Cover des Buches Alle, alle lieben dich (ISBN: 9783498050382)
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Rezension zu Alle, alle lieben dich von Stewart O′Nan

Rezension zu "Alle, alle lieben dich" von Stewart O'Nan

von Wolkenatlas vor 15 Jahren

Rezension

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Wolkenatlasvor 15 Jahren
Stewart O’Nan hat mit seinem neuesten Roman einen (auf den ersten Blick) literarischen Thriller (so ein Zitat am Rückcover) vorgelegt. Ist „Alle, alle lieben Dich“ wirklich ein Thriller? Meiner Meinung nach, eindeutig nein. „Alle, alle lieben Dich“ (Orig. "Songs for the Missing") ist ein subtiles, einfühlsames Portrait von Menschen in einer amerikanischen Kleinstadt (Kingsville), die ihre Tochter, die Schwester, den liebsten Menschen, die beste Freundin oder einfach eine Kameradin verloren haben. Ein hochliterarisches Psychogram von Menschen im Ausnahmezustand. Als die achtzehnjährige Kim an einem Sommerferientag; die Schule ist für immer vorbei, die Universität naht mit großen Schritten- spurlos auf dem Weg vom Schwimmen zur Arbeit verschwindet, bricht für ihre Eltern, Freunde und Schwester eine Welt zusammen. Hier beginnt der eigentliche Roman von Stewart O’Nan, der es auf beeindruckende Weise vermeidet, aus dieser Geschichte auch nur etwas annähernd Kriminalistisches zu machen. Genau da liegt auch die absolute Stärke dieses Romans. Durch wechselnde Erzählperspektiven wird man als Leser Zeuge der durch diesen tragischen Vorfall bedingten Veränderungen im Leben der Protagonisten. Man lebt mit, man staunt ob der präzisen Beobachtungen Stewart O’Nans. Man ist in diesem Netz von feiner, unprätentiöser Prosa gefangen und ist berauscht von Sätzen, die einem das Herz stocken lassen. Wunderbar einfühlsam beleuchtet Stewart O’Nan auch die sich verändernden Beziehungen zwischen den Protagonisten. Während sich Kims Vater (nach einer fast überdreht aktiven ersten Phase) fast apathisch in sich zurückzieht, reißt die Mutter das Zepter an sich und kümmert sich mit größter Hingabe um Spendenaufrufe, Radio- und Fernsehinterviews, sowie alle anderen organisatorischen Momente. Auch Lindsay, Kims Schwester muss einen langen und harten Weg gehen, um sich aus dem Schatten der älteren Schwester zu lösen. Ein Weg, der erst im auflösenden Schlussteil (und den genialen Schlusssätzen) sein Ziel findet. Wunderbar beleuchtet sind auch die Schicksale von J.P., Kims Freund und Nina, Kims Freundin, die als Teil der „Badeclique“ zu den letzten gehören, die Kim gesehen haben. Viel passiert (abgesehen vom Verschwinden Kims) in diesem Roman nicht, Liebhaber von abwechslungsreicher, schneller und aufregender Handlung werden mit diesem Buch wahrscheinlich nicht glücklich werden. „Alle, alle lieben Dich“ ist einerseits ein trauriges Buch; es ist aber gleichzeitig auch ein sehr starkes, stilles, aufbauendes und leuchtendes Buch. Es ist ein Roman, den gelesen zu haben aber sehr glücklich macht, weil er ein wunderbar überzeugendes Plädoyer für Liebe, Glaube und Hoffnung ist, auch wenn Stewart O’Nan dem Leser ein herkömmliches Happy End verwehrt. Grandios. Absolute Empfehlung.
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