Rezension zu Mensch, Nazi von Stephan Krawczyk
Rezension zu "Mensch, Nazi." von Stephan Krawczyk
von aichlinn
Rezension
aichlinnvor 11 Jahren
Sicherlich hatten viele von uns mit frühkindlichem Haardefizit zu kämpfen, aber niemand kam als Ideologie-Glatze zur Welt. Eine Aneinanderreihung unglücklicher Umstände braucht es, um aus einem unschuldigen Kind einen asylantenwohnheimabfackelnden Neonazi zu machen. Krawczyks Annäherung an das Thema ist interessant, berechtigt, notwendig. Wir lernen Klemens kennen, seine Glatzenfreunde und erfahren, warum er wurde, wie er war. So weit so gut. Trotzdem ist Krawczyks Herangehensweise eine Gratwanderung. Er verteigt die politisch Verirrten nicht, und doch relativiert er. Annäherung und Distanzsuche geben sich die Klinke in die Hand. Das schreit nach Diskussion. Demokratisch akzeptieren kann ich nur den, der Demokratie und Menschenrechte nicht mit Füßen tritt. Die oberflächlichen NSU-Einwürfe passen einfach nicht. Mundlos, Tschäpe & Co. hätten sich, anders als Klemens, von Eno Rauds "Vier lustigen Gesellen" nicht entblöden lassen. Das Buch kann nicht repräsentativ, sondern sollte ergänzend gelesen werden. Sprachlich und stilistisch ist das Buch kein Drahtseilakt. Krawczyk versteht sich prächtig auf die Kunst des geschriebenen Wortes. Seine Vater-Sohn-Dialoge glänzen, machen das Buch einzigartig - und doch bleibt ein fader Beigeschmack.