„Eines Nachts vor dem Einschlafen hörte ich, wie Claire neben mir über ihrer letzten Zigarette sinnierte: „Seit das Kino zu einer ernsten Sache für mich geworden ist – seit dem Abend, an dem ich mit meiner Mutter Les Enfants du Paradis gesehen habe -, weiß ich, da ist was, ganz tief drin. Etwas, was mehr ist als der Glamour und der Zauber. Eine Kraft. Wenn dich etwas so berühren, dich so packen kann … Ich bin immer wieder hingegangen, siebenmal habe ich mir den Film angesehen. Ich war noch jung, aber ich wusste, dass die zivilisierte Welt in Schutt und Asche lag. Und da war dieses Werk, so rein, so zart, so unvergleichlich schön. Wie eine Blume auf einem Schlachtfeld. Für mich war es eine Art intellektueller Ekstase. Doch schon damals habe ich gespürt, dass man diese Macht auch missbrauchen kann…“ Langes Schweigen, dann: „Stell dir vor, Jonny, du bist dabei, wie das Feuer erfunden wird. Stell dir vor, irgendein Genie bringt dir die erste lodernde Fackel! Was für ein Geschenk! Und dann, stell dir vor, du siehst – im selben Augenblick – die zerstörten Städte, die verkohlten Leichen, die brennenden Schlachtfelder. Was würdest du tun, Jonny, was würdet du tun? Du würdest das Feuer löschen. Und den Erfinder töten.“
Das Kino. Auf die Leinwand gebannte Träume oder Alpträume. Visionen, die sich vor unseren Augen entfalten während wir im Dunkeln sitzend auf die hell erleuchtete Leinwand starren.
Für den jungen Martin Scorsese war der Besuch eines Kinos wie der Gang in die Kirche. Eine geradezu spirituelle Erfahrung.
Für die meisten Menschen bedeutet ein Film jedoch nicht viel mehr als ein paar Stunden (anspruchsloser) Unterhaltung.
Was genau sich dabei in unserem Gehirn abspielt während wir uns einen Film ansehen, damit beschäftigen wir uns kaum. Wie genau nimmt unser Denkorgan die gezeigten Bilder auf? Und worauf basiert eigentlich die Kunstform des Lichtspiels?
Vermutlich erinnern sich einige an die Szene aus Fight Club, wo Brad Pitt erklärt wie er Bilder aus Pornofilmen in Schneewittchen und ähnlicher Familienunterhaltung unterbringt.
Für Pitts anarchistischen Filmvorführer Tyler Durden ist dies ein bloßer Akt der Rebellion.
Für die düstere Sekte, mit denen uns Theodore Roszak in Schattenlichter bekannt macht, ist es viel mehr: eine Glaubensfrage.
Es steckt eine Energie in den Bildern, eine Kraft, die das Unterbewusste ansprechen kann. Leni Riefenstahl hat sich diese Macht in ihren Propagandafilmen zu Nutze gemacht ebenso wie heutige Werbefilmer. Insofern ist die Idee gar nicht so abwegig, dass auch religiöse Sekten sich der Macht der bewegten Bilder bedienen, um ihre Botschaften zu transportieren.
Der junge Filmstudent Jonathan Gates stößt durch Zufall auf das Werk des deutschen Experimentalfilmers Max Castle (eigentlich Max von Kastell). Auf den ersten Blick ist Castle nicht viel mehr als ein herkömmlicher Produzent billiger B-Filme, anspruchsloser Vampirfilme und auf oberflächlichen Schock abzielender Gruselstreifen. Doch das handwerkliche Können des Mannes ist dennoch beachtlich. Und bald findet Gates heraus, dass Castle über eine ganz außergewöhnliche Technik verfügte, die es ihm ermöglichte Filme innerhalb eines Filmes zu verstecken und dadurch geheime Botschaften zu transportieren. Offenbar war Castle Mitglied einer uralten Sekte, einer religiösen Vereinigung, älter als das Christentum, welche das Leben als unrein und abstoßend betrachtet und als ihre Waffe zur Manipulation der Menschen Filme gebraucht.
Bei seinen Recherchen findet Gates heraus, dass die Sekte auch heute (das heißt damals in den 1960-er, 70-er Jahren) existiert und ihren Propagandaauftrag nicht aufgegeben hat. Die irdische Existenz ist böse und schmerzhaft und ihr Ziel ist es, den Menschen einen Ekel vor dem Leben, einen tiefen Abscheu vor der physischen Existenz zu vermitteln.
Auch die mittelalterlichen Katharer, welche damals von der katholischen Kirche verfolgt und in Kreuzzügen ausgerottet wurden gehörten ihnen an, aber seitdem hat die "Glaubensgemeinschaft" wesentlich subtilere Methoden entwickelt.
Dass es diese Urchristen waren, die den Film erfanden und dass es schon im Mittelalter Daumnekino gab, das aber von der offiziellen Kirche als Teufelswerk verurteilt wurde - das sind nur einige faszinierende Elemente des Buches.
„Flicker“ (so der Originaltitel) genießt seit seinem Erscheinen 1991 einen gewissen Kultstatus; nicht umsonst plante kein geringerer als Regisseur Darren Aronofsky eine Zeit lang eine Verfilmung des Werks. Wie dieser Film ausgesehen hätte, darüber lässt sich nur spekulieren. Aber das Buch eignet sich nicht unbedingt für eine Adaption. Es ist eher wie eine interessante filmhistorische Dokumentation mit ein paar Einsprengseln von Horror und Thriller, welche weitgehend ineffektiv verpuffen.
Irgendwo hier steckt eine fesselnde Geschichte über Religion, Fanatismus, Gut und Böse, menschliches Leiden und den Umgang damit. Aber sie ist begraben unter einem Wust redundanter Informationen.
Hätte Herr Roszak es verstanden, sich kurz zu fassen, wäre „Flicker“ vielleicht tatsächlich ein fesselnder Thriller geworden. Aber so wie es ist leidet das Buch an seiner ungeheuren Geschwätzigkeit. Hunderte Seiten müssen vergehen bis überhaupt etwas von Bedeutung geschieht. Zumindest die erste Hälfte ist, dank des filmhistorischen Wissens, welches der Autor ausbreitet, interessant. Aber spätestens ab der Mitte fragt man sich: Wann geht es denn endlich los?
Den Roman mit den Thrillern Dan Browns zu vergleichen, wie es der Klappentext tut, ist einfach nur lächerlich, denn in Schattenlichter passiert so gut wie gar nichts. Es wird lediglich eine vielversprechende Idee vorgestellt, aus der aber dann keine Geschichte, keine überzeugende Handlung entsteht.
Seiner faszinierenden Prämisse wird Schattenlichter kaum gerecht.
Gäbe es bei Büchern ähnlich wie bei Filmen Remakes, dann währe Schattenlichter ein erstklassiger Kandidat für eine Neuerzählung.