Rezension zu "Bindung und Trauma" von Karl H Brisch
Manchmal habe ich den Eindruck, dass mit wachsender Erkenntnis der Entwicklungspsychologie über die Bedeutung der Bindung im Leben eines Menschen, sie im tatsächlichen Leben nachlässt. Schon John Bowlby hatte in seinen Büchern nachgewiesen, dass das „attachment“ ( so der Titel eines schon 1969 erschienenen und erst 1982 ins Deutsche übersetzten Buches) zwischen der Mutter und dem Kleinkind für dessen weitere Entwicklung eine unendlich wichtige Bedeutung hat. Die Bücher, die Karl-Heinz Brisch in den letzten Jahren bei Klett-Cotta veröffentlicht hat über die unterschiedlichen, auch therapeutischen Aspekte der Bindungstheorie, haben nicht nur Therapeuten der unterschiedlichsten Richtungen weiter geholfen, die Bedeutung früher Bindungserfahrung von Kindern zu erkennen, sondern auch unzähligen Eltern und Erziehern.
"Die Bindungstheorie", hatte Bowlby einst geschrieben, "begreift das Streben nach engen emotionalen Beziehungen als spezifisch menschliches, schon beim Neugeborenen angelegtes, bis ins hohe Alter vorhandenes Grundelement ... Trotz der großen Bedeutung des Nahrungs- und Sexualtriebs ist die Bindung, ihrer lebenswichtigen Schutzfunktion wegen, als solche eigenständig."
Eva Rass führt das in ihrem eben bei Klett-Cotta erschienenen Buch „Bindung und Sicherheit im Lebenslauf“ noch weiter: „Es kann heute als gesichert gelten, dass sich die Lebenseinstellung und die damit einhergehenden Lebensstimmung im höheren Erwachsenenalter nicht von ungefähr einstellt, sondern ganz wesentlich vom vorherigen Lebensverlauf bestimmt wird. Diese vorangegangene Entwicklung verläuft in aufeinanderfolgenden Phasen und Stufen, und die Bewältigung des jeweiligen Abschnitts ist mit dem Kontinuum des davor Gelebten verbunden.“
Die in diesem Buch nun schon in der dritten Auflage vorliegenden Aufsätze belegen, wie stark die Erkenntnisse der Bindungsforschung in den letzten 10 Jahren etwa schon Einzug gehalten haben in die Psychoanalyse und die Psychotherapie und führen die bisher weitgehend unabhängig voneinander forschenden Bereiche der Bindungstheorie und der Psychotraumatologie erstmals weiter zusammen.
In verschiedenen Aufsätzen geht es um den Zusammenhang zwischen Bindungsverhalten und Bindungsstörungen mit traumatischen Trennungs- und Verlusterlebnissen. Es ist eine der wichtigen
Erkenntnisse der Bindungsforschung, wie sich solche ungelösten Traumata auswirken können auf gestörtes Verhalten bei Kindern und auf Bindungsrepräsentation bei Erwachsenen.
Die allerwichtigste Erkenntnis überrascht nicht wirklich: eine sichere Bindungserfahrung in der Kindheit ist ein ganz wichtiger Schutz gegen das Aufkommen psychopathologischer Symptome nach einem traumatischen Erlebnis.