„…und wollte die Wolken umarmen“ ist ein Roman von Sylvia Renz über eine mutige und neugierige junge Frau, die eine ganz neue Welt entdeckt, als sie sich aus ihrem kleinen Stammesdorf der Badui in Indonesien herauswagt. Jati lernt einen Fremden, den Arzt David, kennen und verliebt sich augenblicklich in ihn. Verständigen können sich beide zunächst nur mit Händen und Füßen. Als Jati zurück in ihrem Dorf von einer giftigen Spinne gebissen wird und von einem Baum fällt, scheint sie dem Tod geweiht. Doch ihr Vater, der Häuptling des Dorfes, erfährt von dem fremden Doktor David und holt ihn - entgegen aller „Badui-Regeln“ - in sein Dorf. David rettet nicht nur Jatis Leben, sondern heilt kurz darauf auch die anderen Dorfbewohner, die durch verseuchtes Trinkwasser erkrankt sind. Zum Dank verheiratet der Häuptling seine Tochter Jati mit David, ohne dass David so recht weiß, wie ihm geschieht. David bleibt einige Monate als Entwicklungshelfer und Arzt im Dorf. Jati lernt nach und nach seine Sprache, und assistiert ihm bei seiner Arbeit. Doch David behandelt sie immerzu wie eine kleine Schwester und Jati bemüht sich geduldig einen Weg in sein Herz zu finden. David erzählt ihr von seinem christlichen Glauben, einem liebenden Gott und Jati beginnt zu „Davids Gott“ zu beten. Als das Dorf von einem Feuer zerstört wird, kommt Jatis Mutter ums Leben, kurze Zeit später stirbt ihr Vater bei einer Auseinandersetzung mit einem anderen Stamm der Badui. Schließlich werden Jati und David nach der Wahl eines neuen Häuptlings aus dem Dorf ausgestoßen. David bringt Jati in der Stadt bei ihrer grausamen Schwester, die bereits vor einiger Zeit aufgrund eines Vergehens ausgestoßen worden war, unter. Als David Wochen später erfährt, dass Jati nicht gut behandelt wird, verspricht er ihr, sie woanders unter zubringen, doch ihre Schwester plant Jati schnell in einen Harem zu verkaufen. Jati kann den Männern, die sie dort hinbringen sollen, entfliehen und kommt bei Deutschen unter, die Kontakt zum deutschen Konsul haben. Dieser wiederrum beschafft ihr die nötigen Papiere, sodass sie mit David nach Deutschland fliehen kann. Doch dort trifft Jati auf Irene, Davids Verlobte. Irene setzt alles daran, Jati loszuwerden. Schließlich wird Jati als Hausmädchen bei Irenes wohlhabender Familie „eingestellt“. Nachdem Irene eine Intrige gegen sie geplant hat, um sie vor David schlecht da zustehen zu lassen und sie endlich ganz los zu werden, flieht Jati erneut. Ein Pastor hilft ihr zurück nach Indonesien zu kehren. Dort lebt sie bei den Deutschen, die ihr damals auf der Flucht geholfen hatten, und beginnt ein neues Leben ohne David. Sie lässt sich zur Dolmetscherin ausbilden, geht in den Gottesdienst und lässt sich taufen. Bei ihrer Arbeit lernt sie Samuel kennen, einen Krankenpfleger und Missionar, mit welchem sie in Badui-Dörfer geht und den Menschen dort hilft. Als Samuel ihr einen Heiratsantrag macht, taucht plötzlich David wieder auf.
Ein toller Roman, der den Kontrast zweier verschiedener Kulturen lebendig und durchaus humorvoll, aber auch teilweise kritisch darstellt. Abgeschnitten von der Zivilisation leben die Badui ganz einfach, primitiv und naturverbunden. Sie sind abergläubisch dem Zorn oder der Gunst ihrer gefürchteten Götter ausgesetzt. Als Jati in die Zivilisation kommt, wird auf humorvolle Weise beschrieben, wie sie den Fortschritt und seine Errungenschaften wahrnimmt. Ein Auto oder ein Fernsehen – das alles hat Jati noch nie gesehen und hat keine Vorstellung davon, wie diese Dinge funktionieren. Dennoch wird durch Zeitsprünge nicht ganz deutlich, wie Jati sich tatsächlich in der fremden Kultur einlebt – für mich war es teilweise erstaunlich, dass sie sich scheinbar schnell gut zurechtfindet. Ich hätte mir vorstellen können, dass sie die zerstörte Natur in der Großstadt auch schockiert haben müsste, da die Badui ja viel mehr für Naturbelassenheit bekannt sind. Ich persönlich hatte nicht den Eindruck, dass in dem Roman eine Kultur „negativer“ als die andere dargestellt wird. So ist z.B. der muslimische Jusef eine sympathische, hilfsbereite Figur und auch im Volk der Badui gibt es weise, kluge Menschen, wie auch selbstsüchtige, boshafte. Ebenso werden die Figuren in Deutschland sowohl positiv als auch negativ dargestellt. Es werden immer wieder Ausdrücke in der Sprache der Badui benutzt, die aber in Fußnoten erläutert sind. Wie realistisch die Darstellung der Badui in diesem Roman tatsächlich ist, ist für mich kaum zu beurteilen. Recherchiert man etwas, lassen sich sowohl Elemente finden, die im Buch abgewandelt wurden, als auch solche, die der Realität scheinbar entsprechen, z.B. dürfen Badui wohl keine Blumen tragen. Ich vermute, dass sie sie auch nicht pflücken dürfen, nur um etwas zu dekorieren (wie im Roman beschrieben). Außerdem nennen sie sich selbst wohl nicht Badui, sondern Kanekes. Es gibt aber tatsächlich sogenannte innere und äußere Badui, so wie im Roman dargestellt. Ich bin der Meinung, dass einem Roman eine gewisse literarische Freiheit zu Grunde liegt und somit die Realität nicht zwangsläufig eins zu eins abgebildet sein muss. Der Roman gibt einen Einblick in das Volk der Badui, aber er ist eben kein Sachbuch und daher auch keine „vertrauenswürdige Informationsquelle“.
Die Autorin schreibt aus Jatis Perspektive als „Ich-Erzähler“ und schafft es wunderbar, sich in Jati hinein zu versetzen. Vergleiche wie „Mein Herz klopfte einen wilden Tanz und es kribbelte in meinem Bauch, als hätte ich versehentlich eine Hand voll Termiten verschluckt“ lassen Jatis Gedanken und Gefühle bildlich werden. Dabei nimmt die Autorin den Leser wieder mit in Jatis kulturelle Vorstellungen und Herkunft und schreibt nicht etwa schlicht von „Schmetterlingen im Bauch“, wodurch Jati als Hauptprotagonistin sehr an Authentizität gewinnt. Mir hat die bildliche Sprache der Autorin, die sich so sehr an Jatis Welt orientiert, sehr gefallen.
Jati ist eine bewundernswerte und herzerfrischende Persönlichkeit. Es wird deutlich, dass sie schon als junges Mädchen neugierig ist und die Dinge um sie herum kritisch hinterfragt. So setzt sie sich vor allem mit den Göttern der Badui auseinander. Es quält sie eine tiefe innere Sehnsucht, die sie nicht zuordnen kann. Als sie „Davids Gott“ kennenlernt, der so ganz anders ist, als die Götter ihres Volkes, ist sie mutig genug, einfach zu diesem Gott zu beten, so wie sie es bei David beobachtet hat. David erklärt immer wieder in Gesprächen seinen Glauben und veranschaulicht ihn z.B. ganz praktisch anhand eines Kompass („Und er hat auch in das Herz des Menschen eine Sehnsucht hineingelegt, die ihn zu sich hinzieht. Er kann sich noch so schnell im Kreis drehen, sobald er zur Ruhe kommt, weist ihn eine innere Stimme zu Gott hin.“). Doch David bleibt nicht die einzige Begegnung, die Jati dem christlichen Glauben näher bringt. Sie ist eine starke Persönlichkeit und den Stolz auf ihre Herkunft, ihre Werte (z.B. Badui lügen nicht) gibt sie nicht auf, auch als sie in einer fremden Kultur als „Wilde“ gilt. Herzzerreißend kämpft sie um Davids Liebe, ohne ihn zu Bedrängen, sondern für sich in ihrem Innern, in Gebeten und durch Taten sucht sie einen Weg in sein Herz.
Der Roman kann schnell in einem durchgelesen werden. Es geschieht einfach ständig etwas, sodass die Spannung m.M. nicht abebbt (Aufgrund Dessen fiel es mir schwer, den Inhalt kürzer darzustellen). Oft hätte ich zu gerne gewusst, was in David vor sich geht, doch genau wie Jati, hat der Leser hier keinen Einblick in dessen Gedanken und Gefühle. Und so leidet man mit Jati, die immer wieder in ihrer Liebe von ihm zurückgewiesen wird. Am Ende kommt es dann beinahe etwas plötzlich, dass er sie auf einmal doch als seine „Frau behalten will“.
Für mich war der Roman von Sylvia Renz eine interessante und erfrischende Leseerfahrung! Es gibt eine Fortsetzung der Geschichte rund um Jati und David im zweiten Band, „…einmal nur die Sonne küssen“ von Sylvia Renz. Ich bin schon gespannt diesen zu lesen.