Die Geschichte der japanischen Hauptstadt Tokyo, deren Entwicklung vom Mittelalter bis 1945 als Collage aus biografischen Essays zu erzählen, ist eine grandiose Idee und äußerst geglückt in der Umsetzung. Die Geschichten von Fürsten, Shogunen, deren Familien und Samurai, Ukiyo-e-Künstlern, Verlegern, Kaufleute sind spannend zu lesen. Die Zusammenhänge werden klar.
Als im 15. Jahrhundert der Kriegsherr Ota Dokan eine kleine Stadtsiedlung neben eine alte Burg und ein Fischerdorf namens Edo setzte, konnte niemand ahnen, dass dieses Edo um 1700 mit einer Million Einwohner die größte Stadt der Welt sein würde. Zu verdanken war das dem Fürsten Tokugawa Ieyasu, der 1590 nach Edo kam und aus dem Provinznest seine Hauptstadt machte, in der 15 Generationen seines Hauses als Shogune regierten.
Es entwickelte sich eine Großstadt, die wegen der Ansiedlung aller japanischen Fürstenfamilien und deren Samurai unter starkem Frauenmangel litt. Die Bürgerlichen räumlich streng von den Bereichen der Adeligen getrennt, aber sehr interessiert, etwas Genaueres über deren Leben zu erfahren. So gab es die gelben Hefte: Kibyoshi und Ukiyoe Künstler, die Einblicke in das Leben gaben. Viele Feuersbrünste führten zum Erstarken der bürgerlichen Feuerwehren.
Tokyo bzw. Edo, wie die Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune bis 1868 hieß, hat eine Fülle von faszinierenden Persönlichkeiten hervorgebracht, angefangen vom Rebellen Taira Masakado, dessen Kopf mehrere 100 km bis ins heutige Herz der Stadt flog, bis hin zu Hirohito, dem Vater des heutigen Kaisers, der die Bombardierungen 1945 erleben musste, und über dessen mögliche Mitschuld am Krieg man heute noch keine einhellige Auffassung hat. Daneben begegnet man Herrschern, Gelehrten, Künstlern, Priestern, Samurai, Politikern und einfachen, aber auch skurrilen Menschen wie dem Erfinder des Sushi „nach Edo-Art“ Hanaya Yohei. Gemeinsam ist allen skizzierten Personen, dass sie ihre Stadt prägten und von ihr geprägt wurden. Die vorgestellten Essays legen Wert auch auf die historische Verortung in der Stadttopographie, die heute oft unter mehreren Schichten Zerstörung und Modernisierung freigelegt werden muss, und zeichnen in ihrer Gesamtheit den Aufstieg eines provinziellen Fischerdorfs zu Japans Metropole nach.
Till Weber ist es gelungen, Geschichte spannend zu erzählen und erlebbar zu machen. Um die japanische Gesellschaft und die Bedeutung der Stadt Tokyo zu verstehen, ist es sehr lohnend, dieses Buch zu lesen.
Till Weber
4,5 Sterne bei 2 Bewertungen
Autor*in von Tokyo - eine Biografie, Bakumatsu und weiteren Büchern.
Alle Bücher von Till Weber
Tokyo - eine Biografie
Erschienen am 25.04.2016
Bakumatsu
Erschienen am 01.05.2023
Bakumatsu
Erschienen am 01.05.2023
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