Kommt an "Gott der Barbaren" nicht ganz heran, trotzdem ein historischer Roman, der mir in Erinnerung bleiben wird! Anhand der geschilderten Familiengeschichte wird deutlich, wie Kolonialzeit und Zweiter Weltkrieg bis in die Gegenwart wirken. Spannend, interessant und auf schöne und stille Art erzählt.
Stephan Thome

Lebenslauf
Erforscher der Fremde, Held in der Heimat: Der deutsche Autor und Philosoph Stephan Thome wurde 23.07.1972 im hessischen Biedenkopf als Stephan Schmidt geboren. Nach seinem Abitur studierte er Philosophie, Religionswissenschaft und Sinologie an der Freien Universität Berlin. Ab Mitte der 1990er Jahre unternahm er Reisen nach Tibet, Nepal, die Philippinen und Malaysia. Weitere Studien führten ihn nach China, Taiwan und Japan. Im Jahr 2004 schloss er sein Studium an der FU Berlin mit der Dissertation "Interkulturelle Hermeneutik und die Herausforderung des Fremden" ab, die ein Jahr später unter dem Titel "Die Herausforderung des Fremden" im deutschen Buchhandel veröffentlicht wurde und ihm ein Doktorandenstipendium der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft einbrachte. Seit dem Jahr 2005 lebt Schmidt in Taipeh, wo er als DFG-Stipendiat am Institut für Chinesische Literatur und Philosophie der Academia Sinica tätig ist. Er forscht über konfuzianische Philosophie des 20. Jahrhunderts und übersetzte unter anderem Chun-chieh Huangs Werk "Konfuzianismus: Kontinuität und Entwicklung" ins Deutsche. 2009 gab Schmidt mit "Grenzgang" sein vielbeachtetes Debüt als Romanautor, das er unter dem Pseudonym Stephan Thome veröffentlichte. Titelgebend für das Werk ist das gleichnamige Volksfest im mittelhessischen Biedenkopf, wo Schmidt geboren und aufgewachsen ist. "Grenzgang" erhielt den aspekte-Literaturpreis und war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. 2012 veröffentlichte Schmidt seinen Roman "Fliehkräfte", der auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gelangte. 2018 steht Thome mit seinem Roman "Gott der Barbaren" erneut auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Alle Bücher von Stephan Thome
Grenzgang
Fliehkräfte
Gegenspiel
Gott der Barbaren
Pflaumenregen
Schmales Gewässer, gefährliche Strömung
Gebrauchsanweisung für Taiwan
Fliehkräfte
Zur Fragerunde mit…
Stephan Thome ist für seine erfolgreichen Romane wie „Grenzgang“ und „Fliehkräfte“ bekannt, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Mit „Gott der Barbaren“ stand er 2018 zum wiederholten Male auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Schon während seines Studiums reiste Thome in verschiedene asiatische Länder und lebt heute in Taipeh. Er ist DFG-Stipendiat am Institut für Chinesische Literatur und arbeitet zudem als Übersetzer. Für LovelyBooks hat sich Stephan Thome die Zeit genommen und die Fragen beantwortet, die seine Leserinnen und Lesern an ihn hatten. Die Antworten könnt ihr hier nachlesen.
Lieber Herr Thome, Sie leben und arbeiten zurzeit in Taiwan und haben einen Roman über Chinas Vergangenheit geschrieben. Wechseln Sie Ihren Wohnsitz um näher am Ort des Geschehens zu sein oder ist es Zufall?
Für den vorigen Roman bin ich eigens für anderthalb Jahre nach Lissabon gezogen, aber in diesem Fall war kein Umzug erforderlich. Taiwan ist nach nunmehr zehn Jahren meine zweite Heimat, und Taipeh war der richtige Ort, um „Gott der Barbaren“ zu schreiben, auch weil ich von dort aus leichter meine Recherchereisen nach China unternehmen konnte.
Nach der Lektüre von „Grenzgang“ und „Fliehkräfte“ nahm man an, dass Sie ein gnadenloser Chronist der zeitgenössischen Gesellschaft in der Bundesrepublik seien. Wie kommt es nun, dass Sie sich einem historischen Thema zuwenden?
Ich wollte schon lange über China schreiben und habe nach einem Stoff gesucht, der mich richtig packt. Dann stieß ich auf ein Buch über die Taiping Rebellion (Stephen R. Platt: „Autumn in the Heavenly Kingdom“) und wusste: das ist es. Beim Schreiben habe ich mir immer gesagt, es wird ein historischer Gegenwartsroman, also ein Buch, das in der Vergangenheit spielt, aber (auch) auf die Gegenwart zielt. Diese Aktualität des Stoffes war es ja, was mich so daran fasziniert hat.
China ist nicht unbedingt bekannt für seine Offenheit. Wie schwierig ist in diesem Fall die Recherche vor Ort? Gibt es Reaktionen aus dem Land? Wird es dort auch veröffentlicht oder ist es vorgesehen?
China wird zurzeit immer unfreier, das stimmt, aber bei der Recherche habe ich davon nichts gespürt. Ich war als Tourist im Land unterwegs, einmal auch als Gast einer Universität, und die Museen und Gedenkstätten, die sich der Taiping Rebellion widmen, sind für jedermann frei zugänglich. Es handelt sich ja nicht um ein Geheimthema. Allerdings hat die Kommunistische Partei ein ganz bestimmtes Bild der damaligen Ereignisse, und von dem weicht meine Deutung ab. Die Taiping Rebellen hatten zwar viele progressive Ideen, aber sie waren auch religiöse Fanatiker und haben große Zerstörungen angerichtet. Es ist nicht leicht, das auf den Begriff zu bringen, aber es ist wichtig, diese dunkle Seiten nicht zu verschweigen zumal sie den Menschen in China nur zu bewusst ist.
Wussten Sie schon beim Sinologiestudium, dass Sie einen Roman über China schreiben wollten? Wem würden Sie raten, ein Studium in Sinologie zu beginnen? Hat Ihr Studium Sie bereichert?
Erstens: nein, wusste ich nicht. Zweitens: nicht unbedingt. Studieren Sie lieber ein Fach, das eine richtige Methode hat und eignen Sie sich die Sprachkenntnisse auf anderem Wege an, am besten in China oder Taiwan. Ich habe Sinologie im Nebenfach studiert und kann nicht behaupten, dass ich besonders viel gelernt habe. Sehr bereichert haben mich aber die Aufenthalte im Land und überhaupt der Versuch, mir auf dieses Land und seine Kultur einen Reim zu machen (das war drittens) – ein Versuch, der übrigens noch andauert.
Der Taiping-Aufstand war sehr blutig und kostete unfassbar viele Menschen das Leben. Wissen Sie, ob dieser Bürgerkrieg in China noch thematisiert wird? Dieser Krieg ist weniger bekannt als andere – wie kamen Sie auf dieses historische Ereignis?
Er wird thematisiert (wenn auch nicht so oft wie die Opiumkriege), aber meistens sehr einseitig. Die Taiping Rebellen gelten als Helden und Vorreiter der kommunistischen ‚Befreiung‘ hundert Jahre später. Ihr religiöser Fanatismus und ihr zerstörerisches Wirken werden oft übergangen, aber es gibt inzwischen auch in China historische Studien, die dieses Bild korrigieren und ergänzen. Wann ich zum ersten Mal von der Rebellion gehört habe, weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall noch als Student. 1997 oder 98 habe ich das Buch von Jonathan Spence „God’s Chinese Son“ gelesen, das ich sehr empfehlen kann.
Religion (zumindest die christliche Religion bzw. Abwandlungen dieser) scheint in Ihrem Roman eine große Rolle zu spielen. Wie stehen Sie selbst zu diesem Thema? Sind Sie ein religiöser Mensch? War es Ihnen beim Schreiben ein Anliegen, mit Ihrem Buch generell vor religiösem Fanatismus zu warnen?
Nein, ich bin nicht religiös, aber ich nehme Religionen ernst. Ob man heute noch vor religiösen Fanatismus warnen muss, weiß ich nicht; ich wollte eher zeigen, dass er keineswegs nur ein Phänomen des Islam ist und dass er bevorzugt dort gedeiht, wo bestimmte Bedingungen herrschen, z.B. Armut, soziale Konflikte etc. Alle monotheistischen Religionen haben die Tendenz, die Welt in Gläubige und Ungläubige zu teilen, und wenn die erwähnten Faktoren hinzukommen, wird darauf schnell die gefühlte Berechtigung, gewaltsam gegen die Ungläubigen vorzugehen. Beispiele finden sich in der christlichen Geschichte in Hülle und Fülle.
Irgendwann muss ja der Gedanke entstanden sein, einen Roman zum Taiping-Aufstand zu schreiben und ihn so zu konzipieren, dass alle Seiten beleuchtet werden. Was war zuerst da, der Wunsch, über bestimmte Persönlichkeiten zu schreiben, oder die Idee, anhand eines Romans zu zeigen, dass die Bildung von „Gottesstaaten“ kein rein muslimisches Phänomen ist? Oder doch der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, die ja heute wie damals alles für barbarisch hält, was nicht ihrer Sichtweise entspricht?
Alle von Ihnen erwähnten Faktoren waren wichtig: Das Ereignis als solches, die Rolle von historischen Figuren wie Lord Elgin und Zeng Guofan, die Frage nach religiösem Fanatismus, die Parallelen zur Gegenwart… Im Rückblick kann ich nicht mehr rekonstruieren, wie sich das alles in meinem Kopf aufgebaut hat. Der erste Anstoß war 2012 ein Buch über die Taiping Rebellion, aber dann hat es noch zweieinhalb Jahre gedauert, bevor ich mit der Arbeit begonnen habe. Was am Ende herauskommen würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, es war im Vergleich zu früheren Büchern ein sehr ergebnisoffener Prozess.
Sie leben aktuell in Taipeh, und das als ‚offensichtlich Fremder‘ in einer anderen Kultur. Wie begegnet man Ihnen in China fernab der touristischen Höflichkeit? Gibt es einen interkulturellen Graben, den Sie täglich überwinden müssen? Sind die Chinesen offener / toleranter als wir? Oder ist die Millionenstadt Taipeh so multikulturell, dass Unterschiede irrelevant sind?
Zunächst mal muss ich betonen: ich lebe nicht in China, sondern in Taiwan. Dort sind die Menschen sehr freundlich, oft auch sehr neugierig auf Ausländer. Ausländerfeindlichkeit habe ich noch nie erlebt, das hat aber auch mit meiner deutschen / westlichen Herkunft zu tun. Gegenüber Menschen aus ärmeren Ländern Südostasiens, die in Taiwan arbeiten, gibt es sehr wohl gewissen Ressentiments. Insgesamt leben in Taiwan – und das trifft auf China ebenso zu – nur sehr weniger Auslänger. Angst vor Überfremdung kann da wirklich nicht aufkommen. Auch Flüchtlinge gibt es nicht, es ist also eine grundlegend andere Ausgangssituation als bei uns. Mein Lebensgefühl ist so, dass ich zu einer winzigen, wohlwollend betrachteten Minderheit gehöre. Dass ich die Landessprache beherrsche, erleichtert das Miteinander zusätzlich und wird mir hoch angerechnet. In Deutschland erwartet man von Ausländern, Deutsch zu sprechen, in Taiwan sind die Menschen jedes Mal positiv überrascht. Gefühlt wurde ich diesbezüglich schon ungefähr eine Million Mal gelobt.
Neue Rezensionen zu Stephan Thome
Überhaupt bekam ich das Gefühl, die Einheimischen würde sich auch während der abscheulichsten Gräuel nur für Baseball interessieren.
Würde man das Baseball Geplapper herausnehmen wäre das Buch sicher um ein Drittel kürzer. (Das wäre gut)
Der Roman berührt nur stellenweise die wechselhafte Geschichte Taiwans.
Durch nicht nachvollziebare Zeitsprünge ist man mehr als verwirrt.
Ich hatte mir mehr Geschichte und Politik erwartet, bekam eine sehr merkwürdige Familiengeschichte und eine Sportreportage.
Ich habe mich durchgequält, Schwache 3Sterne.
Der Autor verpackt einen Teil der Historie der Insel Taiwan, die sich selbst „Chinesische Republik“ nennt, in eine Familiengeschichte. Die Historie der Insel ist bemerkenswert und tragisch; meistens war die Insel unter Besatzungmacht. Japan. China. Man wechselte sich ab, war sich aber darin einig, dass die Einheimischen schikaniert werden müssten.
Stephen Thome zieht den Roman so auf, dass er einen der Söhne der weiblichen Hauptfigur einen Roman über seine Mutter schreiben lässt. So haben wir also den Roman im Roman! Harry, der jüngste Sohn will die Unnahbarkeit seiner Mutter, die er als Kind gespürt hat, mit seinem Buch aufarbeiten. Es ist ihm und damit der Leserschaft klar, dass die taiwanesische Geschichte überaus schmerzhaft für alle Beteiligten gewesen ist. Gefühle durfte man sich nicht anmerken lassen, das war gefährlich. Also verbarg man sie so sehr, dass man sie auch in der Familie kaum kommunizierte. Der ganze Schmerz bricht sich nach innen Bahn. Der Roman beginnt jedoch mit der Kindheit der Protagonistin, als sie noch unbefangen ist und mit wehenden Zöpfen vom Teekannenberg hinunter zur Schule rennt und durchläuft danach sehr gemächlich ! mehrere Generationen.
Der Kommentar:
Wer weiß schon etwas über die pazifischen Kriege? Schon allein das Thema ist zu honorieren. Wir wissen viel zu wenig, was jenseits von Europa von Belang ist oder auch von Belang gewesen ist. Freilich hat Stephen Thome eine persönliche Liebesgeschichte mit dem Land. Das merkt man. Das ist ein Glücksfall.
Wenn man als Leser auch nicht mit allzu vielen Fakten oder Daten konfrontiert wird, erfährt man doch mehr als man vorher wusste über die taiwanesische Problematik, über den Pazifikkrieg in den 1940ern, vor allem aber darüber, was es bedeutet, fortwährend unter einer Besatzungmacht zu leben und von objektiven Informationen abgeschnitten zu sein. Schikane ist Alltag und Rassismus ist nicht nur ein europäisches Phänomen!
Sehr gerne hätte ich am Ende des Romans einen Ausblick über die heutigen japanisch-chinesischen Beziehungen gehabt, aber Thome bleibt leider sehr nah an der Familiengeschichte. Sie spielt auf zwei Zeitebenen, wobei die Zeitebene, in der die Protagonistin alt ist und ihr Sohn für sein Buch Recherche betreibt, zum Teil die bereits anfänglich erzählte Storyline wiederholt, beziehungweise spiegelt. Sprachlich steht Stephen Thome für Niveau und literarische Qualität. Da gibt es nix zu kritteln.
Fazit: ein Film mit Überlänge? Der zweite Erzählstrang hätte gut gekürzt werden können. Davon abgesehen aber ist „Pflaumenregen“ ein empathischer, authentischer Roman über die Auswirkungen wechselnder Besatzungsmächte auf ein Land am Beispiel Taiwans und einer inseltypischen Familie.
Die beiden Sprecher, Luise Georgi und Frederic Böhle machen ihre Sache sehr gut; wobei ich der weiblichen Sprecherin den Vorzug gebe. Aber das ist reine Geschmacksache.
Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Suhrkamp audio, 2022
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Zusätzliche Informationen
Stephan Thome wurde am 23. Juli 1972 in Biedenkopf (Deutschland) geboren.
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