Der Roman ist bereits 2013 ein erstes Mal veröffentlicht wurde und dann hat der Krieg gegen die Ukraine für neues Interesse gesorgt. Und zwar völlig zu Recht!
Beschrieben wird die Geschichte von Lena, die eigentlich auf der Suche nach etwas Großem ist, für sich und ihre Mitmenschen und die dann von den Umständen der Zeit und ihrer Umgebung mitgerissen wird und einen Weg nimmt, der ein tragisches Ende findet - oder doch nicht? So genau weiß man das als Leser am Ende nämlich gar nicht.
"Als Kind hatte Lena ständig Angst, etwas zu verpassen, etwas Wichtiges nicht zu erfahren, und deshalb dumm zu sein. Später wurde ihr klar, dass niemand davor gefeit ist und dass Klugheit nicht davon abhängt, wie viele Bücher ein Mensch in seinem Leben gelesen hat. Klugheit, sagte Lena, erfordert Mut, sich einzugestehen, was und wie man denkt. Zunächst muss man eine eigene Meinung haben, und mit der Zeit kommt dann vielleicht auch die Klugheit. Die eigene Meinung bildet jedenfalls die Grundvoraussetzung. Und man muss anderen zuhören und sich entscheiden: ihnen zuzustimmen oder doch lieber bei seiner eigenen Meinung bleiben. Man sollte sich selbst gegenüber ehrlich und gleichzeitig in der Lage sein, neue Sichtweisen zu übernehmen." (S. 8) Schon für diese Erkenntnis hat es sich gelohnt, das Buch zu lesen!
Und es ist ja eigentlich eine ganz einfache Erkenntnis, eine sehr naheliegende, die jedem verständlich sein und nach der jeder handeln sollte. Doch wer tut das? Lene jedenfalls schon und so nimmt ihr Leben immer dann eine Wendung, wenn sie mal wieder einer merkwürdigen Begebenheit, einer Art von Ungerechtigkeit begegnet, die sie nicht einfach so hinnehmen kann, der sie sich stellt und das mit allen Konsequenzen. So setzt sie sich bereits als Kind für die trotz Verbots russisch-sprechende Erzieherin ein, kämpft später gegen das Töten der Straßenhunde und für eine bessere Behandlung Behinderter. Es ist ihr Weg, ohne dass ihr das so richtig klar ist und ohne dass sie ihn sich selbst gewählt hätte. Und es kein einfacher Weg, weil sie immer wieder selbst ins Zweifeln gerät und weil andere, auch enge Vertraute, an ihr verzweifeln.
Diese Geschichte um Lena fängt ganz unterhaltsam an, bleibt es im Tonfall auch, der so locker im Erzählstil ist und fast schon an eine Märchenerzählung erinnert, doch die Realität kann eben auch gemein und grausam sein und wird oft auch nicht wirklich besser, indem man gegen sie ankämpft und so kommt es zu einem tragischen Ende.
Und doch hat mich das Buch fasziniert, ich konnte es nicht aus der Hand legen, ich wollte wissen, wie es mit Lena, ja, wie es mit dieser Ukraine weitergeht, welche Wege beide nehmen. "Ein Schelminnenroman" hat ein Kritiker diese Erzählung beschrieben. Aber ein Schelm hat doch am Ende selbst etwas von seinem Handeln und ich glaube nicht, dass dies bei Lena der Fall ist. Da ist einfach nur eine Person, die ihre Umgebung in voller Überzeugung verändern will, sich für sie einsetzt und am Ende noch nicht einmal wirklich innere Genugtuung findet. Da finde ich es passender, die Parallele zu Don Quijote zu ziehen.
Für mich ein ungemein lesenswertes Buch, das auch ein tieferes Verständnis für die Ukraine vermittelt. Den fünften Stern hat es von mir nur nicht bekommen, weil ich noch immer nicht weiß, ob ich den Ausgang wirklich gut finde.
Eine Stelle sei abschließend noch zitiert, ihrer überzeugenden Klarheit wegen:
"Auf dem Markt traf Lena einmal eine ältere Frau, die vierzig Jahre lang Philosophie unterrichtet und sogar eine Dissertation zum Thema "Sinn des Lebens" geschrieben hatte. Lena fragte sie, was der Sinn des Lebens sei und worum es in der Dissertation ginge. Die Frau konnte die Frage nicht beantworten. Sie meinte lediglich: "Na ja..." und sonst nichts. "Na ja" war wohl das Einzige, was man über den Sinn des Lebens sagen konnte, schlussfolgerte Lena." (S. 79)
Tanja Maljartschuk
Lebenslauf
Die Ukrainische Welle: Tanja Maljartschuk, geboren 1983 in Iwano-Frankiwsk, Ukraine, ist eine Ukrainische Schrifstellerin. Maljartschuk studierte Philologie an der Universität in Vorkarpaten in Iwano-Frankiwsk und arbeitete im Anschluss einige Jahre als Kultur- und investigative Journalistin in Kiew. 2011 zog sie nach Wien. Danach arbeitete einige Jahre als Journalistin bei den verschiedensten Fernsehsendern. 2009 erschien ihr erster Erzählband „Neunprozentiger Haushaltsessig“. Die Autorin schreibt regelmäßig Kolumnen für die Deutsche Welle und für Zeit Online. Außerdem ist sie die Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises. Die Autorin lebt heute in Wien.
Alle Bücher von Tanja Maljartschuk
Biografie eines zufälligen Wunders
Blauwal der Erinnerung
Biografie eines zufälligen Wunders
Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus
„Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf.“
Neue Rezensionen zu Tanja Maljartschuk
Ich muss sagen, dass ich von diesem Roman absolut begeistert bin. Die Art und Weise, wie die Autorin mit ihrer bildhaften, schelmischen und leicht verständlichen Sprache spielt, hat mich von Anfang an in den Bann gezogen. Sie setzt sich auf faszinierende Weise mit Themen wie Politik, Religion, Wissenschaft und der Gesellschaft auseinander.
Besonders beeindruckend fand ich, wie der Roman die Situation in der Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion darstellt. Die grassierende Korruption und Ungerechtigkeit in diesem Staat werden auf eindrucksvolle Weise beleuchtet. Es ist eine dieser typischen "David gegen Goliath" Geschichten, die ich so sehr schätze. Die Protagonistin kämpft unermüdlich gegen Ungerechtigkeit, Gewalt und die Machtstrukturen der ukrainischen Gesellschaft an. Ihr Einsatz ist geprägt von Eigenwilligkeit und einer unglaublichen Vorstellungskraft.
Lena, die Hauptfigur, wächst in einer Welt voller Willkür und Gewalt auf, aber sie setzt sich auf ihre eigene Art zur Wehr. Sie hilft den Schwachen und Benachteiligten, sei es der Erzieherin im Kindergarten oder den herrenlosen Hunden. Auf ihrer Suche nach dem "zufälligen Wunder," einer fliegenden Frau, die dort auftaucht, wo Hilfe am dringendsten gebraucht wird, zeigt Lena, dass man sich trotz aller Widrigkeiten behaupten kann.
Insgesamt ist "Biografie eines zufälligen Wunders" ein Buch von grausamer Komik, das man nicht so schnell vergessen wird. Die Kombination aus literarischem Geschick und sozialer Relevanz macht es zu einem Meisterwerk, das ich uneingeschränkt empfehlen kann. Es regt nicht nur zum Nachdenken an, sondern unterhält auch auf höchstem Niveau.
In "Blauwal der Erinnerung" entführt uns Tanja Maljartschuk erneut in die faszinierende Welt der Ukraine. Ähnlich wie in ihrem beeindruckenden Debütroman "Biografie eines zufälligen Wunders" (ein absolutes Muss für Leser), taucht sie tief in die Geschichte ihres Landes ein. Dieses Mal steht der vergessene ukrainische Volksheld Wjatscheslaw Lypynskyj im Mittelpunkt, dessen Schicksal eng mit der Icherzählerin verknüpft ist.
Die Icherzählerin, die unter Panikattacken leidet und ihre Wohnung selten verlässt, stößt auf Lypynskyj, als sie alte ukrainische Zeitungen liest. Dieser Zufallsfund setzt eine fesselnde Recherche in Gang, die nicht nur die Geschichte der Ukraine enthüllt, sondern auch die innere Welt der Protagonistin aufwühlt.
Doch letztendlich geht es in diesem Buch nicht nur darum, über was Tanja Maljartschuk schreibt, sondern dass sie überhaupt schreibt. Ihre Worte und Sprache haben die einzigartige Kraft, den Leser zu begeistern und mitzureißen. Dies ist wahrlich große Literatur. Ich bin ein großer Fan von ihr und hoffe aufrichtig, dass dies nicht ihr letzter Roman ist.
Ich kann jedem nur empfehlen, "Blauwal der Erinnerung" und ihren ersten Roman "Biografie eines zufälligen Wunders" zu lesen, um zu verstehen, welches literarische Juwel Tanja Maljartschuk ist.
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