Rezension zu "Durstiges Land" von Annika Joeres
Entwurf
Zitate aus dem Rezensionsbuch
S. 4: "Über das Buch
Lange hieß es, Deutschland sei ein wasser-reiches Land. Mittlerweile sind sich Forschen-de einig: Auch hierzulande wird es gefährlich trockene Zeiten geben. Dieses Buch begleitet fiktive Protagonisten in eine nahe Zukunft. Sechs Menschen erleben zwei mögliche Welten in den von der Klimakrise gezeichneten 2040er-Jahren. Durch sie können wir erkennen, wie sich existenzielle Wassernot anfühlt – und was sie für den Alltag, unseren Wohlstand und den Zusammenhalt der Gesellschaft bedeutet.
In einer Version, dem Worst Case, wird um Wasser gerungen, Landschaften sind zerstört, die Gesellschaft ist zerrissen. Die andere Version, der Best Case, erzählt von einem Alltag, in dem die Politik rechtzeitig reagiert hat und die Menschen gelernt haben, mit dem knappen Gut auszukommen. Die dramatischen Geschichten haben einen realen Hintergrund und basieren auf zahlreichen Studien und Interviews mit Wissenschaftlern. Die Klima- und Wasserkrise sind kein Schicksal, es liegt an allen, sie zu erkennen und entschieden zu bekämpfen.
S. 7-9: "Vorwort: Sechs Reisen in die Wasserkrise der Zukunft
Wenn wir neue Planeten im Weltraum entdecken, stellt sich als Erstes die
Frage: Gibt es dort Wasser? Ohne Wasser ist kein Leben möglich, nirgendwo.
Deshalb sollte auch für unsere Erde die Frage beantwortet werden, ob dieses
lebenswichtige Gut künftig noch ausreichend vorhanden sein wird. Und wie
wir mit seiner Verknappung leben können. Unsere sechs Geschichten spielen
in der nahen Zukunft, die viele von uns noch erleben werden. Dieses Buch
nimmt Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit auf die Reise in bevorstehende
Wasserkrise n. Es ist eine Reise der besonderen Art: Das ›Durstige Land‹
erscheint im Sommer 2023 – und wir als Gesellschaft entscheiden darüber,
welches Ende wir in den 2040er-Jahren erleben werden. Richtig, Sie, wir alle entscheiden darüber. Und nach der Lektüre werden Sie verstehen, warum diese Entscheidung so überlebenswichtig und essenziell ist.
Wir überlassen es Ihnen, ob Sie die Dystopie für wahrscheinlich halten
oder doch lieber eine transformierte, aber noch halbwegs lebenswerte Welt
wählen. Diese Entscheidung ist keine fiktive – so wie in diesen Geschichten.
Diese Entscheidung treffen Sie jeden Tag. Wie wir konsumieren und wie wir
in demokratischen Wahlen entscheiden, wird unsere zukünftige Lebensweise bestimmen.
Vielleicht wundern Sie sich gerade, warum wir dafür aus der Zukunftsperspektive erzählen und damit eine Fiktion entwerfen. Doch die
Gründe sind naheliegend: Wenn es um die Klimakrise geht, sprechen wir
über eine künftige Welt, die nächsten Generationen und darüber, was wir
heute tun können, um die Folgen für morgen einzudämmen. Die Fakten
kennen wir. Wer Klimaschutz verhindert und wie wir uns auf eine heißere
Welt vorbereiten, haben wir in unseren Büchern ›Die Klimaschmutzlobby‹
(2020) und ›Klima außer Kontrolle‹ (2022) gezeigt. Doch häufig fehlt uns die
Fähigkeit, uns wirklich vorzustellen, was Klimaszenarien und Prognosen für
unser Leben tatsächlich bedeuten.
Als Journalistinnen sind wir zudem täglich mit wissenschaftlichen
Studien, Berichten und Aussagen konfrontiert, die in letzter Konsequenz
häufig unvorstellbare Brüche mit unserer heutigen Normalität bedeuten.
Allein der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates beschreibt eine neue
Welt, die wenig mit unserem gegenwärtigen Leben zu tun hat. Die wenigsten
können sich ausmalen, was die zahlreichen Diagramme und Zahlenkolonnen
aus der Forschung bedeuten. Den Alltag, wie wir ihn heute kennen, wird
es – egal ob unter einem optimistischen oder dramatischen Szenario – so
nicht mehr geben. Vor der Arbeit an diesem Buch haben wir uns deshalb
gefragt: Wie können wir die Zukunft anschaulich beschreiben, wie werden
aus abstrakten Szenarien und Graphen glaubhafte Geschichten?
Für die sechs folgenden Erzählungen haben wir wissenschaftliche
Prognosen, Klimaszenarien, Trends und Beobachtungen in die fiktive
Lebenswelt unserer Protagonistinnen und Protagonisten übertragen. Dieses
Buch fokussiert sich dabei auf einen Aspekt der Klimakrise , der bisher zu
Unrecht viel zu kurz kam: die Wasserkrise .
Die Vorstellung, dass wir alles im Griff haben, ist eine Illusion – und dazu
noch eine gefährliche. Denn Wasser ist keine Ressource, die wir beliebig
herstellen können. Wasser verbrauchen wir. Wir können es nur sparen,
recyclen, umleiten, filtern oder aufwendig entsalzen – aber wir können
Wasser nicht im Labor oder einer Fabrik produzieren. Wir können es auch
nicht aus anderen Ländern in großen Mengen einkaufen, schon gar nicht,
wenn das existenzielle Gut auch in den Nachbarstaaten knapp wird.
Unsere sechs Geschichten zeigen eindrücklich, was uns erwartet, wenn wir
die Warnungen der Wissenschaft ignorieren und weiter ein Lebens- und
Wirtschaftsmodell aufrechterhalten, das die Natur und damit zwangsläufig
uns selbst zerstört. Wir erzählen Geschichten auf neue Weise: Wir entwerfen
jeweils zwei Versionen, einen Worst Case und einen Best Case . Im Worst
Case gehen wir vom Schlimmsten aus: Das Wasser fehlt, und der Gesellschaft
ist es nicht gelungen, die knappe Ressource fair zu verteilen und sinnvoll zu
nutzen, etwa in der Landwirtschaft oder im Tourismus . Im Best Case ist das
Wasser immer noch knapp – aber in diesem Fall wurden Möglichkeiten
gefunden für eine gerechte Verteilung, und Maßnahmen ergriffen, um die
Wasserbestände zum Wohle aller zu schonen.
Natürlich gibt es allein im Weltklimabericht eine ganze Menge solcher
Szenarien, sie sind meist eine Mischung aus sozioökonomischen Annahmen
und einem prognostizierten Verlauf der CO 2 -Konzentration in der
Atmosphäre. Sie bedingen sich gegenseitig: So haben gesellschaftliche
Entwicklungen – etwa politische Reformen oder auch Nichtstun – direkte
Auswirkungen darauf, wie stark der Gehalt von Treibhausgasen in der
Atmosphäre steigt. Gleichzeitig haben die Verläufe der CO2 -Kurve aber auch Folgen
für die Gesellschaften – zum Beispiel dramatische wirtschaftliche Einbußen durch Extremwetter und folglich politische
Instabilität. Der Bericht versammelt Hunderte solcher Beispiele, häufig heißt
es dann formal: »X passiert sehr wahrscheinlich, wenn Y und Z eintreten.«
Solche konkreten Wahrscheinlichkeiten können und wollen wir in diesem
Buch nicht im Einzelnen betrachten. Wir wollen vielmehr größere
Zusammenhänge zeigen und sie in unsere Lebenswirklichkeit holen. Daher
beschränken wir uns auf eine beschwerliche, harte und ungerechte Zukunft
und eine lebenswerte, innovative Zukunft – und zeigen damit die
Extrembereiche.
Aus der Perspektive von Paula, Feti, Georg, Miriam, Romain und Alina
können Sie miterleben, wie sich existenzielle Wassernot anfühlt – und was
das für den Alltag, unseren Wohlstand und den Zusammenhalt der
Gesellschaft bedeutet.
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Kap. 2: 2FETI UND DER FLUSS
»Es wird prognostiziert, dass die Häufigkeit und der Schweregrad von Niedrigwasser zunehmen werden, so dass Trockenheit und
Wasserknappheit in Westmitteleuropa schwerwiegender und anhaltender werden.« Weltklimarat 2021
Worst Case
Es ist immer noch unendlich heiß, Feti starrt in die nächtliche Schwärze und hofft, kein Licht zu
sehen. Allein sein auf dem Rhein, das will er, allein auf die Geräusche des Wassers unter seinem
Schiff lauschen. Hören, ob sein Leichtbauschiff es schaffen wird, den Fluss hochzufahren. Den
Fluss, der gerade mehr einem langen Band an Rinnsalen gleicht als dem Strom, an dem er als
Kind flache Steine über die Oberfläche hüpfen ließ.
Ein kühler Windhauch weht aus der Kombüse in die schwüle Nacht, direkt unter ihr lagern
tiefgekühlt fünf Tonnen Nordseekrabben , ein Vermögen wert. Meeresfrüchte sind so rar
geworden, dass sie heute verkauft werden wie früher mal Kaviar: In kleinen metallenen Dosen,
100 Gramm das Stück. Fetis Auftrag lautet, eine frische Ladung von Rotterdam nach Basel zu
schmuggeln, wie alle paar Wochen. Ein Industrieller aus der Pharma branche will mit den rosa
Tierchen seine Kunden beeindrucken. Feti ist schon Anfang 70, einer der erfahrensten
Schiffsführer auf dem Rhein, aber neuerdings trinkt er beim Fahren selbst gebrannten Schnaps,
das macht ihn reizbar. Sein Körper ist drahtig und aufrecht, auch heute noch wachsen ihm
pechschwarze Koteletten, über die seine Frau Rosa immer lacht, weil sie neben dem grauen
Haupthaar aussehen wie gefärbt. Aber die grau-schwarze Mischung passt zu seinem Charakter,
zu seinem zähen Äußeren und seinen Gedanken, die hinter der Stirn immer ältlicher und müder
abgleiten.
Nach vorne gucken, befiehlt er sich innerlich, auch wenn seine Lider schwer werden. Noch
immer ist alles schwarz, bis auf feine gelbe Schleier, die der Mond auf das Rheinufer zeichnet.
Er kann die verschlammten Baracken am Ufer nur erahnen. Manchen Villen an den
Promenaden zwischen Köln und Bonn fehlen die Fassaden, in einigen Zimmern ohne
Außenwände sind noch italienische Duschen zu erahnen, ausgefranste Parkettreste hängen über
der Abbruchkante, die eines der letzten Hochwasser gerissen hat. Viele dieser Häuser waren zu
dem Zeitpunkt ohnehin schon unbewohnt gewesen.