Rezension zu Letzte Nacht von Stewart O′Nan
Rezension zu "Letzte Nacht" von Stewart O'Nan
von Archibald Pynchon-Light
Rezension
Archibald Pynchon-Lightvor 13 Jahren
Vier Tage vor Weihnachten öffnet Manny DeLeon zum letzten Mal vor der endgültigen Schließung die Filiale der Red-Lobster-Restaurantkette. Die melancholische Eröffnungsszene, in der er alle Maschinen und Geräte überprüft, immer im Bewusstsein, dieses Ritual zum letzten Mal durchzuführen, gibt die Grundstimmung des Buches vor. Manny ist ein guter Filialleiter, er liebt seine Arbeit und befolgt die Anweisungen der Zentrale. Die meisten Mitarbeiter sind an diesem Tag nicht mehr zur Arbeit erschienen und von denen, die gekommen sind, werden noch einige vor Ablauf ihrer Schicht verschwinden. Manny tut alles, um einen geregelten Ablauf zu sichern, so als handele es sich um einen ganz gewöhnlichen Tag. Vor dem Lokal herrscht ein Schneesturm, dem sich ohnehin niemand freiwillig aussetzen würde, und so sind die letzten Gäste eine Busladung chinesischer Touristen, die sich beim Muschelessen in einem anderen Restaurant den Magen verdorben haben und nur die Toilette benutzen möchten. Trotzdem wird der Abend nicht langweilig. Alte Feindschaften, interne Streitereien und Eifersüchteleien, kleine Racheakte, Liebeskummer und ein Stromausfall halten die Besetzung des Red Lobster auf Trab, ebenso wie diebische Großmütter, zänkische Mütter mit ihren verzogenen Kindern, unzuverlässige Schneeräumdienste, Trinkgeldknauserer und Gutscheinfuchser. Manny bekommt alles unter die Nase gerieben und jahrelang gehütete Dinge werden gesagt. Er begegnet allem gleichmäßig freundlich und stoisch. Doch in dieser Nacht wird er auch ein ums andere Mal über seinen Schatten springen. In den letzten Minuten vor Geschäftsschluss warten sie gemeinsam vor dem Fernseher auf die Ziehung der Lottozahlen, immerhin geht es um einen Jackpot von 325 Millionen Dollar. Die Gelegenheit für einen billigen Knalleffekt bleibt vom Autor glücklicherweise ungenutzt. Es braucht keine Naturkatastrophe oder einen Lottogewinn, um die Dramatik in dieser Nacht deutlich zu machen. Als Film wäre „Letzte Nacht“ einer jener bittersüßen Kleinstadtfilme, die mitten ins Herz treffen. Für die Verfilmung wünsche ich mir dann folgendes Ende: Die Kamera fährt sachte von den erleuchteten Fenstern rückwärts in die Dunkelheit, während die orchestrale Musik langsam verklingt und vom Einsatz eines Dylan-Songs abgelöst wird. Abspann.