Rezension zu "Das Paradies der Armen" von Suzanna Jansen
Das Totenbildchen ihrer Urgroßmutter Helena hat die Journalistin Suzanna Jansen bewegt, weit in die Vergangenheit ihrer Familie einzutauchen und schließlich ein Stück Niederländische Sozialgeschichte im Buch festzuhalten. Sie sichtet Dokumente, folgt den belegten Spuren ihrer Ahnen, und verknüpft dabei die Geschichte der Umerziehungsanstalt Veenhuizen mit ihrer eigenen Familiengeschichte. Dabei treten Fakten zutage, die für die noch lebenden Familienmitglieder überraschend und auch schmerzhaft sind.
Es beginnt mit ihrem Urahn Tobias, einem Soldaten, der über viele Stationen 1828 schließlich als Wächter mit seiner Familie in der neugegründeten und für die damaligen Verhältnisse geradezu revolutionären Umerziehungsanstalt Veenhuizen landet. Deren Gründer Johannes van den Bosch wollte tatsächlich die Lebensbedingungen der Armen verbessern und glaubte, das geeignete Mittel gefunden zu haben. Auch im weiteren Verlauf der Geschichte belegt die Autorin sehr eindrücklich, wie Reformen und Veränderungen durchaus im Sinne der dort zwangsweise untergebrachten Menschen gedacht waren. Allerdings gab es eine deutliche Diskrepanz zwischen den Ideen der meist weit entfernt Planenden und Einweisenden und den Wächtern vor Ort, die den Inhaftierten meist mit wenig Mitgefühl und Menschlichkeit begegneten. Vereinzelte Zeugnisse von Opfern dieser katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen belegen dies.
Interessant ist es auch, über die Rolle der Kirchen in der Geschichte der Armenfürsorge und der Familie der Autorin zu lesen. Denn die Zugehörigkeit zur falschen Kirche bedeutete soziale Ächtung und Verweigerung von Unterstützung. Einen Anspruch auf staatliche Armenfürsorge gab es erst spät. Die Entwicklung des Hilfesystems und die demütigenden Hürden, die es zu nehmen galt, werden sehr eindrücklich anhand Rozas Geschichte vermittelt. Abgeschlossen wird die Familiengeschichte dann mit der Mutter der Autorin.
Besonders beeindruckt hat mich die Gegenüberstellung der Lebensläufe von Tobias und Johannes van den Bosch. Es wird sehr deutlich, dass die unterschiedliche Herkunft der beiden Männer ihr komplettes weiteres Leben bestimmen und ihr Handeln wenig Einfluss auf ihre Stellung hat. Ebenso beindruckt haben mich die Frauen in der Geschichte, die trotz aller Widrigkeiten, Benachteiligungen und Unzulänglichkeiten ihrer Ehemänner für ihre Familien gekämpft haben und schließlich mit Roza den Armutskreislauf für ihre Kinder durchbrechen konnten.
Sehr gelungen finde ich die hochwertige und ansprechende Aufmachung des Buches. Das Coverfoto mit dem Sepiabild von zwei ernst dreinblickenden Kindern passt perfekt zum Inhalt. Zum besseren Verständnis der Familiengeschichte ist ein Stammbaum vorangestellt. Der Text wird durch viele Fotos von Familienmitgliedern, der Anstalt und von Dokumenten ergänzt.
Nach leichten Startschwierigkeiten hat mich dieses Buch dann doch sehr beeindruckt. Suzanna Jansen ist eine gelungene Verknüfung ihrer Familiengeschichte mit der Geschichte von Veenhuizen gelungen.