Cover des Buches Totengleich (ISBN: 9783596175437)
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Rezension zu Totengleich von Tana French

Ein Krimi voller Tiefe, Atmosphäre und zarten, zerbrechlichen Worten.

von fcbfrosch vor 11 Jahren

Kurzmeinung: Die Nuancen zwischenmenschlicher Beziehungen sind so brillant und lebendig beschrieben, dass man sich als Teil der Geschichte fühlt. Toll!

Rezension

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fcbfroschvor 11 Jahren

Darum geht es:

Die junge Ermittlerin Cassie Maddox, nach dem Knochknaree-Fall (Grabesgrün) erst einmal in ein tiefes Loch gefallen, arbeitet im Dezernat für Häusliche Gewalt. Dann wird sie – obwohl es nicht ihr Zuständigkeitsbereich ist – an einen Tatort gerufen, und blickt in das Gesicht einer Toten, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht. Noch dazu trägt die junge Frau die Identität, welche von Cassies ehemaligem Chef Frank Mackey für Maddox in einem Undercover-Einsatz erfunden wurde. Der Regen hat am Tatort alle Spuren verwischt, die auf Täter oder Motiv verweisen könnten. Ein Undercover-Einsatz von Cassie in der Rolle des Opfers ist die einzige Möglichkeit, dem Täter auf die Spur zu kommen. Sie begibt sich in gefährliche Gewässer und verliert sich beinahe selbst darin.

Meine Bewertung:

Die Bücher von Tana French sind auf vielerlei Weise besonders. Die junge Cassie Maddox, früher einmal als Undercover-Beamte eingesetzt, in „Grabesgrün“ neben Rob Ryan im Morddezernat ermittelnd, schlüpft in „Totengleich“ in das alte Gewand der Undercover-Polizistin. Und doch ist es, obwohl wir ihre Figur schon kennen, kein typischer Serien-Krimi. Natürlich wird Bezug genommen auf ihren Fall und ihre Freundschaft mit Rob. Ihre Leben bleiben verwoben, auch wenn sie nicht mehr miteinander arbeiten, oder gar Kontakt haben. Das Besondere an den Krimis der rothaarigen Autorin ist wohl, dass der Leser in jedem neuen Fall einen anderen schon bekannten Ermittler ganz nah erlebt und in ein atmosphärisches, mitreißendes Leben stürzt, wie ich es in noch keinem Krimi zuvor jemals erlebt habe.

Atmosphäre ist das, was die Krimis von French am besten beschreiben. So beklemmen Cassies Zweifel, ob sie sich auf dieses gefährliche Spiel als Opfer in der Schussbahn einlassen soll. Fasziniert beobachtete ich die junge Ermittlerin, wie sie in ein anderes Leben, eine andere Identität schlüpft, die sie selbst einmal erfunden hat, und welche eine andere junge Frau mit neuem Leben erweckte. Die Rolle, die sie dann erfüllt, ist so intensiv und blumig, dass ich nicht anders konnte, als mich in den tiefen Wogen der weichen Worte zu verlieren. Das Whitethorn-Haus, in dem die Tote mit ihren vier Freunden wohnte, ist so voll und lebendig beschrieben, verändert seine Stimmung und Dichte, dass ich beim Lesen alles bildlich vor Augen sah. Und mir auch wünschte, all das real erleben zu können. Mehr als einmal standen meine Haare zu Berge, wenn Cassie zu den nächtlichen Spaziergängen aufbrach und sich das Gefühl beobachtender Augen in ihren Nacken brannte.
Die Charaktere sind tiefgründig und detailreich ausgearbeitet. Sie sind voller Konturen, Schattierungen, Farbe, Pracht und Glanz, dass man meint, sie wirklich zu kennen. Man kann ihre Handlungen vorhersehen, kann sich vorstellen, wie ihr Leben ist. Ich spürte beim Lesen die Stimmungen zwischen ihnen, und auch wie sich Spannungen aufbauten. Auch Ungesagtes merkte ich, die feinen Hinweise auf unterschwellige unausgesprochene Gefühle, die zwischen ihnen stehen. Eben all die feinen Nuancen zwischenmenschlicher Beziehungen – all das erweckte French in dem zweiten Kriminalroman zum Leben.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich bei Romanen kein vergleichbares und bei Krimis noch niemals annähernd so ein intensives Leseerlebnis hatte. Dieser Roman geht über Spannungsgeschichten weit hinaus. Er packt einen am Kragen und schleift einen, ob man will oder nicht (und man will!) in die Tiefen der Ermittlung. Er bringt einen an emotionale Grenzen, und ich staunte fast die ganzen 700 Seiten hindurch über diese großartige psychologische Tiefgründigkeit, mit der sich die Charaktere, das Haus, das Dorf präsentierten. Tana French hat einen sehr feinen Sinn für Worte, Stimmung und Atmosphäre. Und ich kann davon nicht genug bekommen!

Fazit:

Nach diesem Erlebnis weiß ich ganz sicher, dass man in einem gekürzten Hörbuch ihrer Thriller sehr viel verpasst. Totengleich ist ein sensibler und ansprechender Kriminalroman aus der Feder Tana Frenchs, die für ihre psychologische Tiefgründigkeit ihrer Bücher bekannt ist. Noch niemals habe ich ein emotional so aufwühlendes Buch gelesen, mir die Charaktere so bildlich vorgestellt, die feinen Tonlagen zwischenmenschlicher Beziehungen in einem Buch so sehr gespürt, wie hier. Die Feinfühligkeit der Wortwahl strahlt eine unbändige Magie aus, derer ich mich nicht entziehen kann. Ein absolut empfehlenswerter Krimi für alle, die sich gern in Büchern verlieren wollen.
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