Rezension zu Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes von Ted Chiang
Phanstastische Kurzgeschichten wie sie besser nicht sein könnten
von ralf_boldt
Kurzmeinung: Phanstastische Kurzgeschichten wie sie besser nicht sein könnten
Rezension
Hilfreich: 1
ralf_boldt
Dieses Buch enthält fünf Kurzgeschichten, die unterschiedlicher nicht sein können und die dennoch eines verbindet: Sie sind brillant geschrieben.
Ted Chiang hat großartige Ideen und weiß diese adäquat umzusetzen.
Da ist die erste Geschichte »Der Turmbau zu Babel«. Dieses ehrgeizige Unternehmen wird nicht von Gott zunichte gemacht, sondern konsequent weitergeführt. Eine ganze Gesellschaft hat sich im Turm eingerichtet und lebt in und von ihm. Der Turm wird immer höher und man ist kurz davor das Himmelsgewölbe zu erreichen. Für den Durchbruch reisen spezielle Handwerker an. Es gelingt, das Gewölbe zu durchstoßen, doch das Ergebnis bzw. die Erkenntnis, die darauf folgt, ist überraschend.
Am meisten fasziniert hat mich der zweite Text: »Geschichte deines Lebens«. Die Erdbewohner erhalten Besuch von außerirdischen Intelligenzen. Es findet kein direkter Kontakt statt, sondern nur über eine Art Spiegelsystem. An mehreren Orten auf der Welt arbeiten Wissenschaftler an einer Kommunikation mit den fremden Wesen. Das Militär hat dabei immer Angst, dass nicht zu viel von menschlichen Geheimnissen verraten wird. Doch die Aliens sehen nicht nur komplett anders aus als wir, sie denken auch anders und erleben ihre Umwelt nicht sequentiell" wir der Mensch und so ist es trotz der Kooperationsbereitschaft schwierig, eine gemeinsame Plattform des Verständnis zu finden, denn Sprache und Schrift sind bei den Besuchern zwei komplett verschiedene Dinge. Der Protagonistin fühlt sich die das Verständnis der Aliens ein und dies hat für ihr eigenes Leben sehr große Konsequenzen, denn auch ihre Sichtweise ändert sich.
Schon die Idee von Lebewesen, die die Welt anders sehen und für die Schrift" keine 1:1-Umsetzung der Sprache ist, ist schon genial zu nennen. Dieses dann konsequent weiter zu denken, welche Auswirkungen ein Verständnis des Menschen haben könnte, ist wirklich beachtenswert. Die Geschichte ist spannend und der Leser erkennt nur langsam, wohin sie steuert und wie das Ende aussehen könnte.
»Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes« ist auf den ersten Blick eine tief religiöse Story. Es gibt in dieser Welt keinen Zweifel, dass es Gott nicht gibt. Und auch die Existenz von Himmel und Hölle ist eine gesicherte Erkenntnis. Beide sind quasi gleichberechtigt und auch nicht sehr unterschiedlich: Im Himmel ist die Anwesenheit Gottes zu spüren, in der Hölle nicht. Immer wieder wird der Boden transparent und die Menschen in der Hölle werden sichtbar. Der Himmel macht durch helles Licht auf sich aufmerksam, durch das der Betrachter seine Augen verliert. Engel suchen die Erde heim und ziehen eine Schneise der Verwüstung hinter sich her, heilen dabei aber auch ein paar Menschen. Wunderheilungen und Kollateralschäden werden statistisch erfasst.
Die Frau des nichtgläubigen Protagonisten Neil Fisk stirbt und fährt in den Himmel auf. Da er wieder mit ihr zusammen sein möchte, dies aber nicht kann, da er ja nicht gläubig ist und damit in die Hölle kommt, hat er ein Dilemma. Dies will er lösen. Er schließt sich Gruppen an, deren Mitglieder bei Engelserscheinungen anwesend waren und schließlich wird er zu einem Pilger, der Orte besucht, die mit einer großen Wahrscheinlichkeit von Engelserscheinungen heimgesucht werden, um das Göttliche zu sehen und damit in den Himmel zu kommen...
Auch in dieser Geschichte weiß Chiang seiner Prämisse, so fremd sie auch sein mag, bis zur letzten Zeile treu zu bleiben. Es stellt sich immer die Frage, ob alles vorherzusehen ist oder vorherbestimmt ist und on man den göttlichen Willen als Mensch überhaupt begreifen kann, denn Gott ist in dieser Geschichte alles, aber bestimmt nicht logisch.
»Der Kaufmann am Portal des Alchemisten« ist eine wilde Zeitreisegeschichte, die dem Leser das Hirn auf links krempelt. Der Autor stellt die These auf, dass Eingriffe in die Vergangenheit die Zukunft nicht verändern kann. Aber Ursache und Wirkung stellen sich bisweilen anders da, als sich dass die Menschen vorstellen können.
Das Beste ist aber, dass es keine Zeitmaschine gibt, sondern nur einen Metallreif. Steigt man von links nach rechts durch ihn durch, gelangt man in die Vergangenheit, von rechts nach links in die Zukunft.
Die Story erzählt sich selbst aus der Sichtweise mehrerer Menschen, die aber immer Gemeinsamkeiten haben, die ihnen nicht immer sofort klar sind. Und: Ursache und Wirkung erscheinen aus verschiedenen Blickrichtungen nicht immer gleich.
Eine wirklich tolle Geschichte, die dem Leser einiges abverlangt, will er den verschiedenen Zeitreisen geistig folgen
»Ausatmung« ist eine Story über eine Rasse von Menschen, die so nichts menschliches mehr an sich hat, denn zum Beispiel benutzt man zylinderförmige Lungen, die täglich aufgetankt werden müssen. Diese Menschen haben nun ein Problem, dass sich anfangs nur darin äußert, dass sich die Uhren scheinbar langsamer bewegen. Doch bei einem wirklich seltsamen Selbstversuch eines Wissenschaftlers stellt sich alles ganz anders da.
Der Autor stellt eine völlig fremde Welt von Menschen mit wenigen Pinselstrichen dar. Die wirklich phantastischen Menschen haben nicht mit dem Leser des 21. Jahrhunderts gemein und die Welt schon gar nicht mehr.
Mit diesen fünf sehr verschiedenen Geschichten schafft es Ted Chiang, dem Leser eine Menge Spaß der SF bzw. der Phantastik zu verschaffen.
Ich weiß zu mindestens wieder, warum ich SF lese...
»Der Turmbau zu Babel« wurde mit dem Nebula Award ausgezeichnet.
»Geschichte deines Lebens« bekam den Nebula Award und den Sturgeon Award
»Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes« räumte den Nebula Award, den Hugo Award und den Locus Award ab.
»Der Kaufmann am Portal des Alchemisten« bekam den Nebula Award und den Hugo Award
»Ausatmung« (»Exhalation« | Eclipse 2, 2008) wurde mit dem Hugo Award und dem Locus Award prämiert.
Ted Chiang hat großartige Ideen und weiß diese adäquat umzusetzen.
Da ist die erste Geschichte »Der Turmbau zu Babel«. Dieses ehrgeizige Unternehmen wird nicht von Gott zunichte gemacht, sondern konsequent weitergeführt. Eine ganze Gesellschaft hat sich im Turm eingerichtet und lebt in und von ihm. Der Turm wird immer höher und man ist kurz davor das Himmelsgewölbe zu erreichen. Für den Durchbruch reisen spezielle Handwerker an. Es gelingt, das Gewölbe zu durchstoßen, doch das Ergebnis bzw. die Erkenntnis, die darauf folgt, ist überraschend.
Am meisten fasziniert hat mich der zweite Text: »Geschichte deines Lebens«. Die Erdbewohner erhalten Besuch von außerirdischen Intelligenzen. Es findet kein direkter Kontakt statt, sondern nur über eine Art Spiegelsystem. An mehreren Orten auf der Welt arbeiten Wissenschaftler an einer Kommunikation mit den fremden Wesen. Das Militär hat dabei immer Angst, dass nicht zu viel von menschlichen Geheimnissen verraten wird. Doch die Aliens sehen nicht nur komplett anders aus als wir, sie denken auch anders und erleben ihre Umwelt nicht sequentiell" wir der Mensch und so ist es trotz der Kooperationsbereitschaft schwierig, eine gemeinsame Plattform des Verständnis zu finden, denn Sprache und Schrift sind bei den Besuchern zwei komplett verschiedene Dinge. Der Protagonistin fühlt sich die das Verständnis der Aliens ein und dies hat für ihr eigenes Leben sehr große Konsequenzen, denn auch ihre Sichtweise ändert sich.
Schon die Idee von Lebewesen, die die Welt anders sehen und für die Schrift" keine 1:1-Umsetzung der Sprache ist, ist schon genial zu nennen. Dieses dann konsequent weiter zu denken, welche Auswirkungen ein Verständnis des Menschen haben könnte, ist wirklich beachtenswert. Die Geschichte ist spannend und der Leser erkennt nur langsam, wohin sie steuert und wie das Ende aussehen könnte.
»Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes« ist auf den ersten Blick eine tief religiöse Story. Es gibt in dieser Welt keinen Zweifel, dass es Gott nicht gibt. Und auch die Existenz von Himmel und Hölle ist eine gesicherte Erkenntnis. Beide sind quasi gleichberechtigt und auch nicht sehr unterschiedlich: Im Himmel ist die Anwesenheit Gottes zu spüren, in der Hölle nicht. Immer wieder wird der Boden transparent und die Menschen in der Hölle werden sichtbar. Der Himmel macht durch helles Licht auf sich aufmerksam, durch das der Betrachter seine Augen verliert. Engel suchen die Erde heim und ziehen eine Schneise der Verwüstung hinter sich her, heilen dabei aber auch ein paar Menschen. Wunderheilungen und Kollateralschäden werden statistisch erfasst.
Die Frau des nichtgläubigen Protagonisten Neil Fisk stirbt und fährt in den Himmel auf. Da er wieder mit ihr zusammen sein möchte, dies aber nicht kann, da er ja nicht gläubig ist und damit in die Hölle kommt, hat er ein Dilemma. Dies will er lösen. Er schließt sich Gruppen an, deren Mitglieder bei Engelserscheinungen anwesend waren und schließlich wird er zu einem Pilger, der Orte besucht, die mit einer großen Wahrscheinlichkeit von Engelserscheinungen heimgesucht werden, um das Göttliche zu sehen und damit in den Himmel zu kommen...
Auch in dieser Geschichte weiß Chiang seiner Prämisse, so fremd sie auch sein mag, bis zur letzten Zeile treu zu bleiben. Es stellt sich immer die Frage, ob alles vorherzusehen ist oder vorherbestimmt ist und on man den göttlichen Willen als Mensch überhaupt begreifen kann, denn Gott ist in dieser Geschichte alles, aber bestimmt nicht logisch.
»Der Kaufmann am Portal des Alchemisten« ist eine wilde Zeitreisegeschichte, die dem Leser das Hirn auf links krempelt. Der Autor stellt die These auf, dass Eingriffe in die Vergangenheit die Zukunft nicht verändern kann. Aber Ursache und Wirkung stellen sich bisweilen anders da, als sich dass die Menschen vorstellen können.
Das Beste ist aber, dass es keine Zeitmaschine gibt, sondern nur einen Metallreif. Steigt man von links nach rechts durch ihn durch, gelangt man in die Vergangenheit, von rechts nach links in die Zukunft.
Die Story erzählt sich selbst aus der Sichtweise mehrerer Menschen, die aber immer Gemeinsamkeiten haben, die ihnen nicht immer sofort klar sind. Und: Ursache und Wirkung erscheinen aus verschiedenen Blickrichtungen nicht immer gleich.
Eine wirklich tolle Geschichte, die dem Leser einiges abverlangt, will er den verschiedenen Zeitreisen geistig folgen
»Ausatmung« ist eine Story über eine Rasse von Menschen, die so nichts menschliches mehr an sich hat, denn zum Beispiel benutzt man zylinderförmige Lungen, die täglich aufgetankt werden müssen. Diese Menschen haben nun ein Problem, dass sich anfangs nur darin äußert, dass sich die Uhren scheinbar langsamer bewegen. Doch bei einem wirklich seltsamen Selbstversuch eines Wissenschaftlers stellt sich alles ganz anders da.
Der Autor stellt eine völlig fremde Welt von Menschen mit wenigen Pinselstrichen dar. Die wirklich phantastischen Menschen haben nicht mit dem Leser des 21. Jahrhunderts gemein und die Welt schon gar nicht mehr.
Mit diesen fünf sehr verschiedenen Geschichten schafft es Ted Chiang, dem Leser eine Menge Spaß der SF bzw. der Phantastik zu verschaffen.
Ich weiß zu mindestens wieder, warum ich SF lese...
»Der Turmbau zu Babel« wurde mit dem Nebula Award ausgezeichnet.
»Geschichte deines Lebens« bekam den Nebula Award und den Sturgeon Award
»Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes« räumte den Nebula Award, den Hugo Award und den Locus Award ab.
»Der Kaufmann am Portal des Alchemisten« bekam den Nebula Award und den Hugo Award
»Ausatmung« (»Exhalation« | Eclipse 2, 2008) wurde mit dem Hugo Award und dem Locus Award prämiert.