Cover des Buches Regeln des Tanzes (ISBN: 9783854208464)
Rezension zu Regeln des Tanzes von Thomas Stangl

Innere Demonstration?

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 10 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 10 Jahren
„All das klingt nach Blödsinn, aber nach leicht beunruhigendem Blödsinn …“ Das meint Frau Stanek, Vorname nicht bekannt, eine der drei Hauptfiguren des Romans im Abschnitt III (Wald). All das klingt nach Blödsinn, aber nach leicht beunruhigendem Blödsinn, habe auch ich mir beim Studium dieses Buches gedacht; mehrmals und während eines echten Studiums, denn bloße Lektüre war es nicht. Auf manieristisch im literarischen Stil möchte ich mich zurückziehen. Natürlich nicht im Sinne der Epoche zwischen Renaissance und Barock. Auf keinen Fall. Eher im Sinne einer Orientierung zwischen Ilse Aichinger und Thomas Bernhard.

Was bringt mich zu diesem Urteil? Die willkürlich erscheinende und wohl auch wirklich willkürliche Aneinanderreihung von Gedanken, die einfach zu Papier gebracht werden, auch wenn sich dem Leser kein Zusammenhang erschließt; außer wohlwollenden Literaturkritikern denkt hier wohl niemand an Robert Schumanns „Der Dichter spricht“. Eine Unzahl von passenden und unpassenden Aufzählungen; Aufzählungen, von denen man den Eindruck gewinnt, dass der Autor Wörter, die ihm gerade einfallen, schlicht gesagt loswerden will. Mehrmalige, meist unmittelbar aufeinander folgende Wiederholungen kaum veränderter Aussagen; damit der Leser endlich kapiert, worum es dem Autor geht? Immer wieder in Klammerzusätzen angebrachte Fragen der Protagonisten, die sie sich selbst stellen; Fragen, die sich der Autor selbst nicht beantworten kann oder will, und deshalb dem Leser zur Beantwortung überlässt? Kryptische Wendungen wie etwa „als wäre sie selbst das Trinken“; und oft schwer einzuordnendes Handlungsgeschehen. Ein Buchtitel nach dessen Erklärung der Leser auf jeder Buchseite wartet; dessen Sinn er sich selbst zusammenreimt, richtig oder falsch, etwa mit den Regeln für den Wiener Opernball, für einen Demonstrationszug oder vielleicht doch für das Tanzen, „das heißen könn(t)e: die Regeln der Gesellschaft hinter sich lassen“? Eine Bezeichnung der sieben Abschnitte, die für die zwei ersten Abschnitte ein und dieselbe ist und dem Leser auch ansonsten nicht so recht plausibel daherkommt. Die offensichtlich gewollte Wiedergabe eines fehlerhaften englischen Satzes (don´t statt doesn´t) in dem ersten dem Buch vorangestellten Motto; was möglicherweise eine vage Andeutung dafür sein soll, dass das Thema lautet: im Staate Österreich stimmt überhaupt nichts mehr.

Auf Englisch suggeriere ich mir an dieser Stelle meiner allzu sehr ins Negative abgleitenden Rezension: Slow down! Es fehlt nicht etwa eine Handlung, sie darf sogar als verhältnismäßig stringent angesehen werden; wegen durchaus gekonnter zeitversetzter Handlungsstränge und nicht weniger geglückter Verschränkungen der Hauptfiguren. Zwischendurch gelegentlich sogar wohltuend karikierende Passagen, wie etwa die Wiedergabe von Zapp-Impressionen beim Mitternachtsfernsehen. Und überhaupt, das ist offensichtlich das Hauptanliegen des Autors, eine nicht schlecht beobachtete Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Österreich, die weitgehend deckungsgleich sind mit denen in unserem bundesrepublikanischen Dasein (der Nebensatz „nicht in einem Land mit diesen Zeitungen“ darf ohne weiteres auf unsere Abnick-Demokratie übertragen werden). Keinesfalls nur ein Sammelsurium verschrobener Innenansichten, aber mehr als mühselig zu lesen.

Fazit: Das Psychogramm eines dreigeteilten dichterischen Alter Ego, mit dem Stangl nach meinem Eindruck sein Unbehagen an Verhältnissen, die er nicht ändern kann, und seine Kritik an einer Vielzahl in unserer Zeit existierender Zwänge zum Ausdruck bringen will. Ob seine Art der literarischen Empörung in dieser Richtung dem Leser zu empfehlen ist, steht freilich auf einem anderen Blatt.
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