Cover des Buches Ein fauler Gott (ISBN: 9783518425879)
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Rezension zu Ein fauler Gott von Stephan Lohse

Ein beeindruckendes Leseerlebnis voller Empathie. Großartig!

von LimaKatze vor 7 Jahren

Rezension

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LimaKatzevor 7 Jahren
Klappentext:

„Die ewigen Jagdgründe musst du dir wie eine Lücke in der Zeit vorstellen. Dort wird Jonas ewig so bleiben, wie du ihn erinnerst.“
Stephan Lohse erzählt von den Herausforderungen eines Teenagerlebens und vom Trost der Freundschaft. Er erzählt von einem Jungen, der seine Mutter das Trauern lehrt, und dessen Mut und Zuversicht ein Gebirge in ein Meer verwandeln.


Zum Inhalt:

„Irgendwo im Haus geht eine Tür. Dann noch eine. Mami lebt. Sie war zu gleichen Teilen seine und Jonas´ Mutter. Was mit Jonas´ Teil geschieht, ist unklar. Vielleicht bekommt Ben ihn. Vielleicht nicht.“ (Seite 8)

Jonas war erst acht Jahre alt, als er im Sommer 1972 stirbt. Ben vermisst seinen kleinen Bruder, den er gern Piepmanscher nannte, und versucht das Geschehene zu verstehen. Seine Mutter wird mit dem Verlust nicht fertig, quält sich mit Fragen nach dem Wie und Warum, macht sich Vorwürfe über verpasste Gelegenheiten, durchlebt einen Sturm der Gefühle. Immer dann, wenn die Trauer nicht mehr auszuhalten ist, setzt sie sich auf ihre Heizdecke, wie um gegen die innere Kälte anzukämpfen. Während Ruth sich immer mehr in sich zurückzieht, sucht Ben den Weg in die Normalität. Er ist elf Jahre alt und als heranwachsender Teenager macht er die typischen ersten Erfahrungen aller Jungen in diesem Alter. Das Leben geht für ihn weiter, auch wenn er oft an Jonas denken muss. An manchen Tagen wird Ben alles zuviel und er flüchtet sich in die Fantasie. Dann verwandelt er sich in einen Roboter, den er kontrolliert. Ein Roboter hat keine Gefühle und empfindet keinen Schmerz.

Obwohl Ben genug mit sich selbst zu tun hat, sorgt er sich sehr um seine Mutter. Ruth scheint sich mehr und mehr von ihm zu entfernen. Ohne dass der Junge dafür die richtigen Worte findet, spürt er die immense Verzweiflung und die Hilflosigkeit seiner Mutter. In Herrn Gäbler, den er vor einiger Zeit gemeinsam mit Jonas zufällig kennenlernte, findet er einen geduldigen und sehr einfühlsamen Zuhörer. Herr Gäbler hat ein Auto, einen alten Opel Rekord. Es hat keine Räder und steht im Gartenbeet. In diesem Autowrack schüttet Ben bei Herrn Gäbler sein Herz aus. Und wenn es regnet, müssen sie auf den Dienstwagen von Herrn Gäbler ausweichen. Sie philosophieren über den Tod und die Seelen im Himmel, essen Schwarzwälder Kirschtorte oder andere Leckereien, und Ben erhält währenddessen seine ersten theoretischen Fahrstunden. Herr Gäbler ist schwer in Ordnung.

„Ben überlegt, dass die Seelen, wenn sie über telepathischen Funk verfügten, nicht lachen oder mit dem Kopf nicken müssten. Sie müssten sich keinen Vogel zeigen, nicht traurig aussehen oder mit den Schultern zucken. Sie machten alles innerlich. Per Himmelsfunk. Vielleicht klingt ihr Himmelsfunk wie Luftmusik. Wie der Ton aus Philip Bührmanns Staubsaugerschlauch.“ (Seite 91)

Nach einem Jahr ist Ben eigentlich längst wieder im normalen Leben angekommen. Ganz im Gegenteil zu seiner Mutter, die ihn immer wieder in ihre Welt hineinzieht. Die Trauer hat sich als dicker Fels in ihrem Herzen verankert und nimmt dort sämtlichen Raum ein, ist zu einem Teil von ihr geworden. Ruth trifft eine furchtbare Entscheidung. …


Mein Fazit:

Wenn Eltern ihre eigenen Kinder zu Grabe tragen müssen, gehört dies sicherlich zu den tragischsten Ereignissen, die das Schicksal bereithalten kann. Doch auch für vorhandene Geschwister bricht die Welt, die sie bisher kannten, zusammen. Ein insgesamt sehr schwieriges und sensibles Thema, welches der Autor Stephan Lohse nach meiner Ansicht ganz hervorragend in seinem Debütroman umgesetzt hat. Das unglaubliche Einfühlungsvermögen des Autors hat mich derart beeindruckt, dass ich mich mitunter fragte, ob in diesem Buch vielleicht sogar autobiografische Anteile enthalten sein könnten.

Stephan Lohse richtet seinen Fokus voll auf die beiden Hauptprotagonisten Benjamin und Ruth. Ben berührte mich sehr mit seiner Trauer um den Bruder und seinen Bemühungen um die Mutter. Der kluge Junge erstaunte mich immer wieder mit seiner Empathie und seinen kindlichen Weisheiten, und einige seiner Einfälle brachten mich zum Schmunzeln. Die Mutter möchte man trotz allem empfundenen Mitleids manches Mal schütteln und in Bezug auf ihren noch lebenden Sohn wachrütteln. Somit erlebt man auch als Leser ein ständiges Auf und Ab der Gefühle, und gerät immer tiefer in den Sog des Erzählten. Der Autor taucht ganz tief in die Psyche und Gedankenwelt seiner Protagonisten ein, und schafft damit letztendlich einen eindringlichen Roman voller Melancholie mit starkem Nachhall.

„Ein fauler Gott“ ist durch seinen Inhalt zwar keine leichte Kost, aber eine unbedingte Leseempfehlung für all diejenigen, die tiefgehende Geschichten und anspruchsvolle Lektüre mögen. Der bemerkenswerte Roman wird mir noch lange in angenehmer Erinnerung bleiben. Durch die bewegende Geschichte ansich, und beiher auch durch die schöne Zeitreise in die Siebziger Jahre, die mir viel Freude machte und eigene Erinnerungen weckte. Sehr gerne vergebe ich hier abschließend begeisterte fünf Sterne und wünsche dem Autor den wohlverdienten Erfolg mit seinem großartigen Debüt!
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