«Vom Garten auf den Tisch – moderner, naturverbundener Lifestyle pur! … Drei Freunde – ein kreatives Trio – eine Vision: Ein Kochbuch voller Rezepte, dessen Zutaten eigens angebaut werden. Die Liebe zum Garten, zum Gärtnern und zum Gestalten. Die vier Jahreszeiten führen den Leser durch das Buch. Alle Rezepte richten sich nach dem Zyklus der Natur.»
So der Pressetext. Das Cover zeigt frisches Gartengemüse und untermalt diese Vorstellung. Die Fotos in diesem Buch sind absolut Extraklasse, denn die Autoren sind Fotografen. Und ich nehme mal an, dass genau das dazu führte, den Ansprüchen an das Konzept des Buch nicht gerecht zu werden. Die Gerichte sind theoretisch einfach nachzukochen. Praktisch hapert es häufig an den Zutaten. Mein Hauptkritikpunkt sind die Frischezutaten der Rezepte, die nun mal nicht unbedingt parallel im Garten wachsen, bzw. gar nicht. Und auch die Anleitungen würde ich keinem Anfänger zumuten wollen.
«Die Haptik des Covers steht in direkter Verbindung zum Inhalt des Buches: Eine erdige, raue und matte Buchoberfläche lässt den Leser schon bei der ersten Berührung in seine Welt eintauchen. Das Kochbuch «Garden» ist nicht allein ein Buch voller Rezepte. Es ist vor allem ein Buch für Gartenliebhaber und eine Hommage an die Naturschätze, an die Erde, an unsere Gärten. Es ist ein Kochbuch und ein Kunstwerk zugleich.»
Viele Versprechungen, die hier nicht eingehalten werden! Denn man muss sich ja an Zielen messen lassen. Vorweg, es gibt wirklich gute Rezepte und Anregungen in diesem Buch – aber wer ein Kochbuch sucht, das nach Jahreszeit die Frische des eigenen Gartens, bzw. die Auswahl des Wochenmarkts oder des Obst- und Gemüsehändlers widerspiegelt, der liegt hier falsch. Die Gerichte sind einfach nachzukochen. Aber sie sind nicht einfach in den Zutaten – wie man bei einem Gartenkochbuch erwarten mag – es gibt ziemlich viel Chichi, was so gar nicht zu dem erdigen Anspruch passen mag.
«Ein Kochbuch für Gleichgesinnte und Neugierige. Für den Reihenhausgartenbesitzer, den Urban Gardener, den Kleingärtner. Für den großen und kleinen, alten und jungen Gartenfreund, der von schönen Bildern und kulinarischen Höhepunkten rund um Gemüse, Kräuter, Beeren, Wurzeln und Früchten kaum genug kriegen kann. Das Autorenteam hat zwölf Monate lang gesät, gepflanzt, geerntet, kombiniert und variiert.»
Das Buch ist nach Jahreszeiten eingeteilt, legt los mit dem Frühling. Beginnen wir mit dem ersten Rezept: Topinambur mit Kirschtomate und Babyspinat. Topinambur ist ein typisches Wintergewächs, wird von Oktober bis maximal März geerntet. Tomaten wachsen bekanntlich im Sommer, Spinat könnte man zum Frühjahrsgemüse hinzurechnen, den man ab Mai ernten kann. Bei weiteren Zutaten musste ich erstmal googeln: Shiso-Kresse. Mit der Garten- oder Brunnenkresse ist die Shiso-Kresse, die auch Perilla genannt wird, nicht verwandt. Ein Gewächs, dass ich auch in unserer Gärtnerei nicht finden werde. Klar, man kann die Samen kaufen, aber grundsätzlich finden wir das japanische Gewürz in unseren Gärten nicht vor. Weiter geht es mit Bärlauch-Kaninchen-Erdnuss. Klar, Bärlauch ist ein typisches Frühjahrsgewürz. Aber wie sieht es mit dem Rest der Zutaten aus? Sojasoße, Sesamöl, Reisessig (den habe ich nicht zu Hause), Erdnusskerne, griechischer Joghurt, 1 Minigurke (kein Frühjahrsgewächs), getrocknete Kirschen (die muss man online bestellen), Erdnussöl. Letztendlich ist hier nur der Bärlauch aus dem Garten. Für das nächste Rezept Liebstöckel-Heu-Forelle benötige ich eine große Handvoll Heu. Da wir unseren Rasenschnitt nicht trocknen, frage ich mich, woher ich wohl das Heu bekommen mag. Oder nehmen wir das übernächste Rhabarberrezept mit Schweinekotelett und Aubergine (lange, dünne werden benötigt). Die Aubergine gedeiht selten in unseren Regionen, ihr ist es bei uns meist zu kalt. Und natürlich, ist sie ein typisches Sommergemüse. So könnte ich weiter fortfahren.
Die Beschreibungen zu den Rezepten sind sehr reduziert und Anfänger werden sich teilweise heillos überfordert fühlen. Nehmen wir das nächste Rezept: Grüner Spargel, Calamaretti, gelbe Linsen. Nebenbei, nichts davon wächst in meinem Garten – auch wenn der Spargel ein Frühjahrsgemüse ist. Zunächst werden die Linsen gekocht. Dann die Calamaretti angebraten, eine Soße gezogen, die Calamaretti dort hineingelegt, damit sie darin ziehen können. Nun wird der Spargel gekocht. Ist das ein kaltes Gericht, mit warmem Spargel habe ich mich gefragt. Oder ist die Reihenfolge falsch? Und es muss natürlich mit der teuren, ligurischen Taggiasca Olive gekocht werden (sie kommt noch öfter vor), die auch nicht in meinem Garten wächst, nicht im Supermarkt zu finden ist. Wo bleiben Majoran, Thymian, Zitronengras, Zitronenverbene, Brunnenkresse, Salbei und die ganzen Kräuter, die in meinem Garten wachsen?
Hier wird viel mit Kichererbsen aus der Dose hantiert – die frisch gekocht wesentlich besser schmecken. Ich glaube, einem Koch wäre das nicht passiert. Slow Food, saisonal, regional, handgemacht, das war doch der Anspruch an dieses Werk? Boysenbeeren musste ich erstmal googeln, die Raf- Tomate kenne ich nur aus Spanien, und sie hat nichts Terroristisches an sich, ähnelt ein wenig der Ochsenherz-Tomate. Kokosnüsse, die öfter verwendet werden, wachsen bisher nicht in meinem Garten, auch keine Artischocken oder die Blauhildenbohne (aber scheinbar eine interessante Sorte). Die Beilagen musste ich musste ich googeln, wie Trafilata al Bronzo, eine bondere Sorte Spaghetti oder Blackbean-Spaghetti, Fregola Sarda, eine sardische Nudelsorte. Den italienischen Riso venere hat auch nicht jeder im Haus, man nennt ihn den schwarzen Reis der Venus. Wer mit diesen Rezepten hantieren möchte, sollte zunächst mal in seinen Vorratsschrank schauen, und sich fragen, ob er folgende Produkte vorrätig hat: Ahorn-, und Dattelsirup, Reisessig, Misopaste, Sumach, Tandooripulver, Garam Masala, Schwarzkümmel, Hanfsamen, Szechuanpfeffer, Fischsauce, Tamarindenpaste, Tahin, Tonkabohne, Kastanienhonig, Pflaumenwein, Panko (asiatische Variante des Paniermehls). Leider wird nicht erklärt, dass der Umgang mit der Tonkabohne nicht ganz ungefährlich ist. Die Artischocke wird aufgeschnitten, das Heu entfernt und nun wird sie gebraten. Dann viel Spaß beim Essen! Überhaupt, mit Erklärungen halten sich die Fotografen nicht lange auf. Einmal wird eine ganze Dose Safranfäden zum Blumenkohl verwendet. Das ließ mich mit dem Kopf schütteln. Safran ist ein Gewürz, das man spärlich verwendet, weil man damit schnell überwürzen kann.
Es gibt ein paar gute Rezepte und Ideen, ohne Frage. Nur der Anspruch und die Aufmachung für dieses Konzept geht nicht auf. Gartenküche, «eine Hommage an die Schätze der Natur, an die Erde, an unseren Garten», wie es im Vorwort heißt, wird hier nur spärlich verwendet. Gartenküche bedeutet regional – frisch. Doch leider kommen hier jede Menge Gemüse und Obst darin vor, die üblicherweise nicht in unseren Gärten gedeihen, schon gar nicht so, wie sie zusammen variiert werden. Vielleicht ist das ganze visionär gedacht und die Klimaerwärmung wird uns die Anzucht von Artischocken und Kokosnüssen möglich machen. Genauso wenig regional sind die teuren Zutaten, spezielle Nudeln und Reis, spezielle Sorten von Oliven usw. Es wird viel mit asiatischen Gewürzen gearbeitet - auch das gehört nicht unbedingt in die Gartenküche. Viele von diesen Gewürzen bekommt man nicht im Supermarkt nebenan – muss wie bei den Beilagen im Internet bestellen. Die meisten Gerichte werden mit Fleisch und Fisch gekocht – auch hier kein Wort zur Nachhaltigkeit. Wer Gemüsegerichte sucht, wird kaum fündig. Genau das ist das Gegenteil von Slow Food: Saisonal, regional, handgemacht und eben nachhaltig – mit gutem Umgang mit unseren Ressourcen hat dieses Buch ganz und gar nichts zu tun!
Die Fotografen Thorsten Suedfels, Foodstylist Adam Koor und die Stylistin Meike Stüber leben mit ihren Familien in Hamburg und arbeiten dort für namhafte Foodmagazine, Buchverlage und Agenturen.
https://literaturblog-sabine-ibing.blogspot.com/p/garden-ein-kochbuch-von-thorsten.html