Cover des Buches Natürliche Mängel (ISBN: 9783498053109)
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Rezension zu Natürliche Mängel von Thomas Pynchon

Rezension zu "Natürliche Mängel" von Thomas Pynchon

von Archibald Pynchon-Light vor 14 Jahren

Rezension

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Archibald Pynchon-Lightvor 14 Jahren
Larry "Doc" Sportello ist Privatdetektiv im Los Angeles der Siebziger, ein sanftmütiger Grasraucher, der Underdogs gegen das System vertritt. Eines Tages erhält er Besuch von seiner Ex Shasta. Sie sorgt sich um ihren aktuellen Liebhaber, den Immobilienhai Mickey Wolfmann, der von seiner Frau und deren Liebhaber in eine Nervenklinik abgeschoben werden soll. Bevor Doc tätig werden kann, ist das gesamte Quartett verschwunden. Stattdessen beauftragt ihn ein zweiter Klient, Schulden aus dessen Knastzeit einzutreiben, und zwar ausgerechnet bei einem von Wolfmanns Bodyguards. Die Suche endet mit einem überraschenden Knockout und dem Erwachen neben der Leiche des Gesuchten. Dies ist natürlich erst der Beginn einer turbulenten Jagd kreuz und quer durch Los Angeles. Anders als bei seinen weltumspannenden früheren Werken ist Pynchon diesmal sehr konzentriert, was Zeit, Ort und Handlung betrifft. Die Siebziger haben gerade begonnen. Die Welt kreist um Nixon, Vietnam und Charles Manson. Um Drogen und Musik. Das ARPAnet beginnt seinen Siegeszug und der Sender NBC will Raumschiff Enterprise absetzen. Pynchon läßt diese Zeit in allen Einzelheiten auferstehen, als Kulisse für eine reinrassige Krimigeschichte. Er nutzt alle Möglichkeiten des Genre, ohne dessen Grenzen sprengen zu wollen oder es zur Parodie verkommen zu lassen. Der Fall ist originell komponiert, obwohl er aus bewährten Bestandteilen besteht. Es kommt eben immer darauf an, was man daraus macht. Pynchon destilliert aus der gesamten Kriminalliteratur ein wahres Feuerwerk an schelmischer Unterhaltung. Doc kommt - wie sollte es bei Pynchon anders sein - einer Verschwörung auf die Spur, die irgendwie mit dem Boot "Goldener Fang" zu tun hat. Der Name soll aber auch für eine Geheimorganisation stehen, die möglicherweise aus Zahnärzten besteht. Ist ein Toter mit Bissspuren ein Hinweis oder handelt es sich doch nur um ein ein simples asiatisches Drogenkartell? Wie in jedem guten Krimi üblich, werden zahlreiche falsche Fährten gelegt, aber man sollte sich nicht darauf verlassen, dass alle am Ende wieder aufgegriffen werden. Auch die Figuren gehören zur üblichen Besetzung von hardboiled-Krimis, sind aber pynchonesk überarbeitet. Das heißt sie reden in halbseitigen Schachtelsätzen, singen schräge Lieder, neigen zu Drogenmissbrauch und verlieren sich in absurden Assoziationen. Dazu kommen vergleichsweise alltägliche Bedrohungen wie neonazistische Rockerbanden, Mafiosi, humorlose Cops, Drogenschmuggler und skrupellose Bauunternehmer. Und mitten drin der gutmütige Doc, den seine drogenbedingten Erinnerungslücken nicht daran hindern, im Verlauf der Handlung gleich mehrere Fälle zu lösen, die natürlich alle miteinander zusammenhängen. "Natürliche Mängel" ist das witzigste und zugänglichste Buch, das Pynchon jemals geschrieben hat. Eine Krimikomödie voller Nostalgie. Leichtfüßig, beschwingt und randvoll mit Musik (was hätte es für ein Hörbuch werden können). Durch die fröhliche und durchweg sympathische Hauptfigur des Doc Sportello wirkt das Buch optimistischer als alle Vorgänger. Die Hippieideale, auf die Pynchon mit Vineland bereits einen Abgesang verfasst hat, existieren hier noch und stehen in voller Blüte. Zur Einstimmung auf das Lesevergnügen empfehlen sich alle Freak-Brothers-Comics, die Cheech & Chong-Filme, natürlich The Big Lebowski und ein ausgewogener Sixties-Soundtrack. Wer schon immer wissen wollte, was die Fans an diesem Autor finden, kann hier einen ersten Eindruck bekommen, bevor er sich an seine Mammutwerke wie V, Die Enden der Parabel oder Gegen den Tag heranwagt. Wenn man natürliche Mängel bei diesem Buch finden müsste, bräuchte man allerdings nicht lange suchen. Das Cover der deutschen Ausgabe ist gegenüber dem Original so unsagbar lieb- und einfaltslos, dass man den Schutzumschlag am liebsten mit der Verpackungsfolie wegwerfen möchte.
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