Cover des Buches 42 (ISBN: 9783351030421)
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Rezension zu 42 von Thomas Lehr

Rezension zu "42" von Thomas Lehr

von Steerpike vor 17 Jahren

Rezension

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Steerpikevor 17 Jahren
An einem strahlenden Augusttag bleibt um 12 Uhr 47 und 42 Sekunden die Zeit stehen. Von diesem Phänomen ausgenommen ist nur eine Gruppe von 70 Menschen, die, als die Zeit aus den Fugen geriet, das Genfer CERN besuchten und die sich in einer unbeweglichen und stillen Welt ohne Elektrizität und ohne fließendes Wasser wiederfinden. Allein in den flexiblen "Chronosphären", die die 70 "Chronifizierten" umgeben, und die sich in der Art von Luftblasen zu umfangreicheren Gebilden verschmelzen lassen, sind akustische Kommunikation und freie Bewegung möglich. Geschildert wird diese Situation in nicht chronologischer, episodenhafter Abfolge von dem Münchner Wissenschaftsjournalisten Adrian. Zu Anfang versuchen die Chronifizierten oder "Zombies", wie sie sich bald nennen, gemeinsam der Arretierung der Zeit auf den Grund zu gehen. Ist irgendein Unfall im CERN schuld an ihrer Lage? Werden sie von einer außerirdischen Macht als Versuchskaninchen gehalten? Ist die Zeit tatsächlich stehen geblieben oder sind sie durch eine Falte im Zeitgefüge in einen einzelnen Moment gerutscht, während im Universum, wie sie es kannten, der Zeitstrom weiter fließt? Mit der nur noch für sie vergehenden Zeit werden solche Fragen immer unwichtiger. Die Chronifizierten versuchen einen Ort auf den ihnen zugänglichen Landmassen zu finden, der nicht vom Zeitinfarkt betroffen ist, doch wohin sie kommen, überall nur Nicht-Chronifizierte, "Fuzzies", die von den "Zombies" bald mißbraucht, beraubt, getötet werden. Und dann läuft nach fünf Jahren ununterbrochenen Mittags der Zeitstrom um unbegreifliche drei Sekunden weiter. Haben die chronifizierten Mitarbeiter des CERN, hat irgendjemand sonst einen Ausweg aus diesem Alptraum gefunden? Das können Adrian und die übrigen Zombies nur herausfinden, indem sie sich auf den Weg zurück nach Genf machen... Thomas Lehr ist kein Unbekannter unter den deutschsprachigen Gegenwartsliteraten. Vor einigen Jahren erzielte er mit "Nabokovs Katze" bereits einiges Interesse in den Feuilletons. Doch erst mit "42" gelang ihm nun der Durchbruch: Dieses Buch landete im vorletzten Jahr auf der Shortlist für den erstmals vergebenen Deutschen Buchpreis. Mir ist das eher unverständlich geblieben. Das Buch zieht sich auf den ersten 200 Seiten wie Kaugummi. Der Roman braucht unheimlich lange, um ein wenig ins Rollen zu kommen, zunächst werden endlose Seiten mit langatmigen Beschreibungen der Fuzzies und der erstarrten Welt gefüllt, die irgendwann einfach kein Interesse am Erzählten mehr tragen. Erschwert wird die Lektüre durch die betont anstrengende Sprache, da gehen Metapherngewitter in einer lyrisierenden Sprache auf die Leser nieder, da ziehen sich Sätze über viele Zeilen hin und da wird auch gerne Mal mitten aus einer Episode in eine gesprungen, die sich zu einem ganz anderen "chronifizierten" Zeitpunkt abgespielt hat. All das wirkt sehr gewollt. Natürlich, Zeit ist irrelevant geworden und im Grunde spielt die ganze Handlung um 12 Uhr 47 und 42 Sekunden - und natürlich in den drei Sekunden, die urplötzlich noch einmal vergehen. Aber macht es wirklich Sinn diesen einfachen Sachverhalt zum obersten Gestaltungsprinzip des Romans zu erheben? Ab Teil 4 bzw. Seite 200 wird der Text dann doch noch einigermaßen spannend, als Adrian auf seinem Rückweg nach Genf einige andere Zombies trifft und so Gelegenheit entsteht, ein wenig über die verschiedenen Strategien zu berichten, mit denen die Chronifizierten versucht haben, sich in ihrer verrückten Lage einzurichten. Insgesamt können aber diese Passagen das Buch nicht retten, Geschwätzigkeit überdeckt über weite Strecken die manchmal auftauchenden, nicht uninteressanten Überlegungen zur Zeit und ihrem Fehlen, die aber auch zu konturlos und wirr bleiben, um eine wirklich fesselnde Lektüre sicherzustellen. Hinzu kommt, dass das Buch nicht besonders gut lektoriert ist, Tippfehler häufen sich ein wenig zu sehr und am unangenehmsten, weil obstinat wiederholt, fällt auf, dass bis in den Klappentext hinein behauptet wird, die Zeit sei in der 42. Sekunde der 47. Minute der 12. Stunde dieses Sommertags stehen geblieben... Ob die physikalischen Theorien korrekt dargestellt sind, kann ich nicht beurteilen, da müsste jemand mit mehr Sachverstand ran. Literarisch ist das ein ziemlich unverdaulicher Brocken mit sehr eingeschränktem intellektuellen Nährwert. Aber eines muss man dem Buch lassen: Es hat ein wirklich schönes Cover.
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