Stephan Thome

 4,1 Sterne bei 252 Bewertungen
Autor von Grenzgang, Fliehkräfte und weiteren Büchern.
Autorenbild von Stephan Thome (© Jürgen Bauer)

Lebenslauf

Erforscher der Fremde, Held in der Heimat: Der deutsche Autor und Philosoph Stephan Thome wurde 23.07.1972 im hessischen Biedenkopf als Stephan Schmidt geboren. Nach seinem Abitur studierte er Philosophie, Religionswissenschaft und Sinologie an der Freien Universität Berlin. Ab Mitte der 1990er Jahre unternahm er Reisen nach Tibet, Nepal, die Philippinen und Malaysia. Weitere Studien führten ihn nach China, Taiwan und Japan. Im Jahr 2004 schloss er sein Studium an der FU Berlin mit der Dissertation "Interkulturelle Hermeneutik und die Herausforderung des Fremden" ab, die ein Jahr später unter dem Titel "Die Herausforderung des Fremden" im deutschen Buchhandel veröffentlicht wurde und ihm ein Doktorandenstipendium der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft einbrachte. Seit dem Jahr 2005 lebt Schmidt in Taipeh, wo er als DFG-Stipendiat am Institut für Chinesische Literatur und Philosophie der Academia Sinica tätig ist. Er forscht über konfuzianische Philosophie des 20. Jahrhunderts und übersetzte unter anderem Chun-chieh Huangs Werk "Konfuzianismus: Kontinuität und Entwicklung" ins Deutsche. 2009 gab Schmidt mit "Grenzgang" sein vielbeachtetes Debüt als Romanautor, das er unter dem Pseudonym Stephan Thome veröffentlichte. Titelgebend für das Werk ist das gleichnamige Volksfest im mittelhessischen Biedenkopf, wo Schmidt geboren und aufgewachsen ist. "Grenzgang" erhielt den aspekte-Literaturpreis und war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. 2012 veröffentlichte Schmidt seinen Roman "Fliehkräfte", der auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gelangte. 2018 steht Thome mit seinem Roman "Gott der Barbaren" erneut auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Neue Bücher

Cover des Buches Schmales Gewässer, gefährliche Strömung (ISBN: 9783518432044)

Schmales Gewässer, gefährliche Strömung

Neu erschienen am 09.09.2024 als Gebundenes Buch bei Suhrkamp.

Alle Bücher von Stephan Thome

Cover des Buches Grenzgang (ISBN: 9783518467046)

Grenzgang

 (72)
Erschienen am 11.04.2016
Cover des Buches Fliehkräfte (ISBN: 9783518468258)

Fliehkräfte

 (68)
Erschienen am 13.11.2017
Cover des Buches Gegenspiel (ISBN: 9783518466506)

Gegenspiel

 (39)
Erschienen am 08.02.2016
Cover des Buches Gott der Barbaren (ISBN: 9783518470251)

Gott der Barbaren

 (39)
Erschienen am 20.01.2020
Cover des Buches Pflaumenregen (ISBN: 9783518472835)

Pflaumenregen

 (22)
Erschienen am 21.11.2022
Cover des Buches Gebrauchsanweisung für Taiwan (ISBN: 9783492277457)

Gebrauchsanweisung für Taiwan

 (0)
Erschienen am 01.09.2021
Cover des Buches Schmales Gewässer, gefährliche Strömung (ISBN: 9783518432044)

Schmales Gewässer, gefährliche Strömung

 (0)
Erschienen am 09.09.2024
Cover des Buches Fliehkräfte (ISBN: 9783862312474)

Fliehkräfte

 (4)
Erschienen am 01.11.2012

Zur Fragerunde mit…

Stephan Thome ist für seine erfolgreichen Romane wie „Grenzgang“ und „Fliehkräfte“ bekannt, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Mit „Gott der Barbaren“ stand er 2018 zum wiederholten Male auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Schon während seines Studiums reiste Thome in verschiedene asiatische Länder und lebt heute in Taipeh. Er ist DFG-Stipendiat am Institut für Chinesische Literatur und arbeitet zudem als Übersetzer. Für LovelyBooks hat sich Stephan Thome die Zeit genommen und die Fragen beantwortet, die seine Leserinnen und Lesern an ihn hatten. Die Antworten könnt ihr hier nachlesen.

Lieber Herr Thome, Sie leben und arbeiten zurzeit in Taiwan und haben einen Roman über Chinas Vergangenheit geschrieben. Wechseln Sie Ihren Wohnsitz um näher am Ort des Geschehens zu sein oder ist es Zufall?

Für den vorigen Roman bin ich eigens für anderthalb Jahre nach Lissabon gezogen, aber in diesem Fall war kein Umzug erforderlich. Taiwan ist nach nunmehr zehn Jahren meine zweite Heimat, und Taipeh war der richtige Ort, um „Gott der Barbaren“ zu schreiben, auch weil ich von dort aus leichter meine Recherchereisen nach China unternehmen konnte.

Nach der Lektüre von „Grenzgang“ und „Fliehkräfte“ nahm man an, dass Sie ein gnadenloser Chronist der zeitgenössischen Gesellschaft in der Bundesrepublik seien. Wie kommt es nun, dass Sie sich einem historischen Thema zuwenden?

Ich wollte schon lange über China schreiben und habe nach einem Stoff gesucht, der mich richtig packt. Dann stieß ich auf ein Buch über die Taiping Rebellion (Stephen R. Platt: „Autumn in the Heavenly Kingdom“) und wusste: das ist es. Beim Schreiben habe ich mir immer gesagt, es wird ein historischer Gegenwartsroman, also ein Buch, das in der Vergangenheit spielt, aber (auch) auf die Gegenwart zielt. Diese Aktualität des Stoffes war es ja, was mich so daran fasziniert hat.

China ist nicht unbedingt bekannt für seine Offenheit. Wie schwierig ist in diesem Fall die Recherche vor Ort? Gibt es Reaktionen aus dem Land? Wird es dort auch veröffentlicht oder ist es vorgesehen?

China wird zurzeit immer unfreier, das stimmt, aber bei der Recherche habe ich davon nichts gespürt. Ich war als Tourist im Land unterwegs, einmal auch als Gast einer Universität, und die Museen und Gedenkstätten, die sich der Taiping Rebellion widmen, sind für jedermann frei zugänglich. Es handelt sich ja nicht um ein Geheimthema. Allerdings hat die Kommunistische Partei ein ganz bestimmtes Bild der damaligen Ereignisse, und von dem weicht meine Deutung ab. Die Taiping Rebellen hatten zwar viele progressive Ideen, aber sie waren auch religiöse Fanatiker und haben große Zerstörungen angerichtet. Es ist nicht leicht, das auf den Begriff zu bringen, aber es ist wichtig, diese dunkle Seiten nicht zu verschweigen zumal sie den Menschen in China nur zu bewusst ist.

Wussten Sie schon beim Sinologiestudium, dass Sie einen Roman über China schreiben wollten? Wem würden Sie raten, ein Studium in Sinologie zu beginnen? Hat Ihr Studium Sie bereichert?

Erstens: nein, wusste ich nicht. Zweitens: nicht unbedingt. Studieren Sie lieber ein Fach, das eine richtige Methode hat und eignen Sie sich die Sprachkenntnisse auf anderem Wege an, am besten in China oder Taiwan. Ich habe Sinologie im Nebenfach studiert und kann nicht behaupten, dass ich besonders viel gelernt habe. Sehr bereichert haben mich aber die Aufenthalte im Land und überhaupt der Versuch, mir auf dieses Land und seine Kultur einen Reim zu machen (das war drittens) – ein Versuch, der übrigens noch andauert.

Der Taiping-Aufstand war sehr blutig und kostete unfassbar viele Menschen das Leben. Wissen Sie, ob dieser Bürgerkrieg in China noch thematisiert wird? Dieser Krieg ist weniger bekannt als andere – wie kamen Sie auf dieses historische Ereignis?

Er wird thematisiert (wenn auch nicht so oft wie die Opiumkriege), aber meistens sehr einseitig. Die Taiping Rebellen gelten als Helden und Vorreiter der kommunistischen ‚Befreiung‘ hundert Jahre später. Ihr religiöser Fanatismus und ihr zerstörerisches Wirken werden oft übergangen, aber es gibt inzwischen auch in China historische Studien, die dieses Bild korrigieren und ergänzen. Wann ich zum ersten Mal von der Rebellion gehört habe, weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall noch als Student. 1997 oder 98 habe ich das Buch von Jonathan Spence „God’s Chinese Son“ gelesen, das ich sehr empfehlen kann.

Religion (zumindest die christliche Religion bzw. Abwandlungen dieser) scheint in Ihrem Roman eine große Rolle zu spielen. Wie stehen Sie selbst zu diesem Thema? Sind Sie ein religiöser Mensch? War es Ihnen beim Schreiben ein Anliegen, mit Ihrem Buch generell vor religiösem Fanatismus zu warnen?

Nein, ich bin nicht religiös, aber ich nehme Religionen ernst. Ob man heute noch vor religiösen Fanatismus warnen muss, weiß ich nicht; ich wollte eher zeigen, dass er keineswegs nur ein Phänomen des Islam ist und dass er bevorzugt dort gedeiht, wo bestimmte Bedingungen herrschen, z.B. Armut, soziale Konflikte etc. Alle monotheistischen Religionen haben die Tendenz, die Welt in Gläubige und Ungläubige zu teilen, und wenn die erwähnten Faktoren hinzukommen, wird darauf schnell die gefühlte Berechtigung, gewaltsam gegen die Ungläubigen vorzugehen. Beispiele finden sich in der christlichen Geschichte in Hülle und Fülle.

Irgendwann muss ja der Gedanke entstanden sein, einen Roman zum Taiping-Aufstand zu schreiben und ihn so zu konzipieren, dass alle Seiten beleuchtet werden. Was war zuerst da, der Wunsch, über bestimmte Persönlichkeiten zu schreiben, oder die Idee, anhand eines Romans zu zeigen, dass die Bildung von „Gottesstaaten“ kein rein muslimisches Phänomen ist? Oder doch der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, die ja heute wie damals alles für barbarisch hält, was nicht ihrer Sichtweise entspricht?

Alle von Ihnen erwähnten Faktoren waren wichtig: Das Ereignis als solches, die Rolle von historischen Figuren wie Lord Elgin und Zeng Guofan, die Frage nach religiösem Fanatismus, die Parallelen zur Gegenwart… Im Rückblick kann ich nicht mehr rekonstruieren, wie sich das alles in meinem Kopf aufgebaut hat. Der erste Anstoß war 2012 ein Buch über die Taiping Rebellion, aber dann hat es noch zweieinhalb Jahre gedauert, bevor ich mit der Arbeit begonnen habe. Was am Ende herauskommen würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, es war im Vergleich zu früheren Büchern ein sehr ergebnisoffener Prozess.

Sie leben aktuell in Taipeh, und das als ‚offensichtlich Fremder‘ in einer anderen Kultur. Wie begegnet man Ihnen in China fernab der touristischen Höflichkeit? Gibt es einen interkulturellen Graben, den Sie täglich überwinden müssen? Sind die Chinesen offener / toleranter als wir? Oder ist die Millionenstadt Taipeh so multikulturell, dass Unterschiede irrelevant sind?

Zunächst mal muss ich betonen: ich lebe nicht in China, sondern in Taiwan. Dort sind die Menschen sehr freundlich, oft auch sehr neugierig auf Ausländer. Ausländerfeindlichkeit habe ich noch nie erlebt, das hat aber auch mit meiner deutschen / westlichen Herkunft zu tun. Gegenüber Menschen aus ärmeren Ländern Südostasiens, die in Taiwan arbeiten, gibt es sehr wohl gewissen Ressentiments. Insgesamt leben in Taiwan – und das trifft auf China ebenso zu – nur sehr weniger Auslänger. Angst vor Überfremdung kann da wirklich nicht aufkommen. Auch Flüchtlinge gibt es nicht, es ist also eine grundlegend andere Ausgangssituation als bei uns. Mein Lebensgefühl ist so, dass ich zu einer winzigen, wohlwollend betrachteten Minderheit gehöre. Dass ich die Landessprache beherrsche, erleichtert das Miteinander zusätzlich und wird mir hoch angerechnet. In Deutschland erwartet man von Ausländern, Deutsch zu sprechen, in Taiwan sind die Menschen jedes Mal positiv überrascht. Gefühlt wurde ich diesbezüglich schon ungefähr eine Million Mal gelobt.

Neue Rezensionen zu Stephan Thome

Cover des Buches Pflaumenregen (ISBN: 9783518472835)
dunkelbuchs avatar

Rezension zu "Pflaumenregen" von Stephan Thome

Der Roman beginnt mit nicht weniger als fünfzehn Seiten, auf denen minutiös ein Baseballspiel mit Umekos Bruder geschildert wird, man versteht kein Wort und fühlt sich nur einfach ‹im falschen Kino›!
dunkelbuchvor einem Jahr

Überhaupt bekam ich das Gefühl, die Einheimischen würde sich auch während der abscheulichsten Gräuel nur für Baseball interessieren.

Würde man das Baseball Geplapper herausnehmen wäre das Buch sicher um ein Drittel kürzer. (Das wäre gut)

Der Roman berührt nur stellenweise die wechselhafte Geschichte Taiwans.

Durch nicht nachvollziebare Zeitsprünge ist man mehr als verwirrt.

Ich hatte mir mehr Geschichte und Politik erwartet, bekam eine sehr merkwürdige Familiengeschichte und eine Sportreportage.

Ich habe mich durchgequält, Schwache 3Sterne.

Cover des Buches Pflaumenregen (ISBN: B0B9YVCKPT)
wandablues avatar

Rezension zu "Pflaumenregen" von Stephan Thome

Taiwan – eine Insel, die nie zur Ruhe kommt.
wandabluevor 2 Jahren

Der Autor verpackt einen Teil der Historie der Insel Taiwan, die sich selbst „Chinesische Republik“ nennt, in eine Familiengeschichte. Die Historie der Insel ist bemerkenswert und tragisch; meistens war die Insel unter Besatzungmacht. Japan. China. Man wechselte sich ab, war sich aber darin einig, dass die Einheimischen schikaniert werden müssten.
Stephen Thome zieht den Roman so auf, dass er einen der Söhne der weiblichen Hauptfigur einen Roman über seine Mutter schreiben lässt. So haben wir also den Roman im Roman! Harry, der jüngste Sohn will die Unnahbarkeit seiner Mutter, die er als Kind gespürt hat, mit seinem Buch aufarbeiten. Es ist ihm und damit der Leserschaft klar, dass die taiwanesische Geschichte überaus schmerzhaft für alle Beteiligten gewesen ist. Gefühle durfte man sich nicht anmerken lassen, das war gefährlich. Also verbarg man sie so sehr, dass man sie auch in der Familie kaum kommunizierte. Der ganze Schmerz bricht sich nach innen Bahn. Der Roman beginnt jedoch mit der Kindheit der Protagonistin, als sie noch unbefangen ist und mit wehenden Zöpfen vom Teekannenberg hinunter zur Schule rennt und durchläuft danach sehr gemächlich ! mehrere Generationen. 

Der Kommentar: 
Wer weiß schon etwas über die pazifischen Kriege? Schon allein das Thema ist zu honorieren. Wir wissen viel zu wenig, was jenseits von Europa von Belang ist oder auch von Belang gewesen ist. Freilich hat Stephen Thome eine persönliche Liebesgeschichte mit dem Land. Das merkt man. Das ist ein Glücksfall.
Wenn man als Leser auch nicht mit allzu vielen Fakten oder Daten konfrontiert wird, erfährt man doch mehr als man vorher wusste über die taiwanesische Problematik, über den Pazifikkrieg in den 1940ern, vor allem aber darüber, was es bedeutet, fortwährend unter einer Besatzungmacht zu leben und von objektiven Informationen abgeschnitten zu sein. Schikane ist Alltag und Rassismus ist nicht nur ein europäisches Phänomen!
Sehr gerne hätte ich am Ende des Romans einen Ausblick über die heutigen japanisch-chinesischen Beziehungen gehabt, aber Thome bleibt leider sehr nah an der Familiengeschichte. Sie spielt auf zwei Zeitebenen, wobei die Zeitebene, in der die Protagonistin alt ist und ihr Sohn für sein Buch Recherche betreibt, zum Teil die bereits anfänglich erzählte Storyline wiederholt, beziehungweise spiegelt. Sprachlich steht Stephen Thome für Niveau und literarische Qualität. Da gibt es nix zu kritteln. 

Fazit: ein Film mit Überlänge? Der zweite Erzählstrang hätte gut gekürzt werden können. Davon abgesehen aber ist „Pflaumenregen“ ein empathischer, authentischer Roman über die Auswirkungen wechselnder Besatzungsmächte auf ein Land am Beispiel Taiwans und einer inseltypischen Familie. 

Die beiden Sprecher, Luise Georgi und Frederic Böhle machen ihre Sache sehr gut; wobei ich der weiblichen Sprecherin den Vorzug gebe. Aber das ist reine Geschmacksache. 

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Suhrkamp audio, 2022

Cover des Buches Pflaumenregen (ISBN: 9783518430118)
leseleas avatar

Rezension zu "Pflaumenregen" von Stephan Thome

Taiwans Geschichte
leseleavor 2 Jahren

Um das herauszufinden, müssen wir unsere Geschichte allerdings selber erzählen. Bisher haben es immer andere für uns getan. Das heißt, sie haben ihre Geschichte erzählt, wir kamen halt darin vor. (S. 335)

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine schielt der Westen auch immer besorgter in Richtung China: Wird das Reich der Mitte nun doch früher als gedacht Taiwan angreifen, um die Inselrepublik endlich wieder mit dem Festland zu „vereinigen“? Doch was wissen wir jenseits Chinas Machtanspruch über die Insel im Westpazifik? Eigentlich so gut wie nichts. Wer dieser Aussage zustimmen würde, dem rate ich dringend zur Lektüre von Stephan Thomes Roman Pflaumenregen. Selten habe ich durch das Lesen eines Buches so viel über ein Land und seine Historie gelernt! Und die Idee von „einem China“ kommt einem nach Beendigung der circa 520 Seiten wie die reine politische Illusion vor, die mit der historischen Realität kaum etwas zu tun hat…

Stephan Thome beginnt seine Geschichte während des zweiten Weltkrieges und wartet direkt mit der ersten Überraschung für die unwissenden westlichen Leser:innen auf: Taiwan ist zu diesem Zeitpunkt seit fast 50 Jahren eine japanische Kolonie, Japaner, Taiwaner und indigene Völker (die eigentlichen Taiwaner) teilen sich die Insel, wobei die Kolonialherren eine strenge Politik der Assimilation verfolgen: Man spricht japanisch, Kinder tragen japanische Namen, Japan gilt als „Mutterland“. Mit der Niederlange Japans nach dem zweiten Weltkrieg fällt Taiwan an die Republik China zurück. Von einem Tag auf den anderen werden die einzigen Herrscher zu Untermenschen erklärt, die Taiwaner müssen eine neue Sprache (Chinesisch) lernen und sollen einsehen, dass die letzten Jahrzehnte eine Fehler waren. Festlandchinesen kommen auf die Insel – in Großer Zahl vor allem mit Beginn des Bürgerkrieges und dem endgültigen Sieg der Kommunisten. Die einstige Regierung der Volksrepublik herrscht nun nur noch über ein Fleckchen Land, das etwa so groß ist wie Baden-Württemberg.

Das klingt nun nach viel und es sind tatsächlich eine Vielzahl von historischen Themen, die Thome hier behandelt: Kolonialismus, Krieg, politische Unruhen und Massaker, der Aufbau eines Polizeistaates, Bespitzelung etc. Immer wieder muss man bei der Lektüre innehalten und sich sortieren: Die Festlandchinesen betrachten Taiwan zwar als zu China zugehörig, halten sie aber auch für schwach und korrupt, weil sie sich jahrelang den Japaner gebeugt haben? Die Taiwaner halten die Festlandchinesen für kulturschwach und vermissen die japanische Lebensweise, die für sie trotz allem Modernität bedeutete? Das soll ein Volk sein? Das Lesen von Wikipedia-Artikeln wird während des Romans eine Parallel-Lektüre werden, so viel kann versichert werden.

Und doch schafft es Thome, dass der Roman nie schwer wird. Denn er erzählt Taiwans Geschichte als Familiengeschichte und begleitet die kleine Umeko (später Ching-mei) durch das Erwachsenwerden in einem Land, das seine Zugehörigkeit und seine politische Staatsform mehr als einmal wechselt. Anhand ihrer Geschichte, aber auch der ihres Vaters, einem Taiwaner im Dienste einer japanischen Minenfirma, und ihres Bruders, einem Baseballspieler, werden die historischen Fakten atmosphärisch und durchaus spannend erzählt. Immer wieder bricht auch ein Gegenwartsstrang ein, in dem Ching-meis Sohn Harry und ihre Enkelin Julie eine zentrale Rolle spielen und die Thematik um die Demokratiebewegung, aber um auch so elementare Überlegungen wie Heimat, Zugehörigkeit, kulturelles Erbe etc. erweitert.

Erzähltechnisch kann der Roman nicht als hundertprozentig gelungen beschrieben werden – vor allem wenn man Thomes Gegenwartsromane wie Fliehkräfte und Gegenspiel kennt. Zu langatmig ist die Geschichte an einigen Stellen, zu rasch an anderen – besonders zum Ende hin. Der Gegenwartsstrang ist leider weniger relevant, als der Geschichte guttun würde, bringt er doch Dynamik und Erkenntnisse in das Erzählte; der Fokus auf die Vergangenheit bedeutet jedoch auf vielen der über 500 Seiten auch einen Fokus auf Stillstand.

Nichtsdestotrotz kann über diese Schwächen großzügig hinweggesehen werden, zu lehrreich und zu erweckend ist Pflaumenregen in seiner Gesamtheit einfach. Ein Roman, der eine wichtige politische Landschaft in das Bewusstsein der deutschen Leserschaft bringt und dabei auch zu unterhalten weiß. Dafür eine absolute Leseempfehlung bei 4,5 Sternen.

Gespräche aus der Community

Deutscher Buchpreis

Wir freuen uns sehr, den Deutschen Buchpreis 2018 bei LovelyBooks begleiten zu dürfen!  Nachdem wir die Leseproben der zwanzig Longlist-Titel diskutiert haben, stellen wir euch nun die sechs Titel der Shortlist vor. 

Heute habt ihr die Gelegenheit Stephan Thome Fragen zu stellen und mit etwas Glück eins von zwei Exemplaren von "Gott der Barbaren" zu gewinnen!

Stellt eure Fragen an den Autor heute am 24.09.2018 über den blauen "Jetzt bewerben"-Button und landet damit automatisch im Lostopf für unsere Verlosung.

Unter allen Usern, die an mindestens 3 Aktionen zu den Shortlist-Autoren teilnehmen, verlosen wir außerdem ein signiertes Exemplar des Deutschen Buchpreis-Gewinners! 

Da sich Stephan Thome derzeit auf Lesereise befindet, werden wir ihm einige ausgewählte Fragen von euch zukommen lassen und seine Antworten nachreichen. 

Mehr zum Buch
China, Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine christliche Aufstandsbewegung überzieht das Kaiserreich mit Terror und Zerstörung. Ein junger deutscher Missionar, der bei der Modernisierung des riesigen Reiches helfen will, reist voller Idealismus nach Nanking, um sich ein Bild von der Rebellion zu machen. Dabei gerät er zwischen die Fronten eines Krieges, in dem er am Ende alles zu verlieren droht, was ihm wichtig ist. An den Brennpunkten des Konflikts – in Hongkong, Shanghai, Peking – begegnen wir einem Ensemble so zerrissener wie faszinierender Persönlichkeiten: darunter der britische Sonderbotschafter, der seine inneren Abgründe erst erkennt, als er ihnen nicht mehr entgehen kann, und ein zum Kriegsherrn berufener chinesischer Gelehrter, der so mächtig wird, dass selbst der Kaiser ihn fürchten muss.In seinem packenden neuen Buch erzählt Stephan Thome eine Vorgeschichte unserer krisengeschüttelten Gegenwart. Angeführt von einem christlichen Konvertiten, der sich für Gottes zweiten Sohn hält, errichten Rebellen in China einen Gottesstaat, der in verstörender Weise auf die Terrorbewegungen unserer Zeit vorausdeutet. Ein großer und weitblickender Roman über religiösen Fanatismus, über unsere Verführbarkeit und den Verlust an Orientierung in einer sich radikal verändernden Welt.


54 BeiträgeVerlosung beendet
Letzter Beitrag von  Ein LovelyBooks-Nutzervor 6 Jahren
Vielen Dank nochmal, das Buch ist heute angekommen:)

Zusätzliche Informationen

Stephan Thome wurde am 23. Juli 1972 in Biedenkopf (Deutschland) geboren.

Community-Statistik

in 343 Bibliotheken

auf 55 Merkzettel

von 14 Leser*innen aktuell gelesen

von 5 Leser*innen gefolgt

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