Rezension zu "Zu hoch hinaus" von Susanne M. Rüster
Auf diese Geschichte bin ich durch Zufall im Börsenblatt des Buchhandels gestoßen. Sofort war ich daran interessiert, die Location Berlin und als Hauptperson eine Kriminalrätin – dass versprach mir eine unterhaltsame Lektüre.
**** Vorsicht Spoiler *****
Kriminalrätin Marion Kraefft wechselt nach zehn Jahren Innenverwaltung in den aktiven Kriminaldienst in Berlin. Sie ist alleinerziehend, ihr 16jähriger Sohn geht noch zur Schule. Mit dem Vater ihres Sohnes versteht sie sich gut. Sie ist, und das ist ein Novum für Krimis, 58 Jahre alt, macht Yoga, sammelt Heilsteine und tönt sich ihre Haare damit sie keinen “Graukopf” hat.
Während eines Kartrennens stirbt die junge russische Architektin Polina Karova. Sie arbeitete für ein Berliner Bauunternehmen und war in Omsk, ihrer Heimatstadt, für ein Bauprojekt zuständig. Kriminalrätin Kraefft wird zum Tatort gerufen und schon beginnt erstes Kompetenzgerangel zwischen ihr und den Kollegen. Vor allem der ehrgeizige Hauptkommissar Beckmann beäugt sie kritisch.
So nach und nach enthüllen sich die menschlichen Strukturen in der Baufirma und auf einmal sind es dann auch mehrere Verdächtige. Selbst alte Stasi-Akten und DDR-Bespitzelung spielen eine Rolle. Neugierig haben mich außerdem die Tagebucheinträge von Polina Karova gemacht.
Die Geschichte wird in Kapiteln von Mittwoch 1. Juli bis Montag 6. Juli 2015 erzählt, mit jeweils einigen kleineren Unterkapiteln. Viele Protagonisten kommen zu Wort: Kriminalrätin Marion Kraefft, Hauptkommissar Beckmann, Kommissar Liwicki, Architektin Polina Karova, Geschäftsführer Arnold Karstaedt, Sekretärin Lotte Kraus, Juniorpartner Johann Ludwig Theissen, Michail Petrov (Freund von Polina Karova), Rechtsmedizinerin Dr. Howe, Rechtsanwältin Alexandra May.
Es kann etwas verwirrend sein, da auch aus fast jeder Sicht dieser Protagonisten erzählt wird. Das Positive daran ist, das ich als Leser eine Art Rundumsicht von den Beziehungen und den anderen Figuren erhalte. Dies ist durchaus interessant, wirkt aber manchmal etwas konstruiert. So z.B. auch als Kriminalrätin Kraefft mit ihrem Sohn telefoniert und ihn zu einem Bier einladen will (!). Das und ähnliche Telefonate erschienen mir oft „unpassend zu der gerade aktuellen Handlung.
Der Handlungsort Berlin war gut gewählt, auch wenn ich mir mehr Lokalkolorit gewünscht hätte. Es wurden zwar Straßen und Plätze benannt, das war mir aber zu wenig. Hingegen war die Beschreibung von Kriminalrätin Kraefft und ihren Befürchtungen, ob Notizbuch und Stift im Außendienst noch aktuell sind oder ob alle ihre Ermittlungsnotizen ins Smartphone eingeben werden, sehr nachvollziehbar. Überhaupt, ihre stellenweise unsichere oder auch „ungelenke Art“ nach zehn Jahren wieder an einem Tatort die Ermittlungen zu beginnen, sind sehr glaubhaft dargestellt. Nur fehlten mir die Beziehungen zu den Kollegen, was allerdings auch der Tatsache geschuldet ist, dass sie als Vorgesetzte neu anfängt.
Überhaupt, so richtige „Charakter-Typen“ fehlen irgendwie ganz. So lässt sich auch überhaupt nicht sagen, wie ein zweiter Band weitergehen würde, wenn die Figur der Kriminalrätin Kraefft in „Serie“ gehen soll. Ihre personelle Entscheidung nach der Aufklärung dieses Falls war überraschend. Ich bin mir nicht sicher, ob eine Fortsetzung geplant ist?
Fazit:
Für einen Berlin-Krimi hätte ich mir mehr Lokalkolorit gewünscht. Als Novum in diesem Genre würde ich das Alter der 58-jähringen Kriminalrätin ansehen, das findet man nicht oft. Die Geschichte war in sich schlüssig, allerdings fehlte mir persönlich noch der letzte „emotionale Kick“ und vielleicht auch noch ein kleiner Cliffhanger, die mich weiterlesen lassen würde.
Da andere bekannte Ermittlerfiguren auch mal „klein“ angefangen haben, möchte ich Kriminalrätin Kraefft gerne eine Chance geben und einen zweiten Band lesen. Allerdings weiß ich nicht, ob eine Fortsetzung geplant ist.