Rezension zu "Hush Money (Talent Chronicles)" von Susan Bischoff
Die Idee kennt man schon - allerdings eher aus Comics und Filmen als aus Romanen: Es gibt immer mehr Jugendliche mit Superkräften wie Telekinese, unglaublicher Stärke, Röntgenblick oder der Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen. Die Menschen haben natürlich Angst vor diesen sogenannten "Talenten", die ihnen fremd und unverständlich sind. Dementsprechend ist es für Eltern Pflicht, ihre eigenen Kinder registrieren zu lassen, wenn sie solche Fähigkeiten entwickeln. Wenn unregistrierte Talente entdeckt werden, werden sie von Regierungsbeamten abgeholt, wenn nötig mit Gewalt, und auf eine staatliche Schule geschickt, wo sie angeblich zu ihrem eigenen Besten lernen sollen, mit ihren Kräften umzugehen. Aber Gerüchte sprechen von Folter, Schlafentzug und anderen unmenschlichen Methoden...
Die 17-jährige Joss ist ein Talent, und bisher hat sie es mit Hilfe ihrer Eltern geschafft, sich nicht zu verraten. Von klein auf hat sie gelernt, sich unauffällig zu verhalten. Freunde erlaubt ihr Vater ihr nicht - zu groß ist die Gefahr, dass Joss sich ihnen gegenüber verplappert oder anderweitig ihr Talent enthüllt. Ihre Noten sind stets durchschnittlich, ihre Kleidung unauffällig... Das Leben ist ziemlich trist und langweilig für das Mädchen.
All das ändert sich, als Kat, eine neue Mitschülerin, beschließt, sich mit Joss anzufreunden - wenn nötig auch gegen deren Willen. Als sie Joss gegen einen Jungen beisteht, der sie schon seit Jahren peinigt, verrät Kat ausversehen ihr eigenes Talent, und damit nimmt Alles seinen Anfang...
Pro:
Die Charaktere haben mir größtenteils gut gefallen. Joss ist anfänglich nach außen hin eher eine graue Maus, stets bemüht, nicht aufzufallen... Aber da wir die Geschichte teilweise aus ihren Augen sehen, wird schnell klar, dass sie sehr intelligent ist und zu Sarkasmus und bösem Humor neigt. Man spürt oft richtig, wieviel Wut, Angst und Frust sie in sich hineinfressen muss.
Dylan, aus dessen Sicht ebenfalls viele der Szenen beschrieben sind, ist eigentlich der Sunnyboy der Schule, mit dem jedes Mädchen gerne ausgehen würde, aber auch er hat sein dunkles Geheimnis und ist hin- und hergerissen zwischen widerstreitenden Gefühlen. Er fühlt sich zu Joss hingezogen, aber sein bester "Freund" Marco lässt keine Gelegenheit aus, Joss zu demütigen und zu bedrohen. Und Dylan sind die Hände gebunden, denn Marco, der schon lange kein echter Freund mehr ist, kennt sein Geheimnis und kann ihn damit kontrollieren. Und noch viel schlimmer, er zwingt Dylan, Dinge zu tun, die er von sich aus nie tun würde.
Kat ist dafür, dass sie ein Talent ist, erstaunlich unbefangen und manchmal regelrecht naiv, aber ich fand sehr sympathisch, wie selbstverständlich sie sich für andere Leute einsetzt und sie verteidigt, auch wenn sie sich selber damit in Gefahr bringt.
An Marco hat mir gut gefallen, dass er zwar ein richtiges Ekelpaket ist, aber dennoch keine eindimensionale Pappfigur. Er hat es auch nicht einfach gehabt im Leben, nur hat er irgendwann beschlossen, sich einfach zu nehmen, was er will.
Bei allen Charakteren ist noch Luft nach oben, was die Entwicklung betrifft, aber die Autorin hat gute Grundlagen gelegt, die in den nächsten Bänden hoffentlich weiter ausgebaut werden.
Der Schreibstil ist locker und umgangssprachlich, so dass die Personen wirklich klingen wie ganz normale Jugendliche. Die Autorin übertreibt es dabei nicht zu sehr mit der Jugendsprache und vermeidet so, dass es aufgesetzt und gekünstelt klingt.
Normal lasse ich den Preis nicht mit in die Bewertung einfließen, aber das Buch ist mit €0,75 für die Kindle-Ausgabe wirklich unschlagbar günstig - und das verbunden mit dem relativ einfachen Schreibstil macht es zu einem idealen Buch für Leser, die für kleines Geld mal ausprobieren wollen, einen Roman auf Englisch zu lesen.
Kontra:
Wie schon gesagt, ist die Grundidee nicht neu: X-Men und Teen Mutants lassen grüßen. Meiner Meinung nach bringt die Autorin auch nicht wirklich viel Neues in ihren Roman ein, was ihn unverwechselbarer und innovativer machen würde.
Die erste Hälfte des Buches hat mir noch ganz gut gefallen, danach erschien es mir aber zunehmend unglaubwürdig und verworren. Zwischendurch hatte ich fast den Eindruck, dass die Hälfte der Schüler an Joss Schule heimlich Talente waren - plötzlich häuften sich die ziemlich übertriebenen Action-Szenen, wobei der rote Faden ein wenig verloren ging. Ulkigerweise fand ich die ersten Kapitel, in denen es hauptsächlich um Joss und ihre Gefühlswelt ging, spannender als die späteren Kapitel, in denen buchstäblich die Fetzen flogen. Das Ende kam mir dann ein bisschen zu abrupt, und es hat mich auch nicht wirklich überzeugt.
Ab einem gewissen Punkt fand ich nicht mehr glaubwürdig, wie sich Joss entwickelte: von der schweigsamen Außenseiterin, die von klein auf darauf gedrillt wurde, immer zu allererst an ihre eigene Sicherheit zu denken und die in einer Szene relativ am Anfang sogar tatenlos daneben steht, als eine Mitschülerin sexuell belästigt wird (!!!), nur um sich selbst nicht zu verraten, zur mutigen Anführerin, die ihr Talent entschlossen einsetzt, um Anderen zu helfen... Das hätte sich für mein Empfinden etwas langsamer entwickeln müssen und nicht von einer Szene zur anderen.
Zusammenfassung:
Trotz aller Schwächen war das Buch unterhaltsam und macht neugierig auf die nächsten Bände. Die Kritiken auf der amerikanischen Seite von Amazon zu Band 2 sind sehr einheitlich positiv, deswegen bin ich ziemlich optimistisch!