Cover des Buches Die Kultur der Ambiguität (ISBN: 9783458710332)
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Rezension zu Die Kultur der Ambiguität von Thomas Bauer

Rezension zu "Die Kultur der Ambiguität" von Thomas Bauer

von WinfriedStanzick vor 13 Jahren

Rezension

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WinfriedStanzickvor 13 Jahren
In der seit vielen Jahren mehr oder minder rational geführten Debatte um den Islam ist oft darauf hingewiesen worden, der Islam brauche so etwas, was die Reformation und die Aufklärung für das Christentum waren. Ein Nachdenken, eine kritische Reflexion über sich selbst und seine eigene Geschichte und der daran anschließende Versuch, mit seiner religiösen Praxis und seiner Weltverantwortung in der Gegenwart anzukommen. Durch viele historische und auch in der Religion des Islam selbst steckenden Hindernisse fällt es ihm schwer, in der Kultur der Gegenwart anzukommen. Dan Diner hat das in seinem leider wenig beachteten Buch „Versiegelte Zeit“ hervorragend analysiert. Der „arabische Frühling“, wie man die Revolutionen in Tunesien und in Ägypten genannt hat, ist noch zu jung, um eine hinreichenden Prognose zu wagen, wie sich der Islam selbst und seine Rolle in den jeweiligen Ländern entwickeln wird. Eines kann man wohl voraussagen: er wird sich verändern. Dass der Islam schon einmal, und das liegt noch gar nicht so lange zurück, einer schwergewichtigen Veränderung ausgesetzt war, beschreibt der Professor für Islamwissenschaft und Arabistik an der Universität Münster, Thomas Bauer in seinem hier vorliegenden neuen Buch, in dem er „eine andere Geschichte des Islams“ dokumentiert. Nach Bauers Forschungsergebnissen war es so, dass die arabisch-islamischen Gesellschaften über eine mehr als tausend Jahre lange Phase in einer „Kultur der Ambiguität“ lebten, wie er das nennt, einer Kultur, in der verschiedenen Wahrheitsansprüche durchaus nebeneinander stehen durften und man sich zufrieden gab mit der Suche nach dem Wahrscheinlichen. Überzeugend weist er nach, wie es erst dem Kolonialismus im Nahen Osten gelang, dem Islam sozusagen eine Selbstdefinition über eindeutige Werte und Normen „aufzudrücken“. Erst seit dieser Zeit und in der Gegenwart sehr massiv definiert sich der Islam über seine „traditionellen islamischen Werte.“ Dabei zeigt er nur ein verzerrtes Spiegelbild der westlichen Obsession nach Eindeutigkeit und Wahrheit. Was wäre, so fragt man sich bei der Lektüre, wenn beide, der Westen und die islamische Kultur, an die schon einmal sich über eine lange Zeit bewährende „Kultur der Ambiguität“ anknüpften? Wahrscheinlich könnten sie endlich in Frieden leben.
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