Ich vergebe selten alle Sterne, aber dieses Buch hat es verdient! Ich habe die knapp 500 Seiten in drei Tagen gelesen und war geflashed. Die Handlung finde ich gut und immer spannend, die erotischen Szenen sind geschmackvoll in angemessener Sprache formuliert. Die Geschichte der Muschelöffnerin Nancy -- schon die Doppeldeutigkeit dieses Titels ist genial -- in London um 1890 ist alles Andere als verstaubt sondern, wie ich finde auch heute, 30 Jahre nach der Niederschrift des Romans top modern. Vom Coming out mit Kitty über die Phase als StricheriIn zu einer dominanten Diana, um dann bei Flo(rence) in einem sicheren Hafen zu landen. Hier wird die Gender-Diskussion schon 1998 eindrücklich illustriert. Mein Kompliment!
Susanne Amrain
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So geheim und vertraut
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Neue Rezensionen zu Susanne Amrain
Den ersten Teil würde ich als den naiv-romantischen bezeichnen wollen, den zweiten als den verdorben-erotischen und den dritten als tiefgründig-reifen Lebensabschnitt. Die Protagonistin macht eine vielfältige und komplexe Entwicklung durch. Nach ihrer vollständigen Entwurzelung und dem Bruch mit ihrer kindlichen Emotionalität, lässt sie sich ohne Orientierung und Halt umfangen von dunklen Gefühlen und einer Welt des äußeren Scheins. In Person der Nancy werden viele Facetten von Liebe erlebbar, vom tiefsten Hingerissensein zu einer Person über den routinierten Wechsel von Sexualpartnern bis zur bewussten und reifen Entscheidung für einen geliebten Menschen.
Dabei sind alle Brüche völlig nachvollziehbar gezeichnet: die erste große Liebe, die alles ausfüllt, alles bisherige unbedeutend erscheinen lässt und eine Perspektive fürs ganze Leben zu geben scheint, das verhärtete Herz und der Wunsch nach Rache, der sich in einem geschäftsmäßigen Abarbeiten von Sexualpartnern ausdrückt, die Hindernisse auf dem Weg, sich wieder auf die Liebe einzulassen.
Die Protagonistin ist eher unauffällig, aber nicht unbegabt. Anfangs erlebt man sie als unselbstständig und wenig selbstbestimmt, dann als leeres Gefäß, als ziellose Person, die sich selbst vergessen hat. Rührend sagt sie gegen Ende des Buches über sich selbst: „Ach, ich habe das Gefühl, als hätte ich mein ganzes Leben lang aufgesagt, was andere geschrieben haben. Und jetzt, wo ich zu dir sprechen will, merke ich, dass ich es fast nicht kann.“
Der Erzählstil der Autorin gefällt mit besonders gut. Sie wählt eine interessante Form der Ich-Erzählung. Die Geschichte macht sie zu ihrer eigenen und erzählt sie rückblickend dem Leser. Dabei wechselt sie zwischen ihrem jetzigen Ich und ihrem damaligen. Auf diese Weise schafft sie eine große Nähe zur Hauptfigur und kann gleichzeitig eine distanzierte und kritische Position einnehmen. So war ich damals... Ich wusste noch nicht viel... Dadurch, dass sie den Leser immer wieder aus der Geschichte heraus und beiseite nimmt, schafft sie gleichzeitig ein persönliches Verhältnis zwischen sich und ihm.
Im Allgemeinen schreibt die Autorin sehr lebendig und schwungvoll. Gerade den Beginn des Buches, als sie den Leser im Geiste mit in die Vergangenheit nimmt und ihm ihre Familie vorstellt, finde ich sehr gelungen. „Und haben sie (…) eine Frau gesehen, die konzentriert in die Dampfwolken blickte, welche aus einem Topf mit kochender Austernsuppe aufstiegen (…). Das war meine Mutter. Und stand neben ihr vielleicht ein schmales, nicht weiter bemerkenswertes Mädchen mit sehr blassem Gesicht (…)? Das war ich.“
Der Erzählstil gefällt mir also insgesamt sehr gut. Lediglich viele Gedankeneinschübe führen stellenweise zu langen Sätzen, die für mich nicht immer auf Anhieb verständlich waren. Weniger gefielen mir auch die vielen ordinären Ausdrücke im Mittelteil des Buches.
Ich habe die Geschichte gelesen, weil ich ein ehrliches Interesse daran hatte zu erfahren, welche Wirkung eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen auf einen (schwulen) Mann haben kann. Und ja... Ich war begeistert.
Ich kann für mich sagen, dass es gleichgültig ist, ob eine Liebesgeschichte von Mann und Frau, zwei Männern oder zwei Frauen handelt. Es ist immer das Entbrennen für den anderen, es ist immer der Wunsch zusammen zu bleiben in Liebe, es ist immer die richtige Entscheidung. Ich bin gleichermaßen bewegt.
Dabei bot diese Liebesgeschichte darüber hinaus für mich interessante Einblicke zum Thema Geschlechtsidentität. Beispielsweise fand ich es sehr interessant zu lesen, dass eine Kurzhaarfrisur oder das Tragen von Hosen die Zufriedenheit der Protagonisten mit sich selbst und auch ihre Libido steigerte, dass sie sich so gekleidet und frisiert, richtig in ihrer Rolle und ihrer Liebe fühlte.
Kurz: Ich mag diesen Roman sehr. Der romantische Teil hat mich sofort eingefangen, der verruchte Mittelteil fast rausgeworfen, der Schlussteil hat alles mehr als aufgewogen. Eine wirklich abwechslungsreiche Liebesgeschichte, der ich 5 von 5 Sternen gebe. Ich werde bestimmt noch mehr von der Autorin lesen.
Nancy wird an der Küste als Kind von Austernfischern groß. Ihr Leben besteht darin, Austern zu öffnen, die im Anschluss zubereitet werden. Einzige Abwechslung bieten ihr die Besuche des nahegelegenden Theaters zusammen mit ihrer Schwester. Eines Tag erblickt sie dort Miss Kitty Butler, die in Männerkleidung auf der Bühne einige verschmitzte Lieder singt. Nancy ist sofort hingerissen und strebt zu Kitty. Und tatsächlich scheint Kitty auch von Nancy angetan zu sein und macht ihr wenig später das Angebot, mit ihr nach London zu kommen. Doch dies ist nur die erste Episode des aufregenden Lebens von Nan.
Sarah Waters versteht es hier, große Gefühle verständlich zu machen. Niemals wird der umfassende Roman langweilig. Die anhaltende Passivität der Hauptfigur, die auch eher wie eine Auster in den Wellen zwischen verschiedenen Lebensentwürfen hin- und hergespült wird, scheint mitunter enervierend, kann im letzten Kapitel aber reflektiert und verändert werden.
Das Besondere an diesem Roman ist meines Erachtens die geschmackvolle Darstellung von Erotik, die für die Hauptfigur ein elementarer Bestandteil ihres Lebens sein wird. Die Liebesszenen rutschen jedoch nicht in die Pornografie ab.
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