Cover des Buches Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin (ISBN: 9783492053570)
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Rezension zu Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin von Thommie Bayer

Rezension zu "Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin" von Thommie Bayer

von M.Lehmann-Pape vor 12 Jahren

Rezension

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M.Lehmann-Papevor 12 Jahren
Zu sich selber finden Ein melancholischer Romantiker, so könnte man Thommie Bayer, Jahrgang 1953 ( nicht unwichtig) bezeichnen. Einer, der bereits Mitte der 70er Jahre als Musiker textete: „Ich hol Dir keine Sterne mehr vom Himmel, die liegen nachher doch nur bei uns rum“. Somit einer, der als eines seiner durchziehenden Themen späterhin auch in seinen Büchern die (eher unglückliche) Liebe, die Suche nach sich selbst, die leichte Resignation am Miteinander zum Thema macht. Einer auch, der in seinen Figuren doch ein Männerbild mit einfließen lässt, dass in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts en vogue war und auch in diesem Buch gealtert vorliegt. Weich, einfühlsam, sich selbst reflektierend, „Frauenversteher“, vom Leben schon durchaus mitgenommen und vor allem nicht da angelangt, wo man eigentlich mal hinwollte. Da trifft es, wenn man liest: „Wer Katzen mag, der will sich unterordnen. Ein bisschen Schmerz ist willkommen für Masochisten“. Und die Hauptfigur liebt eben Katzen. Wie sonst könnte es zudem sein, dass im vorliegenden Buch die sympathische (und sicher nicht hässliche) Nachbarin (und Vermieterin des Ferienhauses, in dem die Hauptfigur Zuflucht vor der Welt und einer leichten Verfolgungswelle gegen diesen Mann, um den die Geschichte, Novelle, Fabel sich dreht, gesucht und gefunden hat) eines Tages, nachdem man sich bekannt gemacht und einander für sympathisch gefunden hat, sicher auch, nachdem der Ehemann der Vermieterin bereits mit in diese Sympathie aufgenommen wurde, aufgrund eines Malheurs nur mit einem Regenmantel bekleidet im Ferienhaus Unterschlupf sucht, die Badewanne ihres Mieters nutzt und dieser tatsächlich einen leckeren Tee (und ein warmes Gespräch) zubereitet und allein im Sinn hat? Eine Szene, die nach, zumindest verdeckter, Erotik fast schreit und im eher spannungslosen „einander gut sein“ endet, fast zerfließt. Selbst wenn Männersympathie herrscht zum Ehemann der Frau, ein ganz klein wenig „menschlich-männliche“ Zuckungen hätten der Figur nun mal realistisch gesehen einfach gut getan. Selbst eine ausführliche Massage (allein mit der Frau, da der Mann auf Reisen gerade ist) lässt die schnöden Schichten der Erotik außen vor um in eben tiefere Schichten der Selbstfindung einzudringen. Andererseits ist es auch wieder logisch, gerade vom Ende des Buches her betrachtet, dass dies nicht geschieht, denn mit den drei, eigentlich vier handelnden Protagonisten (von denen der Ehemann keinen breiten Raum erhält und die vierte Figur kein Mensch ist) hat Thommie Bayer am Ende des Buches etwas anderes noch im Sinn, das durch ein erotisches Knistern jedweder Art so nicht möglich wäre. Wie immer ruhig, bedächtig, reflektierend und mit großem Wortschatz in feinem Stil geschrieben, lässt Thommie Bayer seine Leser die Hauptfigur begleiten bei einer Art „Wunden lecken“ und langsamem „Heil werden“. Vordergründig im Blick auf Plagiatsvorwürfe an den Schriftsteller und Verrat seines Verlegers, die den Mann von Berlin in die Provinz getrieben haben, vordergründig auch von der Trauer um den Tod seiner geliebten Katze. Hintergründig aber wird sich zeigen, dass noch ganz andere Ereignisse in ihrer verdrängten Trauer und ihrem verdrängten Schmerz nach Heilung, Aufarbeitung verlangen. Ein innerer Wendepunkt im Leben eines Mannes, der sich und seine Freunde eigentlich nur in einem geeint weiß:“ Wir haben die besseren Zeiten schon hinter uns“. Einer, der „immer den Ort gewechselt hatte, wenn das Leben mir unerträglich erschienen war. Dies gelingt langsam, Schritt für Schritt, vor allem im Zwiegespräch mit einer Katze und in inneren Dialogen, wobei ein stückweit offen bleibt, ob dies nur in der Fantasie des Mannes stattfindet oder tatsächlich eine Katze mit telepathischen Fähigkeiten im Buch ernst gemeint seine „Auszeit“ mit ihm teilt. In Form eines Kammerspiels führt Bayer den Leser sacht durch das Innenleben und das langsame, man kann sagen, endlich, zu sich Finden eines Mannes mit durchaus schwerem Schicksal, führt, wie bei ihm gewohnt, in umfassend viele Verästelungen des inneren Erlebens seiner Hauptfigur ein und erzeugt so durchaus eine in sich stimmige und teils dichte Atmosphäre. Wenn der Mann nicht solch ein, mit Verlaub, „vegetarisches Weichei“ wäre in so gut wie jedem Lebensausdruck, der im Buch skizziert wird. Wer die Bücher von Bayer nicht kennt (oder gegenteilig ein echter Fan ist), der wird literarisch nicht schlecht bedient. Wer das ein oder andere Schaffen Bayers verfolgt hat, durchaus auch genossen hat, daher vertraut mit Stil und Eigenart ist, der würde sich vielleicht dann doch einmal einfach ein anders Sujet, ein anderes Männerbild, ein anderes Erleben als das melancholisch-romantische gepaart mit dem „in der Welt verloren“, wünschen. Alles in allem sprachlich lesenswert, hier und da anrührend, manches Mal auch einfach unrealistisch in den Handlungsweisen und auch fast einen Tick zu gut, zu kontrolliert für diese Welt fast. Eine echte Geschmackssache, letztlich, dieses Buch.
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