Rezension zu 200 Jahre Staatliche Lehrerbildung in Wurttemberg von Thomas Wiedenhorn
Bewegender Bildungsband.
von Ein LovelyBooks-Nutzer
Kurzmeinung: Ein Jubiläumsband, der überrascht an Spannung, schulsystemischer Dringlichkeit und inhaltlicher Kontroverse. Sehr gelungen!
Rezension
✗
Ein LovelyBooks-Nutzervor 7 Jahren
Angelegt ist diese Schrift als Jubiläumsband zur 200 Jahre-Feier des Lehrerseminars in Württemberg. Die Erwartung, eine historische Dokumentation zur Entstehung dieses Seminars rekonstruieren zu können, wird voll erfüllt. Die hier geschilderten Aspekte der Seminargründung sind: ein politisch unruhiger Staat, eine massive Kirchenpräsenz, eine stark unterschiedliche gesellschaftliche Resonanz auf diese Institutionalisierung von Bildung, eine trennscharfe Geschlechterdifferenz für den Seminarbesuch, die exponierte Bedeutung charismatischer Schulleiter, der moralisierende Einsatz von Musik im Seminar, das meist jugendliche Alter der Seminaristen, die teilweise notdürftige Unterhaltung des Seminars und der Teilhabenden darin, eine stark variable Zusammensetzung der Seminarinhalte, eine für gegenwärtige Verhältnisse ungewohnte Konfrontation zwischen Bildung und Demokratie und zuletzt die bis heute aktuell gebliebenen pädagogischen Impulse wie die Einheitsschule, Chancengleichheit und Sinneserfahrung nach Pestalozzi. In der Fülle dieser aufgebotenen Aspekte wird deutlich, dass dieser Band weit mehr ist, als eine Jubiläumsschrift: Er zeigt Zusammenhänge von Bildung auf, in denen sie gegenwärtig nicht verhandelt werden muss. Vergangene Missstände werden deutlich, die die Qualität von Bildung deutlich beeinflussen können. Gegenwärtig nicht vorstellbare Dispute um den Lehrerberuf werden offenbar, die ein völlig ungewohntes Profil des Einzelnen erfordern. * Retroperspektiv ist diese Schrift eine Überraschung, eine Kostbarkeit - und plötzlich entpuppt sie sich zum Krimi: In dem Moment, in dem rezeptiv deutlich wird, dass im Vergleich das gegenwärtige Bildungssystem etablierter, routinierter, wohlhabender erscheint, als dieses frühere. Doch die Kernfrage, wieviel Bildung die Lehrerausbildung generieren kann für die gegenwärtige Gesellschaft, bleibt unverändert als offene Frage bestehen. Provokant. Bewegend. Unruhig. * Die AutorInnen schaffen ein recht vielseitiges Bild dieser Seminarbeginns vor 200 Jahren. Insofern ist dieses Büchlein nicht nur für den pädagogischen Fachkreis geeignet, sondern ermöglicht allen, die sich für die Konzeption von Bildung interessieren, eine umfassende, gehaltvolle Rekonstruktion. ***