Cover des Buches Gegenspiel (ISBN: 9783518424650)
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Rezension zu Gegenspiel von Stephan Thome

Szenen einer Ehe

von bookscout vor 9 Jahren

Rezension

B
bookscoutvor 9 Jahren
Maria und Hartmut sind ein ungleiches Paar: sie die temperamentvolle Portugiesin mit einer Vorliebe für subversives Theater, er der stille Philosophie-Professor mit Tendenz zur Verkopfung.

Als die beiden sich im Westberlin der wilden 80er kennenlernen, lebt Maria gerade mit dem umstürzlerischen Theatermacher Falk in einer Hausbesetzer-WG, während Hartmut eigentlich mit der Mitbewohnerin von Marias bester Freundin Ana liiert ist.

Entgegen aller Widrigkeiten siegt die Liebe und die beiden Intellektuellen werden ein Paar, das bald ungewollt ein Kind erwartet. Die Schwangerschaft fördert nicht nur quälende Erinnerungen an verdrängte Jugendsünden aus Portugal zutage, sie stürzt Maria nach der Geburt ihrer Tochter Philippa zudem in eine für beide Ehepartner lähmende Kindbettdepression.

Jahre später steht die Ehe erneut auf dem Spiel, als Maria – die jahrelang für Hartmut auf ihre Karriere verzichtet hat – nach Philippas Auszug aus ihrem goldenen Hausfrauen-Käfig ausbricht und Falks Ruf an sein Berliner Theater folgt.

Mit Maria hat Stephan Thome eine widersprüchliche, labile und sicherlich narzisstisch veranlagte Protagonistin geschaffen, die – von Selbstzweifeln gequält – immer wieder in Selbsthass verfällt, den sie in Folge auf ihr Umfeld projiziert. So recht weiß sie nicht, was anfangen mit ihrem Leben, scheint es, auch mit 40 Jahren nicht. Ihr Mann erdrückt sie mit seiner Fürsorge, Heim und Familie nehmen ihr die Luft zum Atmen – sie heiße nach wie vor Pereira, nicht Hainbach, bekräftigt sie wiederholt.

Psychologisch hochspannend sind sie zweifelsohne, die mal leisen, mal lauten Zwischentöne menschlicher Beziehungen an der Kippe zum Destruktiven. Thome gelingt es wunderbar, das Irrationale und Ungeplante einzufangen, jene Seiten an uns, für die wir uns uneingestanden schämen und sie deswegen tunlichst vor anderen verbergen.

Interessant ist auch der Ansatz, die gleiche Geschichte einmal aus ihrer ("Gegenspiel") und einmal aus seiner Sicht ("Fliehkräfte") zu erzählen.

Nichtsdestotrotz wurde ich mit Maria nicht ganz warm, konnte mich nicht in sie hineinfühlen – vielleicht weil sie sich selbst nicht spürt. Auf mich wirkte sie wie ein Blatt im Wind, das sich heute dieser, morgen jener Strömung hingibt und sich am Ende mit großen Augen fragt, warum es in gerade diesem Winkel der Erde gelandet ist, mit dem Gefühl, das Leben sei ungenutzt vorbeigeflossen. Wo sind sie hin die großen Träume und hehren Ziele der Jugend?

Bei mehr als einer Gelegenheit hätte ich Maria am liebsten geschüttelt, sie auf ihrem Weg zu sich selbst an der Hand genommen und vorangetrieben, sie gezwungen, sich aus der eigenverschuldeten Opferrolle zu befreien.

"Du bist hier, weil du es möchtest" – das muss man sich eben nicht nur vorsagen, sondern es auch leben.
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