Rezension zu "Das Ende von Eden" von Stephen Amidon
Ein ungemein packender Einstieg, ein rasanter Erzählstil voller Witz, der sich auch so toller Ausdrücke bedient wie „Armleuchter“, und Schilderungen enthält, die mich laut heraus lachen lassen. „Sein Blick war fest auf die Cops gerichtet, seine Stirn so stark gerunzelt, dass es aussah, als befände er sich im Anfangsstadiums eines Schlaganfalls. Er sagte kein Wort, während er auf sie zukam, als ob er bereits den Rat seines Anwalts befolgte.“
Eden, die Tochter der alleinerziehenden Aussenseiterin Danielle Perry, ist tot. Die Hauptverdächtigen sind drei Teenager, die in jener Nacht zusammen mit ihr gefeiert haben. Die Polizei nimmt Ermittlungen auf; die Eltern der drei Teenies tun, was Eltern eben so tun – sie stellen sich vor ihre Kinder. Und schützen sich damit auch selber, denn sie auch sie haben einiges zu verbergen.
Ein Mord in Emerson, einem reichen Vorort in Neuengland, ist zwar aussergewöhnlich, doch die Gerüchte und die Spekulationen auf Twitter ist so in etwa das, was heutzutage wohl überall auf der Welt gängig ist. „Das rief einem in Erinnerung, dass auch sie hier trotz Alarmanlagen, der Bewaffnung und der Polizeikräfte, die besser ausgerüstet waren als die Armeen so mancher Drittweltländer, verwundbar waren.“
Wie Autor Stephen Amidon, in Chicago geboren, viele Jahre als Journalist in London tätig, heute zwischen Massachusetts und Turin pendelnd, diese Eltern, ihr Verhältnis zueinander und zu ihren Kindern schildert, ist ungemein fesselnd und macht überzeugend deutlich, dass nichts so ist, wie es scheint, und nichts so sein darf, wie es ist. Dazu kommt, dass dieser Kriminalroman mit überaus witzigen Charakterisierungen gespickt ist. „Er klang nicht besorgt, doch das tat er ja nie. Oliver war der Typ Mann, dessen Herz in einer Krise eher noch langsamer schlug.“
Überaus gekonnt wird hier geschildert, was für eine schwierige, vertrackte, ja so recht eigentlich unlösbare Aufgabe die Erziehung von Jugendlichen ist. Was ist zumutbar, was die richtige Strategie, was ein gesundes Mass? Es spricht auch für diesen Roman, dass er nicht mit einfachen Antworten aufwartet, sondern die Prozesse so komplex und verwickelt schildert wie sie nun mal sind.
So spannend Das Ende von Eden erzählt wird, es ist weit mehr als ein Kriminalroman. Ja, so recht eigentlich ist es ein Porträt der Alltagsschwierigkeiten von materiell gut gestellten Leuten, ihren Kompromissen und Lügen, ihrer Heimlichtuerei, die sich als Rücksichtnahme maskiert, ihrer tendenziell unzufriedenen Doppelleben. Apropos materiell gut gestellt: hervorragend, wie der Autor, nachdem einer der Protagonisten gerade, ohne zu bezahlen. den Supermarkt verlässt, unsere gesellschaftlichen Zuschreibungen ad absurdum führt. „Unvorstellbar, dass er einen Ladendiebstahl begehen könnte. Er war ein weisser Mann mit einem Hundertdollarhaarschnitt und einem italienischen Zweitausenddollaranzug, der mit erhobenem Kinn und durchgedrücktem Rückgrat dahinschritt. Leute wie er begingen keinen Ladendiebstahl.“
Und auch dies zeigt Das Ende von Eden differenziert und eindringlich auf: Dass Menschen, die es zu Ansehen und Wohlstand gebracht haben, nie etwas einfach so tun, sondern immer etwas dafür haben wollen. Als ein Klient sich bei seinem Anwalt für das Handy bedankt, das ihm dieser zur Verfügung stellt, erwidert dieser: „Danken Sie mir nicht zu sehr. Es wird auf Ihrer Rechnung stehen.“ Und auch die Justiz, diese theatralische Inszenierung von Gerechtigkeit, kriegt ihr Fett ab. Als der vermeintliche Mörder ihrer Tochter angeklagt wird, denkt die Mutter: „...trotz der Schmierentheateratmosphäre besänftigte diese Vorstellung ihre Zweifel. Es war eine Show, aber eine professionelle, gut finanziert und reibungslos im Ablauf, für ihr Kind inszeniert.“
Einer der Protagonisten ist Alkoholiker. „Eine von Gabis Therapeutinnen hatte einmal gesagt, dass alle Süchtigen am Ende zu der gleichen Person wurden, egal wie ihre Vorgeschichte war.“ Besser kann man die Vorstellung, Alkohol würde die wahre Persönlichkeit hervorbringen, kaum kontern. Und auch wenn man nicht viel von Therapeuten hält, so sind sie zumeist, „gute Leute, besonders verglichen mit den Scharen von eklatanten Arschlöchern, die in diesem Land unterwegs waren.“
Stephen Amidon ist mit Das Ende von Eden eine spannungsgeladene Geschichte darüber gelungen, was der Selbsterhaltungstrieb, der sich nicht um Moral kümmert, mit den Menschen alles macht. Dass dabei auch eine überzeugende Charakterstudie sogenannt guter Kreise herausgekommen ist, macht dieses Buch zu einem eigentlichen Meisterwerk.