Rezension zu "Helmut Schmidt - Die späten Jahre" von Thomas Karlauf
Wie aus dem unterlegenen Kanzler der „Elder Statesmen“ wurde
Jener Teil des Lebens von Helmut Schmidt, der ihn zum beliebtesten „Elder Statesmen Deutschlands gemacht hat, in dem er auf seine unverwechselbare (wenn auch nicht gänzlich unumstrittene) Art und Weise sich eingemischt hat, gefragt wurde, vielfache Bücher veröffentlichte zu den aktuellen Themen der Zeit und der Welt, ist in vielen Biographien des Politikers Helmut Schmidt eher Nachklang und Beiwerk.
„Als hätte ich danach kein Leben mehr“, so klagt Schmidt selbst über seinen Befund der literarischen Betrachtungen seiner Person.
Diese Klage nimmt Karlauf gekonnt auf und setzt zu jenem Zeitpunkt, an dem Schmidt als Kanzler abgewählt wurde. Und das betrifft nicht zuletzt und gerade auch jene „Arbeit“, die für Schmidt selber (wie im Buch unter anderem nachzulesen) das „Zentrum“ seiner Arbeit und seines politischen Denkens war, das Verfassen von Büchern. Wobei sein „Außer Dienst“ von 2008 eines der erfolgreichsten politischen Bücher überhaupt gewesen war und ist.
Wobei es, neben dem Sichten und erläutern der Jahre und des Werkes vor allem eine Frage ist, der Karlauf aufschlussreich und mit überzeugenden Antworten nachgeht: wie dieser fast überwältigende und, vor allem, fast einhellige „Ruhm der späten Jahre“ zustande kam.
Was vielleicht, schon als Einstieg, durchaus seine Wurzeln darin gehabt haben könnte, das Schmidt schnell in jene Rolle des „Elder Statesmen“ hineinfand, diese für sich nutzte und durchaus zu schätzen wusste (sicher auch seiner gewissen Eitelkeit und der Pflege seines teils auch bewusst geste3uerten und genossenen „Image“ geschuldet), frei von politischen Rücksichten und dem Mahlwerk der alltäglichen Kompromisse seine Meinung und Analyse des Weltgeschehens zu äußern.
Nicht ohne Grund war sein Beruf nach der Politik die Herausgabe der „Zeit“, jene Wochenzeitschrift, die in den Augen Schmidts immer schon Raum, Platz und Sorgfalt für gründliche Recherchen und breit erläuterte Hintergründe bot.
Zunächst in eher zurückgezogener Weise, wie Karlauf schildert (der im Übrigen an den Ereignissen des Oktobers 1982 und den direkten Ereignissen kurz zuvor nicht vorbeigeht, sondern damit seine Biographie beginnt). Ab 1991 dann in offensiver „Einmischung“ (auch, weil Schmidt die Vorstellung schwerfiel, dass die „68er-Erben“ nun gemeinsam mit der „Arbeitertradition!“ das Land regierten.
Wobei Schmidt auch in konkrete Punkte mit „hinein redete“, wie der Streit um das öffentliche Holocaust Mahnmal in Berlin zeigte (ohne sich durchsetzen zu können). Oder auch die fast legendäre „Aversion“ zwischen Schmidt und von Weizsäcker, als dieser Bundespräsident war.
Nie um eine klare Meinung verlegen, immer auch und das ergibt sich aus der Lektüre, mit einem mehr oder minderen klaren „Bild“ im Kopf, wie Schmidt selbst gerne gesehen würde und einer Unermüdlichkeit, bis (fast) zum letzten Tag seines Lebens, dieser Mischung aus tiefer Überzeugung, Selbstbild und Image, zu „bauen“.
So verschmelzen Werk, politische Karriere, persönliche „Schnoddrigkeit“ und literarische und öffentliche Präsenz mehr und mehr zu jenem „Schmidt“, der in seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten der beliebteste deutsche Politiker war, nicht nur derer „außer Dienst“.
33 Jahre, die Karlauf flüssig und gut zu lesen, aus persönlicher Nähe und mit großer Sachkenntnis Schritt für Schritt nachzeichnet. Und damit, nebenbei, auch einen breiten Einblick in die politische Entwicklung des Landes bis zur Gegenwart hin aufzeigt, denn da dies die Themen Schmidts waren (überwiegend), stellt das Buch immer wieder Bezüge in die zu konkreten Phasen Schmidts konkrete Tagespolitik.
Eine anregende und empfehlenswerte Lektüre.