Cover des Buches Die Erfindung der Flügel (ISBN: 9783442717071)
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Rezension zu Die Erfindung der Flügel von Sue Monk Kidd

Eloquente Geschichtsschreibung

von Helen13 vor 6 Jahren

Rezension

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Helen13vor 6 Jahren
Diese Geschichte erkläre ich für mich persönlich schon jetzt zum „Buch des Jahres“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein anderes Buch diesen Platz in meiner Bücherwelt einnehmen könnte. Von Sue Monk Kidd kannte ich bisher nur den Film „Die Bienenhüterin“, der auf ihrem Roman „The secret lives of bees“ basiert. Nun die neue Geschichte „Die Erfindung der Flügel“ („The invention of wings“) zu lesen erzeugt ungeheuerliche Emotionen im Leser, sie fesselt in jedem Satz, sie ist so sprachgewaltig wie lange nichts, dass ich gelesen habe außer vielleicht Klassiker, wie Jane Eyre oder Wuthering Heights. Ich lese viel und sehr Verschiedenes. „Die Erfindung der Flügel“ nimmt einen ganz speziellen Platz ein. Warum? Die Geschichte berührt unglaublich viele Themen, ich zähle hier einige auf. Die Bedeutung der Sklaverei und der Sklaven im Leben der Bewohner der Südstaaten Amerikas im 19. Jahrhundert. Die Rolle der Abolitionisten in dieser Gesellschaft mit dem Versuch, Sklaverei für immer abzuschaffen. Die Rolle der Frauen in der Familie und Öffentlichkeit mit allen Restriktionen. Die Anfänge der Frauenbewegung in Amerika am Beispiel von Sarah und Angelina Grimké in Charleston, South Carolina, zwei Frauengestalten, die in der Geschichtsschreibung den Platz, den sie verdienen, nicht erhielten. Familienleben in einer restriktiven Gesellschaft wie die oben beschriebene. Das empfindliche Gefüge der Geschwister untereinander, auch hier die Unterdrückung der Mädchen. Nicht zuletzt das Zusammenleben von Herren und Sklaven in der amerikanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Dies wird erzählt und gezeigt am Beispiel der Familie Grimké und ihren Sklaven. Ganz besonders denen, die eng mit den Schwestern Sarah und Angelina in Berührung kommen, durch die Natur ihrer Arbeit, nämlich alles für diese beiden zu tun, was eine Dienerin hier tun muss. Die Geschichte wird abwechselnd von Sarah und Handful, ihrer Dienerin erzählt. Diese trägt offiziell den Namen Hetty Grimké als Eigentum der Herrschaft. Wir erhalten tiefe Einblicke in die Sicht der Sklaven auf ihr eigenes Leben und Leiden. Harte Arbeit, grausame Bestrafungen, ein Leben, das eines Menschen nicht würdig ist. Aus der Sicht der Herren allerdings ein gutes Leben, da ihre Diener ja ein Dach über dem Kopf haben sowie Essen und Kleidung. Eine zynische Sicht, die als „normal“ von denen, die sie besitzen, angesehen wird.
Der Weg von Sarah und Handful, angefangen vom Kindesalter bis hin zur Entwicklung als Frauen, ihre Stellung in ihren Familien, die Kämpfe, die sie austragen müssen lassen einen nicht los. Im Fall von Sarah sind es ihre herrschsüchtig, kalte und grausame Mutter. Von ihrem Vater wird sie später bitter enttäuscht und ihr Glaube an ihn und seine Liebe zu ihr zerstört. Handful lebt nur mit ihrer Mutter zusammen in einer Symbiose, die von den Umständen genährt wird, in denen sie leben müssen. Die Beziehung von Sarah und Handful über die Jahre wird tiefgehend geschildert, so wie alle Beziehungen zwischen den Charakteren in dieser Geschichte eindrucksvoll bloßgelegt werden. Die Sprache in diesem Roman ist voller Farbe und einer Eindringlichkeit, die einen nicht loslässt. Die ganze Geschichte ist hochkomplex, voller Personen, die wirklich gelebt haben und so noch kaum irgendwo geschildert wurden, außer vielleicht in historischen Abhandlungen. Eine hervorragende Stellung nimmt die Kunst des Quilt Nähens in dieser Geschichte ein. Des Quiltens als Instrument der persönlichen Geschichtsschreibung am Beispiel von Handfuls Mutter Charlotte. Auf Quilts lassen sich Lebensläufe ganzer Familien ablesen, gestaltet von begabten Künstlerinnen, die die Symbolik und Art des Herstellens in ihren Genen tragen, die sie aus Afrika mitgebracht haben. Handful führt die Kunst fort. Beide sind hochbegabte Näherinnen und verantwortlich für die gesamte Garderobe der Frauen in der Grimké Familie sowie Uniformen aller Sklaven im Haushalt, und das sind viele.
Dieses Sittenbild von Generationen im amerikanischen Süden führt seine Leser in eine Welt voller neuer Erfahrungen, geboren aus der Eloquenz der Sprache der Autorin. Es wird nichts ausgelassen, alles wird erzählt, die Liebe, die Trauer, die Dramatik des Zeitgeschehens für alle, Männer wie Frauen, in der weißen und schwarzen Welt dieser Gesellschaft, die eine Zeit scheinbar untrennbar verbunden waren.
Es ist kein Wunder, dass dieses Buch monatelang die Bestsellerliste in den USA anführte und dass Oprah Winfrey sich die Filmrechte gesichert hat. Sehr zu empfehlen, nein, eine Lesepflicht für Leser, die mehr wissen möchten über die dunklen Kapitel der Vereinigten Staaten von Amerika, die viel später in der Bewegung der Schwarzen angeführt von Martin Luther King und anderen Größen dieser bahnbrechenden Vorgänge der Sechziger Jahre gipfelte. Wie es weiterging erleben wir bis heute.
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