen" von Abdulrazak Gurnah

Irisblatt
Komplex, traurig, menschlich und lebendig erzählt

Der Roman „Die Abtrünnigen“ stellt zwei gesellschaftlich inakzeptable Liebesgeschichten in den Fokus, die Leid verursachen und alle Beteiligten vor schwierige Entscheidungen stellen. 


In drei Teile gegliedert, umfasst Gurnahs Roman einen zeitlichen Rahmen von etwa 1890, über die 1950er und 1960er Jahre bis in das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts hinein. 


Hassanali, der mit seiner Frau und seiner Schwester Rehana in einer kleinen Stadt in Ostafrika lebt, findet im Morgengrauen nahe der Moschee einen völlig entkräfteten Mann. Er nimmt ihn bei sich auf, lässt eine Heilerin und den lokalen Experten für Knochenbrüche kommen und kümmert sich um ihn. Wie sich herausstellt, handelt es sich um den englischen Forschungsreisenden Martin Pearce. Pearce Charakter wird in starkem Kontrast zu anderen Angehörigen der Kolonialmacht gezeichnet, hat er doch ein echtes Interesse an Land und Leuten, spricht die Landessprache. 


Nach seiner vollständigen Genesung sucht Martin Pearce Hassanalis Familie auf, um sich für seine Rettung zu bedanken. Der gastfreundliche Hassanali lädt ihn zum Essen ein; Rehana und Martin verlieben sich.


Der zweite Teil beginnt in den 1950er Jahren. Wir lernen dort Jamila, Rehanas Enkelin, und drei Geschwister einer muslimischen Familie kennen: Amin, Rashid und Farida, die alle drei unterschiedliche Wege gehen. Der junge Amin verliebt sich in die geschiedene, einige Jahre ältere Jamila mit zweifelhaften Ruf. Sein Bruder Rashid, der etwa zur selben Zeit zum Studieren nach England aufbricht und dort als Professor sesshaft werden wird, merkt irgendwann wie sehr ihn die Geschichte von seinem Bruder Amin und Jamila auch nach Jahrzehnten noch beschäftigt. Er, der in gewisser Weise selbst ein Abtrünniger ist, weil er seine Heimat verließ, legt rückblickend die Verbindungen offen und erzählt uns die Geschichte von Rehana und Martin sowie Jamila und Amin. Beide Paare versuchten eine Liebe zu leben, die den gesellschaftlichen Normen zuwiderlief - waren also ebenfalls „Abtrünnige“.


Gurnah nimmt sich Zeit. Er widmet den wichtigsten Protagonist*innen einzelne Kapitel, in denen die jeweiligen Lebensumstände und Perspektiven deutlich werden. 


Ich mag Gurnahs Schreibstil sehr. Ob er das Getümmel in der Altstadt, Hassanalis kleinen Laden mit seiner Kundschaft, den Innenhof der Familie mit seinen Kochstellen, den überheblichen, rassistischen Kolonialbeamten, der glaubt, Martin vor Hassanalis Familie retten zu müssen, das Elternhaus von Rashid, Farida und Amin, Spaziergänge am Meer entlang und in der Stadt oder auch Rashids Erlebnisse im fremden England beschreibt, immer vermitteln diese Szenen bildhaft ein Gespür für die Lebensverhältnisse vor Ort und den Alltag der Menschen. Beim Lesen sehe ich Bilder wie in einem Film und kann dadurch sehr gut in die beschriebenen Welten eintauchen.


Ich schätze Gurnahs präzise Beobachtungsgabe, mag die fremdsprachigen Begriffe, die in den Text einfließen. Elegant und beiläufig, aber trotzdem eindringlich und niemals wertend zeigt er neben den menschlichen Aspekten immer auch die politische Situation, beschreibt Unruhen und Konflikte und macht die Folgen der Kolonialisierung für die Menschen sichtbar.


„Die Abtrünnigen“ ist nach „Nachleben“ der zweite Roman, den ich von Gurnah lese und mit Sicherheit nicht mein letzter. Gurnah könnte sogar ein neuer Lieblingsautor werden. Er öffnet Fenster in fremde Welten und ich beende die Lektüre mit dem zufriedenen Gefühl, nicht nur bewegende, authentische Geschichten erzählt bekommen zu haben, sondern auch Neues über koloniale Verstrickungen und die Bevölkerung mit ihren unterschiedlichen kulturellen Wurzeln in Ostafrika erfahren zu haben.

Cover des Buches Die Abtrünnigen (ISBN: 9783328602613)
lesehorizonts avatar

Rezension zu "Die Abtrünnigen" von Abdulrazak Gurnah

lesehorizont
Weitreichende Folgen des Kolonialismus

Der in Sansibar gebürtige Schriftsteller Abdulrazak Gurnah wurde für sein Werk 2021 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Seitdem werden seine Werke auch von der deutschen Leserschaft vermehrt wahrgenommen und man man darf sicher sagen, dass Gurnah eine wichtige literarische Stimme im sogenannten postkolonialen DIskurs darstellt. Ohne zu moralisieren, zeigt Gurnah schonungslos auf, welche Folgen der Kolonialismus in Ostafrika hatte: Mit viel Feingefühl erzählt Gurnah eindrucksvoll von der Entwicklung des Kolonialismus in Ostafrika sowie dessen weitreichende Folgen, die selbst in die kleinsten Mikroräume einer Gesellschaft hineinwirken: den Familien. Missstände werden dabei sehr umsichtig und beinahe wertfrei aufgezeigt. Gurnahs Stimme ist "leise" und subtil, dadurch aber auch umso eindrücklicher und wirkungsvoll. Mitunter braucht es seine Zeit, hinter vermeintlichen Beschreibungen des bunten Alltagslebens in Tansania sowie den erzählten Einzelschicksalen seine eigentliche schriftstellerische Motivation zu erkennen. Doch am Ende der Lektüre der beiden Romane, die ich bislang aus Gurnahs Feder las, standen neue Erkenntnisse über ein Thema, das immernoch viel zu wenig offen debattiert wird: Der Kolonialismus ist nicht vergangen, er wirkt bis heute fort. 

In "Die Abtrünnigen" erzählt Gurnah von verschiedenen Schicksalen, die auf die ein oder andere Art alle Entwurzelungserfahrungen machen. Die Handlung beginnt damit, dass Kaufmann Hassanali einen Fremden mit heimbringt, um ihn gesund zu pflegen. Es handelt sich um den britischen Orientalisten Martin Pearce. Dieser kommt auf diese Weise in Kontakt mit Hassanalis Schwester Rehana, die er schließlich heiratet. Doch ihre Ehe steht unter keinem guten Stern und die gemeinsame Zeit in Mombasa währt nur kurz. 

Etwa 60 Jahre später lesen wir dann von der Enkelin Rehanas, Jamila, die in Beziehung mit Amin ist. Doch sein Bruder Rashid verlangt eine Trennung wegen einer zweifelhaften Vorgeschichte der Großmutter. Amin fügt sich und kann diese schwere Trennung nur blind ertragen. Rashid hingegen zieht es in die Ferne: er beginnt ein Studium in Großbritanien. Dort macht er schmerzvolle Rassismuserfahrungen und verspürt starke Sehnsüchte nach seiner Heimat. Dennoch kehrt er nicht nach Sansibar zurück. Von drei Geschwistern, findet letztlich nur die Schwester der Brüder, Farida, ihren Weg. Letztlich scheinen all drei Geschwister hier auf jeweils spezifische Art für Folgen des Kolonialismus zu stehen, der bis in die Familien und deren Alltagsgestalten hineinreicht. 

Über eine etwas längere Strecke des Romans kam mir die kritische Auseinandersetzung mit der Kolonisierung Ostafrikas und deren Folgen fast zu kurz. Doch Gurnah wäre nicht Gurnah, würde er am Ende nicht alle gestreuten Handlungsfäden gekonnt zusammenziehen und dadurch seine Meisterschaft darin erweisen, seiner vermeintlich "leisen" kritischen Stimme zu ihrer vollen Wirkmächtigkeit zu verhelfen. Auch "Die Abtrünnigen" hallt nach. Es braucht Werke wie dieses, um aus den Irrungen und Wirrungen der Geschichte zu lernen. Ein sehr lesenswerter Roman, der mri allerdings nicht ganz so gut gefallen hat wie "Nachleben". 

Gespräche aus der Community

Bisher gibt es noch keine Gespräche aus der Community zum Buch. Starte mit "Neu" die erste Leserunde, Buchverlosung oder das erste Thema.

Welche Genres erwarten dich?

Community-Statistik

in 120 Bibliotheken

auf 20 Merkzettel

von 2 Leser*innen aktuell gelesen

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks