Der Zustand der Welt in Bezug auf kriegerische Auseinandersetzungen, voranschreitende De-Demokratisierung, Fixierung auf einzelne „Macht-Personen“ der Politik oder der “superreichen (selbsternannten) Weltenlenker“, der strategische teils verdeckte, teils ganz offensichtliche Verteilungskampf um die Ressourcen der Zukunft, der auch die Herrschaft über soziale Medien und politischen Einfluss genauso beinhaltet, wie die realen und materiellen Bodenschätze auf der Welt und, zu all dem hinzu, die Bedrängungen durch die klimatischen Veränderungen, all das ist breit bekannt. Auch wenn es unterschiedlich gewertet wird. Nicht wenige sind davon angetan, geradezu besessen an manchen Orten, „Disruption“ auch um ihrer selbst willen endlich mal nach ganz oben zu stellen.
Die Themen somit, die Piketty und Sandel in ihrem neuen, gemeinsamen Werk aufnehmen, sind keine unbekannten Variablen, sondern einfach offenkundig.
Aber auch ein Zweites gehört dazu, aus dem die Autoren glücklicherweise gar keinen Hehl machen. Natürlich gibt es vernünftige, belastbare, wissenschaftlich erforschte Weg gegen all diese Probleme anzugehen. Es zumindest auf der politischen und wirtschaftlichen Agenda an oberste Stelle zu setzen. Da aber all diese Problemfelder teils seit langem, teils, wie im Blick auf Russland und die Ukraine, zumindest lang genug nun bekannt im Raum stehen, hat die Welt, die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaften, ja faktisch bereits darauf reagiert. Eben nur in einer Weise, die wenige der bedrängenden Fragen durch Handlungen angegangen sind, vieles im ungefähren von Meinungen und Konferenzen verblieb und man so stand jetzt festzustellen hat: Die Welt hat augenscheinlich kein großes Interesse daran, zu sehr belastende Wege anzugehen, um sich der Erosion der Welt, wie man sie lange kannte, wirklich entgegenzustellen.
So verbleibt am Ende der Lektüre ein zweischneidiger Eindruck.
Einerseits sind beide Autoren natürlich respektiert, geschliffen in der Sprache und jederzeit in der Lage, auch die schmerzhaften Probleme mitsamt einer scheinbaren Verweigerung nicht weniger Gesellschaften und Menschen, diese eben nicht wirklich handelnd anzugehen präzise auf den Punkt anzusprechen. In dieser Hinsicht ist es ein Gewinn, die aufeinanderbezogenen, sachlich fundiert und ruhig vorgetragenen Themen aus der Perspektive je beider Autoren in einer Form von Dialog zu lesen. Und damit Argumente für eine konstruktive Richtung, aber auch Argumentationshilfen in angespannten Gesprächen im eigenen Leben zu finden.
Schlicht sachlich Recht haben beide in ihren Betrachtungen.
Auf der anderen Seite, wirklich neu sind die Themen und auch die Sichtweisen Pikettys und Sandels nicht und, wie erwähnt, seit langen Zeiten an der Unbeweglichkeit der handelnden Personen entweder zäh oder gar nicht vorankommend. Wobei die fast zu vermutende Freude an reiner Disruption am Ende auch in diesem Werk keine wirklich klare und überzeugende Erklärung findet.
Warum Ungleichheit (natürlich) Sorgen zu bereiten hat im Blick auf die überzeugend vorgetragenen disruptiven Folgen, dass Geld ein Instrument ist und existenzielle Bereiche menschlichen Seins durchaus aus dem „Zwang der Wertschöpfung und des Rendite-Wachstums“ herausgenommen werden müssten (mit einer praktischen Anleitung durch Piketty, die aufzeigt, dass das möglich wäre), folgerichtig dann auch mit einem Exkurs in die „moralischen Grenzen des Marktes“ im Anschluss versehen.
Ebenso anregend zu lesen und überzeugend zeigen die Autoren den Zusammenhand zwischen Globalisierung und Populismus auf, gehen das Thema „Steuern“ auf der Basis von progressiver Besteuerung, ruhend allein auf dem Solidaritätsgedanken an, sparen Migration und Klimawandel nicht aus und bieten im letzten Kapitel auch eine Synthese von „Identität und Wirtschaft“ für die Zukunft an.
Durchweg interessant zu lesen und durchweg mit viel fundiertem Wissen versehen, auch wenn manche der Einlassungen eher in eine abstrakt-philosophische Richtung teils abdriften.
Insgesamt eine anregende Lektüre, die aber durchweg das Wissen um das „Nicht-Angehen“ oder in aktuell rein egomanischer Zielsetzung „gegen alle anderen“ angehend.
Am Ende stehen Themen durchaus sehr beleuchtet durch die seit Langem bereits als Veröffentlichungen beider Autoren im Raum des Werkes, aber mit grundsätzlich weiter drängenden und scheinbar praktisch nicht zu lösenden Fragen der Umsetzung.