Rezension zu "Die geheimen Memoiren der Jane Austen" von Syrie James
Viele Bücher über Jane Austen und anderen berühmten Autorinnen bewegen sich eher am Rand der historisch dokumentieren Wahrheit, und leider weichen sie oft soweit davon ab, dass man letztendlich nur einen x-beliebigen historischen Roman erhält, dessen Protagonistin entfernte Ähnlichkeit mit einer der berühmtesten englischen Schriftstellerinnen der Geschichte hat. Das war zunächst auch meine Befürchtung bei „Die geheimen Memoiren der Jane Austen“ von Syrie James, doch zum Glück habe ich mich da getäuscht.
Syrie James hat es nämlich gekonnt geschafft, Fiktion und Realität miteinander zu verweben. Sie hat sich für die Handlung ihres Romans mit Absicht eine Episode in Janes Leben gesucht, über die nur wenig bekannt ist, und dieses Loch mit viel Fingerspitzengefühl mit ihrer fiktiven Geschichte gefüllt. Syrie James hat Jane Austen eine wunderbare Liebesgeschichte angedichtet, wie sie sonst nur ihre Romanheldinnen erleben, und die sich in der Realität (nach allem, was uns bekannt ist) nicht abgespielt hat.
In dieser Geschichte stellt sie Jane (aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird) einen Mann namens Frederick Ashford an die Seite, so ehrlich und liebevoll wie Mr. Knightley, belesen wie Henry Tilney und mit einem atemberaubenden Anwesen, das Mr Darcys Wohnsitz Pemberley ernsthaft Konkurrenz macht (und letztendlich laut der Autorin auch als Janes Inspiration für Mr. Darcys Haus dient). Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, sieht Mr. Ashford einfach blendend aus und erbt eines Tages einen Adelstitel. Der Mann ist zu schön, um wahr zu sein, ein vollkommener, großartiger und leicht kitschiger Romanheld. Doch leider legt man ihm und Jane so einige Steine in den Weg, was leider dann doch dazu führt, dass Jane den Rest ihres Lebens zusammen mit ihrer Mutter und Schwester Cassandra in einem kleinen Haus in Chawton und doch nicht mit ihrem Ehemann auf dem hochherrschaftlichen Adelssitz der Ashfords zubringt. Seufz…
Jane Austen wird durchweg als eine sympathische, humorvolle Frau beschrieben, was sie ja auch war, wenn man sich die Briefe, die von ihr erhalten sind, näher anschaut. Auch ihr Hang zum Lästern und Spotten wurde gut aufgegriffen und in die Geschichte eingebaut. Außerdem beschreibt Syrie James Jane als stolz und intelligent, aber nicht ohne Selbstzweifel. Anders als in einem anderen Roman, den ich über Jane Austens Leben gelesen habe, wo beschrieben wurde, wie die Worte permanent aus Jane Austens Feder geflossen sind, zeigt sich hier, wie Jane mit den Worten ringt und einige Seiten von ihrem Entwurf des Romans „Verstand und Gefühl“ auch einfach mal ins Feuer wirft, weil sie ihr nicht gut genug erscheinen. Sie hat ganz klar hohe Ansprüche an sich selbst und an ihre Mitmenschen, vor allem in Sachen Liebe. In einer Zeit, in der Hochzeiten oft aus finanziellen Gründen eingegangen wurden, weigert sie sich strikt, jemanden zu heiraten, den sie nicht liebt. Auch wenn Jane Austen die Romantik in ihren Romanen oft mit humorvollen Kommentaren bricht, sieht es hier so aus, als würde für sie selbst doch ganz schön viel davon abhängen. Enttäuschte Liebe und verletzter Stolz bringen sie zwischenzeitlich sogar dazu, dass sie ihrem Verehrer seine Briefe, in denen er versucht, ihr seine unglückliche Lage zu erklären, ungelesen zurückschickt. Doch sie ist keine blinde Romantikerin und behält das Wohl der Familie und Dinge wie Finanzen und Standesunterschiede trotz allen Gefühlen immer im Hinterkopf. Ich weiß nicht so ganz, was ich davon halten soll, aber es ist sicherlich besser und glaubhafter als eine Jane Austen, die Hals über Kopf mit ihrem Geliebten nach Gretna Green durchbrennt. Ob die echte Jane so war und so gehandelt hätte wie im Roman, das wissen wir natürlich nicht. Aber das, was Syrie James vielleicht zu ihrer Person hinzuerfunden hat, hat zu den tatsächlichen Charaktereigenschaften der Autorin gepasst, die man aus Jane Austens Büchern und Briefen ziehen kann.
Janes Familie, vor allem ihr Bruder Henry und ihre Schwester Cassandra wirken sehr sympathisch und irgendwie fand ich es süß, wie sie zusammen mit Mr. Ashford Jane schließlich überredet haben, ihre Romane zu überarbeiten und zu veröffentlichen. Es wirkt so, als hätte Jane immer viele liebe Menschen um sich gehabt, die ihr den Rücken gestärkt hätten, und das kann man ja eigentlich jeder Autorin nur wünschen. Henry wird dargestellt, als wäre er der ideale große Bruder gewesen und die ruhige Cassandra bildet ein Gegenstück zur scharfzüngigen Jane.
Das Setting ist sehr interessant, Syrie James hat ihr Buch größtenteils an Orten spielen lassen, an denen sich Jane Austen nachweißlich wirklich aufgehalten hat. Ich konnte sehr viel über ihr Leben nach der Zeit in Bath lernen, in der sie mit ihrer Schwester und ihrer Mutter eine Art Nomadenleben geführt und immer wieder bei einem anderen Bruder gewohnt hat. Außerdem habe ich mich darüber gefreut, dass ein Teil des Buches in Lyme Regis spielt, dem Küstenort, wo Louisa Musgrove in „Überredung“ von der Treppe an der Hafenmauer fällt.
Der Schreibstil ist altertümlich und ganz klar dem von Jane Austens Büchern nachempfunden, aber nicht so schwierig zu lesen. Ich bin förmlich durch die Seiten geflogen und konnte mich, jedes Mal, wenn ich das Buch aufgeschlagen habe, schnell wieder in die Geschichte einfinden.
Sehr gut haben mir auch das Nachwort und das Interview mit der Autorin gefallen, in dem Syrie James zeigt, was in ihrem Roman fiktiv ist und was nicht. Auch die Zeitleiste und die Zitate von Jane Austen im Anhang fand ich sehr schön, genauso wie die Fragen für Lesezirkel. Leider habe ich keinen Lesezirkel oder Buchclub, aber trotzdem fand ich es interessant, ein bisschen über die Fragen zur Handlung nachzudenken.
Alles in allem ist „Die geheimen Memoiren der Jane Austen“ ein größtenteils wundervoller und stellenweise ein bisschen kitschiger Roman über eine (größtenteils fiktive) Episode im Leben meiner Lieblingsautorin, den ich allen Austen-Fans nur ans Herz legen kann. Nicht-Austen-Fans sollten aber bitte erst einmal einige ihrer Romane lesen, um die Bezüge in diesem Buch einordnen zu können, sonst macht es sicher nur halb so viel Spaß. Wenn man aber Austens Romane kennt, ist es eine schöne, leichte und dennoch gut recherchierte Liebesgeschichte für Zwischendurch.