Vier ältere Damen unterschiedlicher „Couleur“ ziehen – nach Scheidung, Trennung bzw. Tod der Ehemänner und Lebensabschnittgefährten – zusammen in eine Wohnung und meistern gemeinsam ihren Alltag zwischen ersten Wehwehchen, neugewonnener Freiheit, amourösen Begegnungen sowie Freud und Leid um Kinder und Enkelkinder. Mehr braucht es nicht, um den Inhalt dieses Romans zu beschreiben.
Es hätte durchaus ein intelligenter Lesespaß, der generationsübergreifend für Erheiterung sorgt, werden können. Es hätte werden können…!
In den ersten vier Kapiteln werden „die Damen des Hauses“ von der Autorin Susanne Scholl sehr kurzweilig mit ihren Lebensgeschichten vorgestellt und liefern somit die Erklärung, warum sie sich zwangsläufig zu dieser Wohngemeinschaft zusammenfinden mussten. Die Autorin gibt gekonnt Einblicke in die Vita der jeweiligen Protagonistinnen und weckt Verständnis für die charakterlichen Besonderheiten ihrer Damen, die alle durch ihre individuellen Lebensumstände geprägt wurden. Dies geschieht auch sprachlich sehr ansprechend, weckt beim Leser die Neugier auf die weiteren Kapitel und schürt die Spannung auf den Moment, wenn diese sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten in der Wohngemeinschaft zusammentreffen bzw. aufeinanderprallen. Einem Psychogramm gleich taucht sie ein in die Gefühls- und Gedankenwelt der Frauen und lässt den Leser teilhaben. Es war mir eine Freude, dies zu lesen.
Ab Kapitel 5 glaubte ich plötzlich, einen anderen Roman zu lesen. Ich rieb mir erstaunt die Augen und konnte es kaum glauben, dass die nachfolgenden Kapitel von ein und derselben Person verfasst wurden. Für mein Empfinden hat sich der Schreibstil ab dem 5. Kapitel verändert, und ich fühlte mich plötzlich 30 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt: In den 90ern gab es mit „Neuer deutscher Frauenroman“ ein Genre auf dem Buchmarkt, das so bedeutende „Meisterwerke“ wie „Suche impotenten Mann fürs Leben“ und „Das Superweib“ hervorbrachte. Genau an diese Werke fühlte ich mich erinnert.
Während „die Damen des Hauses“ im ersten Teil sich meiner Sympathie sicher sein konnten, wirkten sie nun eher unbedeutend und verloren mit zunehmender Seitenzahl mein Interesse. Mir fehlten die Wärme in der Charakterisierung und das Verständnis in der Beschreibung ihrer allzu menschlichen Macken, und ich stellte mir die Frage, ob die Autorin ihre Heldinnen überhaupt mag.
Es wird gestritten, getriezt und geschrien. Statt scharfsinnige Weisheiten und heiter-ironische Bemerkungen folgen Dialoge auf Dialoge: Die Protagonistinnen reden sehr viel, haben aber wenig zu sagen. Ihre Beweggründe und somit ihre Gefühls- und Gedankenwelten bleiben dem Leser verborgen. Auch findet keine tiefer gehende Auseinandersetzung mit ihrer in den ersten vier Kapiteln beschriebenen Vergangenheit statt. Alles wirkt sehr oberflächlich, sehr plakativ: Ein Vertiefen in die Psyche der Damen wurde tunlichst vermieden. Und selbst in den wenigen wehmütig-anmutenden Situationen zieht es die Autorin vor, ihre Protagonistinnen sich lieber anzicken zu lassen als gegenseitige Solidarität zu bekunden.
Viele der momentan brisanten Themen unserer Zeit werden flüchtig aufgegriffen: Da bekommt Matteo Salvini aus Italien ebenso sein Fett weg, wie der Ex-Ehemann mit seinem frauenverachtenden Verhalten. Die lesbische Tochter heiratet und nimmt mit ihrer Ehefrau ein traumatisiertes Pflegekind auf. Eine andere Tochter unterstützt unbegleitete minderjährige Flüchtling. Als „Omas gegen rechts“ wird an Demonstrationen teilgenommen, und auch ein aktuelles „Meisterwerk der Literatur“ mit dem Titel „Fifty Shades of Grey“ wird in Zusammenhang mit Sex im Alter ebenso bemüht wie die Themen Demenz, Tod und Sterben. In der Summe ist es zu viel, im Detail zu wenig.
Es ist so schade! Wäre die Autorin ihrem anfangs gewählten Stil treugeblieben, hätte es vielleicht eine intelligente, warmherzige und humorvolle Lektüre, die mich bis zum Schluss begeistert, werden können.