Es hätte nicht viel gefehlt, und in Deutschland wäre 1962 eine große Epidemie ausgebrochen. In Monschau wurden die Pocken aus Indien eingeschleppt. Im Roman kümmern sich ein Professor aus Düsseldorf und sein von der Insel Kreta stammender Assisent Spyridakis Um die Einhaltung der Quarantäneregeln und die Organisation der Behandlung im kleinen Eifelstädtchen.
Der Grieche ist in erster Linie für das große Rither Werk zuständig. Die junge Erbin Vera hat es ihm dabei angetan. Außerdem halten nicht nur die schwarzen Blattern uns bei Lese-Laune, sondern auch die nicht durchgeführte Entnazifizierung mancher Werks Mitarbeiter sind hier Thema und haben Auswirkungen.
Der atmosphäre Roman lässt uns tief in die patriarchalische und leicht dekadente Wirtschaftswunder Zeit eintauchen. Kopetzky schafft es, sie intensiv wieder aufleben zu lassen. Er spart dabei nicht an der Wiedergabe von Markennamen, Ansichten und Gewohnheiten der damaligen Zeit . Spyridakis und Vera wirken dabei manchmal wie aus der Zeit gefallen. Immer wieder musste ich mich daran erinnern, dass manches, was heute normal erscheint, damals im zwischenmenschlichen noch nicht möglich war. Sehr amüsant fand ich die Begegnungen, die zum Beispiel an Karneval statt fanden.
Der Autor schreibt sehr geschraubt, und legt großen Wert auf eine förmliche Ausdrucksweise, die selbst dann funktioniert, wenn er Lokalkolorit durch Dialekt einfügt. Die oft ellenlangen Sätze sind nicht immer leicht zu lesen. Lautes vorlesen hat mir dabei geholfen, manch einen Satz in einen richtigen Zusammenhang zu setzen. An mancher Stelle ist der Stil etwas gestelzt, und der Autor setzt bei manchen Ausdrücken ein Wissen voraus, dass heute verloren gegangen ist – glücklicherweise gibt es ja Google. Einschübe gewisser Jazzstücke, Lyrik und Philosophie waren interessant, und erfreulicherweise wirkte das auch nicht überladen.
Die Geschichte des Journalisten Grünwald war mir zu gewollt und hätte es meinem empfinden nach nicht gebraucht. Die Situation rund um die Pocken war interessant und erinnerte doch stark an die Corona-Pandemie. Sie gab dem Roman Struktur, bestimmte aber nicht seinen Inhalt. Die Liebesgeschichte ist zart und nur mit Andeutungen versehen, war aber trotzdem sehr intensiv. Was mich aber am Lesen gehalten hat, ist das Gefühl, in eine Zeit gereist zu sein, die Zeit meiner Eltern, die für immer verloren ist. Klare Empfehlung an alle mit Muße.