Cover des Buches Riven Rock (ISBN: 9783423127844)
Wortklaubers avatar
Rezension zu Riven Rock von T. C. Boyle

Rezension zu "Riven Rock" von T. C. Boyle

von Wortklauber vor 15 Jahren

Rezension

Wortklaubers avatar
Wortklaubervor 15 Jahren
Amerika, vor dem ersten Weltkrieg. Stanley McCormick ist der Erbe des McCormick-Mähmaschinen-Imperiums. Er ist reich und sieht blendend aus. Als er Katherine Dexter, ebenfalls Mitglied der Oberen Zehntausend, kennen und lieben lernt, ist es eine Verbindung, die brillianter nicht hätte arrangiert werden können. Dem steht nur eins massiv entgegen: McCormick ist geisteskrank. Die Ehe wird - trotz massiver Zweifel auf Seiten der Braut - geschlossen, aber nie vollzogen. McCormick verbringt Jahrzehnte in einem riesigen Haus, das für seine ebenfalls geisteskranke und mittlerweile verstorbene Schwester gebaut worden ist, die meisten Zeit in Räumlichkeiten mit vergitterten Türen und Fenstern und angeschraubten Möbelstücken, in Gesellschaft seiner Pfleger und wechselnder Psychiater, jahrelang, ohne auch nur ein einziges weibliches Wesen zu Gesicht zu bekommen, seine Mutter nicht und auch nicht seine Frau. Von weiblichem Pflegepersonal hat man tunlichst Abstand genommen, da sich McCormicks Sexualpsychose in gewalttätigen Ausbrüchen gegen Frauen Bahn bricht. Trotzdem lässt sich seine Frau nicht beirren. Sie hat einen anderen Stanley kennengelernt und diesen Stanley will sie zurückhaben. Jahrzehntelang wacht sie über seine Behandlungen, unbeirrt klammert sie sich an seine zukünftige Genesung. Während ihr Gatte ein frauenloses Leben führt, führt sie quasi ein männerloses Dasein, immer das fünfte Rad am Wagen bei gesellschaftlichen Anlässen, verheiratet, aber kinderlos, auf dem besten Wege zur alten Jungfer. Sie schließt sich der aufkommenden Frauenbewegung an und unterstützt den Kampf um das Wahlrecht für Frauen wie auch das Recht auf Empfängnisverhütung. Stanley McCormick und Katherine Dexter-McCormick sind historisch verbürgte Personen. (Durch die finanzielle Unterstützung letzterer wurde die Erfindung der Anti-Baby-Pille vorangetrieben.) Auch das Anwesen Riven Rock hat es tatsächlich gegeben. T. C. Boyle hat aus der Geschichte dieser beiden Menschen einen Roman gemacht, indem er um dieses Gerüst realer Personen und Ereignisse einen Mantel erfundener oder halb-erfundener Personen und deren Erlebnisse legt. Allen voran ist da Eddie O'Kane, McCormicks erster Pfleger. O'Kane ist ein Frauenheld, das, was McCormick auch hätte sein können, wäre er nicht krank. Er sieht blendend aus und kommt gut an bei Frauen. Unglücklicherweise hat er eine davon geschwängert und sah sich genötigt, früh zu heiraten. Als er das Angebot bekommt, McCormick in sein privates Sanatorium nach Kalifornien zu begleiten, nimmt er diese Chance nur zu gern wahr. Weg von der Ostküste, raus aus dem Irrenhaus! Trotzdem hofft O'Kane auf die Genesung seines einzigen Patienten, auf die Dankbarkeit, die der ihm eines Tages erweisen wird. O'Kane, der mit dem "Drei-Uhr-Glück in den Augen", will Weib, Wein und Gesang, ein Leben unter einem blauen Himmel und vielleicht einen Orangenhain. Frauen bekommt er ein paar (seine eigene verlässt ihn mit dem gemeinsamen Sohn), auch wenn sie verheiratet sind oder mit den Jahren an Gewicht zulegen, auch wenn er am Ende McCormick öfter nackt gesehen hat als jede Frau in seinem Leben. Als weitaus tröstender und verlässlicher erweist sich der Alkohol. Hinzu kommen mehrere Psychiater, die McCormick in Riven Rock betreuen (mehr oder weniger) und von denen die meisten selbst (mehr oder weniger) einen Psychiater nötig hätten. Der Roman wird nicht chronologisch erzählt, sondern beginnt mit den Vorbereitungen, McCormick nach Riven Rock zu verlegen. Wie es dazu gekommen ist, erfährt man in eingestreuten, episodenhaften Passagen, die diesem Ereignis vorgreifen und die Personen zu dem gemacht haben, was sie sind und dorthin gebracht haben, wo sie sind. So gibt es im Grunde genommen zwei Erzählstränge, einen von McCormicks Einzug in Riven Rock bis zu seinem Tod (in Riven Rock) und einen von seiner Kindheit über seine Jugend, seiner Hochzeit ... bis zu dem fatalen Tag, der seine Einweisung in eine Anstalt bedingt. Was mir besonders gut gefallen hat ist Boyles Fähigkeit, Personen originell und bildhaft zu beschreiben, deren Geisteshaltung, wie auch ihre Physionomie. Wenn er von einem der Pfleger behauptet, sein Kopf sei mit den Jahren immer schwerer geworden, wie das bei den Schädeln von alten Krokodilen der Fall ist, bin ich geneigt, das zu glauben, auch wenn ich nichts von Krokodilen verstehe. Es gibt Stellen beißender Ironie und herrlichen Humors - auch wenn der Roman an sich wenig Raum für heitere Stellen lässt. Überhaupt verfügt Boyle über eine sehr bildreiche und originelle Sprache. Manchem Lesern wird vielleicht bitter aufstoßen, dass ja eigentlich nicht viel passiert auf diesen immerhin doch über 500 Seiten. Es gab auch für mich fesselnde Passagen und weniger interessante. Der Wechsel zwischen den beiden Erzählsträngen gibt dem Roman einen eigenen Reiz. Meistens wollte ich mehr über die Zeit lesen, die gerade erzählt wurde - was sich jedoch während der "anderen" Zeit genauso ergab; so sollte es sein. So kam bei mir keine Langeweile auf - was bei einer chronologischen Erzählweise bzw. einem Autor, der mehr Wert auf Vollständigkeit gelegt hätte, leicht hätte passieren können. Boyle lässt mitunter Jahre aus - was unabdingbar ist, wenn man von einem Mann erzählt, der in seinem Haus, aber eigentlich in seinem Kopf gefangen ist.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks