Die Frage, was Rassismus eigentlich ist, wird derzeit in der Gesellschaft diskutiert: Nur, wenn es sich um angebliche menschliche Rassen geht? Muss man Rassist sein, um rassistisch zu handeln? Gibt es Rassismus gegen Weiße? Dieser Reader versucht, einige Antworten zu geben – und das gelingt eher mittelprächtig.
- Take-Away: Rassismus ist eigentlich gar nicht so schwer zu definieren. Die Frage ist, was der, der den Begriff verwendet, bezwecken will.
- Ein Buch für: Menschen, die über Ungerechtigkeit nachdenken wollen.
Für die meisten Deutschen ist Rassismus etwas, was man bei Nazis und Ausländerfeinden findet – und sonst eher selten. Ein Rassist ist jemand, der an die Existenz von Rassen oder zumindest die klare Abgrenzbarkeit von Menschengruppen aufgrund äußerlicher Merkmale laubt und Menschen unterschiedlich behandelt, jenachdem, zu welcher Gruppe er sie zuordnet. Ein Rassist ist nach weitverbreiteter Meinung gleichzusetzen mit einem Nazi.
Diese Deutung war jahrelang weitgehend unproblematisch. Gewalttätige Taten waren tabuisiert, der Alltagsrassismus konnte unter dem Tischtuch weiter gedeihen. Doch weil das Erstarken der AfD und mit ihr rechtsextremer Lager Rassismus salonfähig gemacht haben, trauen sich immer mehr Menschen, rassistische Kommentare zu äußern oder rassistisch zu handeln – um sich dann darüber zu beschweren, dass dieser Kommentar oder die Tat entsprechend eingeordnet wird. Insofern hat die AfD tatsächlich was gutes: Wir müssen uns mit Rassismus auseinandersetzen.
Tatsächlich ist diese Einordnung aber keineswegs klar und wird insofern diskutiert. Und ich bin mittendrin. Bin mir nämlich gar nicht so sicher, was Rassismus wirklich ist, was er nicht ist, bzw. welche Definition und sichtweise sinnvoll wäre. Ich störe mich instinktiv an der Aussage, es könne keinen Rassismus gegen Weiße geben. Je nach Definition ist das natürlich richtig. Allerdings frage ich mich, ob solche Definitionen, die also entweder nach Hautfarbe unterscheiden oder die eine Hautfarbe hernehmen, um etwas ganz anderes zu bezeichnen, wirklich zielführend sind, wenn es darum geht, Menschen dabei zu helfen, andere Menschen nicht nach Äußerlichkeiten zu bewerten.
Und so mache ich mich seit einer Weile auf die Suche nach eben jenen Definitionen und Gedanken. Gar nicht so leicht, sie zu finden. Auch in dem vorliegenden Reader nicht. Hier sind zwar viele tolle Theoretiker und Praktiker versammelt, die sich mit Rassismus beschäftigen und ihn bekämpfen und sich in tollen Texten intensiv und lehrreich mit der Thematik auseinandersetzen. Eine entsprechende Definition liefern sie aber nicht. Aus ihren Texten wird allerdings auch nicht klar, ob sie die fragliche Aussage tätigen würden oder nicht.
Insofern bin ich bisher nicht sehr weit gekommen. Das Buch ist dennoch lesenswert. Es ist ein guter Querschnitt, die Texte sind fast alle ziemlich wissenschaftlich, die meisten dennoch gut zu lesen. Thematisch werden neben grundsätzlichen Gedanken auch der Postkolonialismus und Gender besprochen, wobei die Abgrenzung der Texte nicht ganz klar ist. Besonders gut gafallen haben mir die Beiträge von Stuart Hall, von dem ich mehr lesen werde, von Mark Terkessidis und von Angela Davis. Ich finde naturgemäß nicht alles gut, was in diesem Buch steht, würde vieles diskutieren. Aber es ist ein Buch, dass mir viel beigebracht hat und meine Gedankenangeregt hat.
Layout und Aufmachung sind wie bei Reclam bekannt spartanisch. Schöne wäre aber gewesen, etwas mehr über die Autoren, ihre zentralen Thesen, wichtigsten Werke, gegenwärtiges Schaffen usw. zu erfahren.