Für den Gefreiten Adolf Hitler trugen die Juden die Schuld an der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg. Obwohl selbst Zahlen der Reichswehr diesen Unsinn widerlegten, blieb der Antisemitismus ein Grundpfeiler der nationalsozialistischen Ideologie. Nach der Machtergreifung versuchte man zunächst mit Terror die Juden aus Deutschland zu vertreiben. Diese verbrecherischen Anstrengungen blieben nicht ohne Erfolg. Doch spätestens mit dem Vordringen der deutschen Truppen nach Osteuropa kamen die nationalsozialistischen Herrscher in einen Konflikt mit ihrem Plan. Statt die Zahl der Juden im Reich zu verringern, stieg sie mit den Eroberungen deutlich an. Spätestens mit dem Überfall auf die Sowjetunion ließ sich die Diskrepanz zwischen ihrem Plan und der Realität nicht mehr verleugnen.
Nachdem Versuche mit Massenerschießungen sich negativ auf die Stimmung in den beteiligten Einheiten auswirkten, suchten die Nazi-Größen nach anderen Vernichtungsmethoden. Wer was genau beschloss, lässt sich heute nicht mehr ermitteln. Auf der sogenannten Wannsee-Konferenz fiel der Beschluss zur Endlösung jedenfalls nicht, obwohl das gerne behauptet wird. Dazu war der Kreis der beteiligten Herrschaften in der Summe einfach zu rangniedrig. In den kurzen 90 Minuten dieser Konferenz ging es offensichtlich nur um eine Abstimmung zwischen verschiedenen Ministerien und Organisationen, also um das Wie und nicht mehr um das Was, wie es in diesem Buch heißt. Das Was, also die sogenannte Endlösung, war längst zwischen den eigentlichen Nazi-Größen beschlossen worden. Es ist unvorstellbar, dass Hitler daran nicht beteiligt gewesen sein soll.
Kann man die Wannsee-Konferenz mit einer Graphic Novel erklären? Ich konnte mir das nicht vorstellen. Dieses Buch hat mich zu meiner Verwunderung jedoch enorm beeindruckt und vom Gegenteil überzeugt. Selbstverständlich kann ein Comic nicht die ganzen Hintergründe verdeutlichen, nicht in die Breite und schon gar nicht in die Tiefe gehen. Aber es kann einfach die Konferenz darstellen, jedenfalls den Kern der Debatte und ihre Beschlüsse. Und das gelingt diesem Buch geradezu herausragend.
Obwohl sämtliche Aufzeichnungen und Protokolle nach der Abstimmung der Ministerien vernichtet werden sollen, blieb eines von ihnen erhalten. Nur so kann man heute noch nachvollziehen, was damals wirklich geschah. Im Buch werden einige der Dialoge nachgezeichnet und mehr oder weniger deren Hintergründe erläutert. Am Ende findet man eine Auflistung der Teilnehmer und eine kurze Erklärung zu deren weiteren Schicksalen.
Für mich war diese Graphic Novel eine wirkliche Überraschung. Besser kann man Geschichte und speziell diesen Fall kaum veranschaulichen. Wer sich für die Hintergründe interessiert, kann zu den im Buch genannten Quellen greifen oder zu Peter Hayes Buch "Warum?", das wohl das beste Buch über den Völkermord an den Juden ist.
Etwas verwirrt hat mich folgender Satz aus den Vorbemerkungen. Da schreibt Didier Pasamonik: "Hinzu kommt die Faszination des Naziregimes: eine naturwissenschaftlich untermauerte, von raffinierter Propaganda verbreitete Ideologie mit einem Emblem von erschreckender Deutlichkeit, dem Hakenkreuz, tadellos geschnittenen Uniformen aus dem Atelier eines Modeschöpfers – Elemente einer Ästhetik, die heute noch fasziniert und als Medium eines globalisierten Antisemitismus fungiert."
Mal abgesehen davon, dass mich diese Ästhetik auch heute noch nicht fasziniert, würde ich gerne verstehen, wie die Nazi-Ideologie "naturwissenschaftlich untermauert" gewesen sein soll. Irgendwie scheinen da bei Herrn Pasamonik die Pferde durchgegangen zu sein.
Das schmälert jedoch nicht den Gesamteindruck dieses in seinem Kern hervorragenden Buches.
Das Protokoll der Wannsee-Konferenz