Eine Erklärung
Die „Vierziger“, jene um 1940 herum geboren.
Die, die Elvis, die Veränderung der gesamten Kultur hautnah miterlebt haben.
Jene, die 1968, 1969 an den Universitäten des Landes für „frischen Wind“ gesorgt haben.
Damit aber anscheinend, folgt man Kuntze, ihr „revolutionäres Potential“ dann aber gemütlich weitgehend zu den Akten gelegt haben und sich fortan darum kümmerten, sich selbst ein anregendes und angenehmes Leben zu gestalten, möglichst frei von einengenden, unschönen Konventionen, auch wenn diese für den Erhalt der sozialen Gemeinschaft ganz sinnig gewesen wären.
Ein Leben, in dem sie die vorher recht offene kulturelle Debattenkultur (als Beispiel führt Kuntze die Wirkung der „Blechtrommel“ an) mit ihren Begriffen „totredeten“.
Ein Leben, in dem durch vielfache Faktoren die Geburtenzahl der „Vierziger“ und deren Gefolge auf 1,4 fiel.
Und damit die soziale Versorgung als „Generationenvertrag“ so gut wie hinfällig geworden ist.
Ein Leben, in dem das Eigentum des Staates weitgehend privatisiert wurde und „der Markt“ die Macht übernommen hat.
Ein Leben, dass an die entferntesten Orte der Erde touristisch führte, das nun aber, wo es „in die Nähe“ zu schweifen hätte, als eigenes Erbe nur noch sich und seinesgleichen kennt, da Großfamilien, eigene Kinder, Enkel entweder gar nicht oder nur gering an der Zahl und weit verstreut vorhanden sind.
So verwundert es nicht, dass Kuntze auch eines der heiklen Eisen der Gegenwart zum ausführlichen Thema macht, den selbstgewählten Freitod, die Sterbehilfe. Angesichts eines Wissens um eine hohe Lebenserwartung, die dadurch im Raume stehende Erwartung der Zunahme von Demenzerkrankungen und die aus allem heraus mangelnde innere Füllung dieses „letzten Stück Weges“.
Denn klar, wenn nicht aus sozialen Bindungen heraus versorgt werden kann, muss das professionell gegen Geld geschehen und das ist für diesen Bereich des gesellschaftlichen Lebens, Mangelware.
Den Faden für die einzelnen, manches Mal im Buch nicht unbedingt sauber voneinander getrennten Themen (was auch hier und da bei der Lektüre verwirrt), nimmt Kuntze dabei oft in der Zeit der 50er Jahre auf und zeigt dann, welche damals häufig eher unscheinbar wirkenden Veränderungen im Lauf der Jahre und Jahrzehnte sich potenziert haben.
Soweit potenziert haben, dass eigentlich das „Erbe der Vierziger“ diese bestausgestattete Generation mit dem Gefühl des Schams erfüllen müsste.
Wie die Gedanken von persönlichem Glück und Liebe aus den Parolen der „Linken“ zu den gesetzten Größen des persönlichen Lebens wurden und damit gesellschaftliche Konventionen aufgelöst wurden, ohne durch neue, vielleicht bessere, vor allem aber allgemeingültige Konventionen ersetzt zu werden. „Egomanie“ könnte man, nach der Lektüre des Buches, als die vorherrschende Grundlage dieser Generation, zumindest, was ihr Erbe angeht, bezeichnen.
Eine nun auch objektiv ganz hervorragende Versorgung im Alter (bei allen Relationen auch in dieser Generation), die, wie gewohnt, den Nachkommen (so es sie gibt) aufgebürdet werden wird.
Ein Individualismus, der nun auf allen Ebene sein Erbe zeigt und die Gesellschaft einholt.
Hatte ein Fritz Schäffer (der „eiserne Fritz“) trotz massiver Aufbauaufgaben nach dem Krieg als Finanzminister noch ein Plus von sieben Milliarden Mark (kaufkraftbereinigt 35 Milliarden Euro) hinterlassen, ist die Staatsverschuldung seitdem stetig gestiegen. Die „Vierziger“ eben, denen ihre eigene individuelle Gegenwart immer wichtiger war als die Zukunft der Gemeinschaft. Wie Kuntze es ausarbeitet aus seiner Sicht (die nun nicht unbedingt breit geteilt wird in seiner Generation, wie er auch zu berichten weiß).
In lockerem Plauderton und daher in der Lektüre einfach zu verstehen, legt Sven Kuntze in diesem Buch das Erbe seiner Generation aus seiner persönlichen Sicht vor.
Durchaus nachvollziehbar in den Entwicklungen, die er durch die Jahrzehnte hindurch vor Augen legt und durchaus nachdenklich stimmend auch den jüngeren Leser.
Denn die Haltungen, die Kuntze beschreibt sind ja genau jene, die für das Heute die Geltung übernommen haben, nach 70 Jahren „Vierziger“.
Eine Generation die einen Francesco Schettino wie eine Symbolfigur hervorgebracht hat.
Der um eine Frau zu beindrucken ein Kreuzfahrtschiff vor einer italienischen Insel auf Grund setzte und dann als erster, natürlich, das Schiff verlies. Um sich in Sicherheit zu bringen und, vor allem, vor der Verantwortung zu fliehen.
Was tun? Da ist und bleibt Kuntze ehrlich. Außer ein paar Assoziationen und Hinweisen weiß er es schlichtweg nicht. Und das ist und bleibt das Problem und die Aufgabe. Nicht diesen Buches, sondern der Gegenwart.
Trotz teils sehr subjektiver Betrachtung, trotz manches Mal ein wenig Geduld, die man braucht, bevor man den roten Faden in manchen der geschilderten Erinnerungen wiederentdeckt, bietet Kuntze ein interessantes Buch mit sperrigen und zum Innehalten auffordernden Inhalten, in welchem er das, was nicht gut läuft in der Gegenwart flüssig und nachvollziehbar in ihren Wurzeln vor Augen führt.