Cover des Buches Inselfeuer (ISBN: 9783746631929)
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Rezension zu Inselfeuer von Sylvia B. Lindström

Ein reifer, abgeklärter, man möchte sagen, sozialpsychologischer Kriminalroman

von Joachim_Tiele vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Ein erwachsener Krimi für erwachsene Leser jeden Alters...

Rezension

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Joachim_Tielevor 8 Jahren
Einen Prolog, der einem die Gänsehaut gefrieren lässt, gibt es hier nicht. Stattdessen wird von der ersten Seite an die Soziographie einer südschwedischen Insel über einige Generationen hinweg bis in feinste Verzweigungen aufgedröselt, verbunden mit der Darstellung einer Serie von Kriminalfällen bis hin zu ihrer logischen und glaubwürdig folgerichtigen Auflösung. Das ist klassisch-moderne Krimischule, die die Spitzfindigkeiten und Irreführungen etwa einer Agatha Christie getrost hinter sich lassen kann, ohne in den Hyperrealismus kalifornischer (oder inzwischen auch mancher schwedischer) Großstadtkrimis zu verfallen. Moderne Menschen auf der Grenze zwischen den Metropolen, in denen sie studiert haben oder zur Schule gegangen sind und der ländlichen Gegend, aus der sie stammen und in der ihre Vorfahren gelebt haben und teilweise noch leben.

Schweden, okay, die deutsche Verfasserin lebt seit fast fünfundzwanzig Jahren dort in ihrer Wahlheimat Öland, zu der Pferde gehören wie Rentiere zu Lappland, aber grundsätzlich finden wir in ihrem Ormöga die gleichen sozialen Verhältnisse wie etwa in einem Ort in einer rheinland-pfälzischen Abwanderungsregion, der sich inzwischen touristisch etwas über Wasser halten kann, aber eine lange historische Auswanderungsbewegung, etwa nach Nordamerika, kennt. Dem Verlag sei die auf's Cover aufgeklebte Schwedenfahne verziehen, denn Schwedenfreunde kommen sicherlich auf ihre Kosten, aber hier geht es um die universelle conditio humana, die Verbrechen einschließt, aber ebenso alle anderen Aspekte des menschlichen Lebens von den Schwierigkeiten der Kindheit bis hin zu denen eines sehr hohen Alters und allen Lebensabschnitten dazwischen.

Für ein Debut ungewöhlich, lässt sich Inselfeuer alle Zeit, die es braucht, um die Dinge zunächst nachvollziehen (und später verstehen) zu können, die in diesem komplexen Kriminal- und Gesellschaftsroman eine Rolle spielen. Dennoch spielt die Verfasserin nicht mit der Geduld der Leser. Folgerichtig, Baustein für Baustein, setzt sich die Geschichte zusammen, mit ihren Haupt- und teilweise in ihrem Handeln nicht weniger entscheidenden Nebenfiguren. Nichts wird am Ende überflüssig gewesen sein, und selbst die Pferdeflüsterin des Romans wird eher einen flüsterleisen Dialog mit dem minderjährigen Sohn der Hauptprotagonisting geführt haben, der schließlich ganz alleine sich selbst, seine Mutter und mit Sachverstand drei Pferde aus einem brennenden Stall rettet.

Um Brandstiftung geht es, um eine Anwältin, die eher die Nebenklägervertretung von Opfern übernimmt, einen smarten Strafverteidiger, der auch den Bösen - teilweise wissentlich - zu Freisprüchen verhilft, um lüsterne Greise, kindliche Verletzungen und ihre Folgen bis ins hohe Alter, aber auch um gewöhnliche Gier, falschverstandene sexuelle Rollenmuster und emotionale Abhängigkeiten. Und die Verhältnisse zwischen den Beteiligten werden so ausgeleuchtet, dass man nicht einfach von einem psychologischen (das kann heute ja fast jeder), sondern von einem sozialpsychologischen Krimi sprechen kann. Und es ist ein inhaltliches Tableau vorbereitet, auf dem noch viele Kriminalfälle denkbar sind, die in den unterschiedlichsten Kombinationen aus Anwälten, Polizisten, deren Freunden und Familienmitgliedern präsentiert und gelöst werden können.

Dass die Verfasserin auf alle Spannung suggerierende vordergründige Knistereffekte ebenso verzichten kann wie auf kalkulierte Irreführungen der Leser oder tumultartige Verwicklungen nach etwa drei Vierteln des Romans ;-), spricht für sie. Eine erwachsene Frau, die alle Spielchen und deren Regeln kennt, und die meisten von ihnen wohl auch schon gespielt hat, kann hier, in ihrem Roman, auf sie verzichten. Ich nenne es Reife und Abgeklärtheit als die Grundlagen eines erwachsenen Kriminalromans für erwachsene Leser. Man kann jetzt schon den - beispielsweise - siebten Teil der Krimiserie um die öländische Anwältin Alasca Rosengren phantasieren, was Abnutzungserscheinungen erahnen lassen könnte, aber bei dieser Autorin freue ich mich darauf, und auf jedes einzelne Buch bis dorthin...
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