Thomas Stangl verknappt die Realität. Und verdichtet sie ins Extreme. Er ist in Ansätzen Surrealist. Seine Mittel sind die Redundanz und mehrdimensionale Assoziationen. Lose reichen sie ins Außerhalb seiner Gebilde. Dort draußen aber fehlt ihm der schmutzige Grund. Der fällt ihm nicht ein. Seine Schuhe sind sauber. Wie die von Dali. Die Zeit fließt und geht ihm am Stock in die vorgebildeten Gegenden der Einbildungskraft.
Thomas Stangl
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Thomas Stangl
Was kommt
Der einzige Ort
Reisen und Gespenster
Regeln des Tanzes
Quecksilberlicht
Die Geschichte des Körpers
Diverse Wunder
Fremde Verwandtschaften
Neue Rezensionen zu Thomas Stangl
Rezension zu "Quecksilberlicht" von Thomas Stangl
Klappentext:
„Ein chinesischer Kaiser, der von der totalen Herrschaft über die Zeit träumt, Autorinnen aus dem 19. Jahrhundert, die sich gegen die Zwänge ihrer Wirklichkeit auflehnen, ein Mädchen im Simmering des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, am Rand der Stadt und am Rand der Weltgeschichte: Thomas Stangl löst einzelne Momente der individuellen Lebensgeschichte, eigener und fremder Familiengeschichten sowie weit entfernte historische Momente aus ihren Zusammenhängen und montiert sie zu neuen Konstellationen. Er verwebt Gesten, Handlungen und Szenen zu einem faszinierenden, jeder Zeitordnung enthobenen Roman und errichtet einen kontrastreichen Erzählraum, in dem vermeintliche Selbstverständlichkeiten neue Bedeutung gewinnen und konventionelle Vorstellungen von Biografie, Identität und Wirklichkeit verloren gehen.
Quecksilberlicht ist ein Roman soghafter Kraft über Geschichte, das Vergehen der Zeit und das Fortleben alles Geschehenen in unser aller Leben. Der chinesische Kaiser hielt sich für das Zentrum des Universums und versuchte, durch die Einnahme von Quecksilber unsterblich zu werden; er starb an Quecksilbervergiftung. Nicht er und nicht der Autor ist das Zentrum der Welt, ein jeder, eine jede ist es. Und die Literatur von Thomas Stangl ist der Ort, an dem sie weiterleben.“
Autor Thomas Stangl hat hier ein wortgewaltiges und mehr als beeindruckendes Werk verfasst. Das Buch ist anders als Andere, das erkennt man bereits am Klappentext aber sobald man mit lesen beginnt, eröffnet sich schier eine andere Welt. Man versinkt in Stangl‘s Zeilen und überlegt immer wieder selbst was wäre denn wenn es so wäre wie Stangl es hier im Buch geschehen lässt. Was wäre wenn die Leben immer weiter erzählt werden, weiter leben, die Geschichten praktisch fortgeführt werden oder gar mit anderen verschmelzen. Stangl lässt Bilder im Kopf entspringen, die man so noch nicht erlebt hat und wenn man seiner Geschichte folgt, ist es fast wie eine Art Märchen oder Sage aber auch wieder nicht. Ein jeder von uns erzählt seine Lebensgeschichten und das prägt alle und jeden um ihn herum. Und schnell wird deutlich, der chinesische Kaiser war mehr als auf dem Holzweg um als Zentrum aller in Erscheinung zu treten. Stangl hat viele wunderschöne philosophische Züge in diesem Werk, vieles ist in Metaphern versteckt, anderes erlesen wir selbst oder es kommt in den eigenen Gedanken zu Wort. Thomas Stangl öffnet dem Leser mit dieser Geschichte den Blick auf das wesentliche, nämlich auf uns und wie es im Klappentext bereits wunderbar auf den Punkt gebracht wurde! Ein jeder von uns ist das Zentrum der Welt, dafür braucht es keine Unsterblichkeit! 5 von 5 Sterne für dieses Werk!
Rezension zu "Quecksilberlicht" von Thomas Stangl
„Wenn ich selbst erzählen müsste, warum ich mich an die Bücher und ans Lesen und später ans Schreiben angehängt habe, wie an etwas, das stärker, fester und lebendiger ist als ich, dann müsste ich wahrscheinlich mit meiner Großmutter oder meinen Großmüttern beginnen.“ (Zitat Pos. 555)
Inhalt
Es beginnt in einem Hinterhof eines Hauses in Wien Simmering, der schreibende Ich-Erzähler stellt sich einen Augenblick im Leben seiner damals dreizehn Jahre alten Großmutter vor, ein Ereignis, das ihr Leben für immer verändert hat. „Du schaust mich an, diese befremdliche Figur aus einer befremdlichen anderen Zeit. Ich muss mir einbilden, dass du mich anschaust, sonst würde es nicht funktionieren.“ (Zitat Pos. 51) Der Autor nimmt Episoden, Situationen aus dem Leben seiner Großmütter und seiner Familie, sowie aus dem Leben des ersten Kaisers von China, und verbindet diese Fragmente neu und beinahe beliebig mit Momenten aus dem Leben von berühmten englischen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts, ordnet die Fragmente neu und bringt sie so alle wieder zurück ins Leben.
Themen und Genre
Im Mittelpunkt stehen das Schreiben und die Literatur als Möglichkeiten des Erinnerns und des unsterblichen Weiterlebens nach dem Tod als Romanfiguren dort, wie die eigene Biografie mit Romanfiguren verknüpft wurde.
Charaktere
Der schreibende Ich-Erzähler stellt seine Frage, ob die Sprache die Wirklichkeit neu erfinden kann, in den Mittelpunkt seiner Geschichte. Zwischen die geschichtlichen Figuren, die er durch sein Schreiben wieder ins Leben gerufen hat, schreibt er immer wieder auch sich selbst. Er schreibt, er beobachtet die leeren Straßen während der Pandemie, holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
Handlung und Schreibstil
Es ist eine Geschichte über das Leben und den Tod, realistisch und philosophisch und immer von allen Seiten betrachtet. Chronologische Abläufe lassen sich in diesem Gefüge nur vage erkennen und entschlüsseln sich nur langsam. Einen Teil bildet die eigene Familiengeschichte in Kindheitserinnerungen, persönlichen Erfahrungen, erzählten Geschichten und auch den Auslassungen darin. Die Gedankenreise führt den schreibenden Ich-Erzähler und auch uns Lesende aber viel weiter, zurück in das Reich von Qin Shihuangdi, erster Kaiser von China, in das ländliche England des neunzehnten Jahrhunderts, zu den englischen Dichterinnen, die dort gelebt haben, in das London des neunzehnten Jahrhunderts und wieder zurück nach Wien, damals und heute. Auch die Sprache ist eine unruhige Reise durch diese wie Schnipsel in die Luft geworfenen, irgendwie wieder aufgefangenen und mit zufälliger Leichtigkeit aneinandergereihten Fragmente, die dann doch, erstaunlicherweise, ein stimmiges Ganzes ergeben.
Fazit
Quecksilberlicht, schon der Titel und das Buchcover bleiben beim Lesen in den Gedanken haften und aus diesem diffusen Licht treten die einzelnen Personen heraus, erzählen kurz aus ihrem Leben, teilen ihre Gedanken mit uns, verschwinden wieder, um dann mit immer neuen Details und Geschichten wieder aufzutauchen. Der Tod begleitet alle diese Fragmente, doch in der Literatur und nun auch in diesem Roman leben sie alle weiter. Für Lesende, die Geschichten mit klar definierten Erzählsträngen schätzen, ist dieser ungewöhnliche Roman vermutlich nicht die richtige Wahl. Wenn man jedoch bereit ist, die gewohnte Wohlfühlzone zu verlassen, so erlebt man mit diesem Buch facettenreiche, ungewohnte und fordernde Lesestunden.
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