Cover des Buches In der Schlange (ISBN: 9783442312467)
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Rezension zu In der Schlange von Thomas Mahler

Rezension zu "In der Schlange" von Thomas Mahler

von M.Lehmann-Pape vor 13 Jahren

Rezension

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M.Lehmann-Papevor 13 Jahren
Blick hinter die Kulissen von Hartz IV Sein Fahrrad hat er vorsorglich dreihundert Meter entfernt vom Eingang des Arbeitsamtes abgestellt. Nicht, dass noch jemand am Fahrrad erkennt, dass er, Thomas Mahler, sich gerade Arbeitslos, sprich als ALG II Empfänger bei der Arbeitsagentur meldet. Früh um 8, wie er es sich eigentlich vorgenommen hatte, hat er auch nicht geschafft. Zu verlockend war es, noch ein wenig länger im Bett zu bleiben, verständlich, nach all den Anstrengungen des Studiums und der absolvierten Prüfungen und der gerade vollzogenen Kündigung aufgrund von Liebesdingen. Doch eine Arbeitstelle war nun noch nicht in Sicht. Ein Zustand von gedachter begrenzter Dauer. Was Thomas Mahler an jenem Morgen im Arbeitsamt in der langen Schlange gegen 11 Uhr vormittags noch nicht ahnen konnte ist, dass aus den gedachten paar Tagen oder einigen Wochen ein ganzes Jahr werden sollte. Für den Leser allerdings ein Glück., vorweg bemerkt. Denn in abwechslungsreicher, fließender und kluger Sprache, ohne zu abstrahieren und mit einer gehörigen Portion geerdeten Humors kann nun der Weg dieses Jahres in Hartz IV, den Thomas Mahler absolviert hat, mit Gewinn nachvollzogen werden. Ein Jahr mit vielfachen Erlebnissen, inneren wie äußeren Höhen und Tiefen und einigen fast abstrusen Einsichten in das System der Verwaltung der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Trocken und auf den Punkt wird so unterhaltsam und zugleich lehrreich deutlich, wie sinnentleert vielfach als hilfreich gedachte „Maßnahmen“ sind, ebenso nachdenkenswert zu diesem Thema setzt Thomas Mahler die Betrachtung einer ganzen Industrie in den Raum, die mittlerweile von der Versorgung und den Angeboten an Arbeitslose lebt und die damit natürlich ein hohes Interesse daran hat, dass allzeit genügend Arbeitslose vorhanden sind. Ein Paradoxum, denn eigentlich sollen die Maßnahmen jener Anbieter ja dazu dienen, die Arbeitslosigkeit der Betroffenen möglichst zu beenden. Aber auch die eigenen, inneren Entwicklungen vermag Mahler präzise und zugleich unterhaltsam wie mitnehmend zu schildern. Dass es nicht einfach ist, ohne Arbeit als „Hartzer“ sein Selbstwertgefühl zu finden, vor weniger, es aufrecht zu erhalten. Dass Neid und Gier auch in ihm sich mit der Zeit breit machten im Blick auf die, die sich alles einfach so leisten können und man selbst bleibt ausgeschlossen von all diesen wunderbar glitzernden Dingen der Warenwelt. Aber auch die neue Bescheidenheit und die Folge eines 10 Euro Scheins, den die Mutter ab und an schickt und der umgehend eine Verdopplung der Lebensqualität mit sich bringt. Für einen oder zwei Tage. Demgegenüber dann sein Erstaunen über die tiefe Sinnentleertheit und gar Inhaltslosigkeit einer Unternehmensberatungsaufgabe, die dennoch dem Berater ein sattes Stundenhonorar in die Kasse spülen wird. Da Mann an dieser konkrete Aufgabe mit gearbeitet hat, ist er sehr wohl in der Lage, die völlige Abwesenheit von Sinn und Gehalt im entsprechend teuer bezahlten Statement zu bewerten. Ein lebendiger, faszinierender und, vor allem, erhellender Blick auf die Hartz IV Realität, der vor allem nicht in bedeutungsschwangerer Agonie oder Depression oder politisch geschliffenen Statements stecken bleibt, sondern ein lehrreiches, unterhaltsames und höchst lebendiges Bild der „anderen Seite“ in den Raum setzt. Zudem einfach gut geschrieben.
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