Von der Leine an die Themse. Georg I. - Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien
Seit 2014 bringt der Penguin-Verlag eine Buchreihe heraus, die "Penguin Monarchs". Es handelt sich um Kurzbiographien aller englischen und britischen Könige und Königinnen seit dem 11. Jahrhundert. Die Reihe beginnt mit den letzten angelsächsischen Herrschern vor der normannischen Eroberung. Auch Oliver Cromwell ist ein Band gewidmet. Mittlerweile sind mehr als drei Viertel der 45 geplanten Bände erschienen. Bald wird die Reihe vollständig sein. Die Bücher sind kleinformatig (13x18,5 cm) und umfassen maximal 150 Seiten. Sie enthalten farbige Abbildungen, Stammtafeln und kommentierte Literaturhinweise. Auch wenn eine entsprechende Angabe fehlt, ist davon auszugehen, dass sich die Bände an historisch interessierte Laien richten, die sich rasch über das Leben der englischen Monarchen informieren wollen. Als Konkurrenz zur renommierten Biographienreihe "Yale English Monarchs", deren Bände eher für den wissenschaftlichen Gebrauch in Frage kommen, sind die "Penguin Monarchs" nicht gedacht. Interessant ist die Reihe dennoch, denn der Verlag hat zahlreiche bekannte Historikerinnen und Historiker als Autoren gewonnen. Damit ist sichergestellt, dass sich die einzelnen Kurzbiographien auf der Höhe des heutigen Forschungsstandes bewegen.
Georg I. (1660-1727), der erste britische König aus dem Hause Hannover, ist heute kaum noch bekannt. Er erbte die Krone, als Königin Anna, die letzte Herrscherin aus dem Hause Stuart, 1714 kinderlos starb. Das englische Parlament hatte Katholiken von der Thronfolge ausgeschlossen und die protestantische Kurfürstin Sophie von Hannover, eine Enkelin König Jakobs I., zu Annas Erbin erklärt (Act of Settlement, 1701). Da Sophie kurz vor Anna starb, ging ihr Erbanspruch auf ihren Sohn Georg über, den Kurfürsten von Hannover. Zum Zeitpunkt des Thronwechsels war Georg ein behäbiger Mittfünfziger ohne nennenswerte Ambitionen. Hinter ihm lag eine lange militärische Laufbahn. Obwohl er zum illustren Kreis der Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches zählte, wirkte er aus britischer Perspektive provinziell. Tim Blanning, der bekannte Experte für die Geschichte Europas im 17. und 18. Jahrhundert, hat sichtlich Mühe, Georg interessante und gewinnende Züge abzugewinnen. Georg hatte mehr Glück als Talent. Die englische Krone fiel ihm zu, ohne dass er sich anstrengen musste. Der im Exil lebende katholische Zweig des Hauses Stuart hatte in Großbritannien zwar Sympathisanten. Doch ein Aufstand, der Georg vom Thron stoßen sollte, scheiterte zur Jahreswende 1715/16 kläglich. Fortan saß Georg I. fest im Sattel. Er konnte es sich erlauben, während seiner dreizehnjährigen Herrschaft mehrfach für längere Zeit nach Hannover zurückzukehren.
Blanning steht Georg nicht so spöttisch und herablassend gegenüber wie viele andere britische Historiker. Er begegnet seinem Protagonisten mit Verständnis und Sympathie. Der König war von Natur aus zurückhaltend und bedächtig. An einer glanzvollen und kostspieligen Hofhaltung hatte er kein Interesse. Sein reifes Alter und seine Lebenserfahrung bewahrten ihn vor Torheiten und Missgriffen. Er arrangierte sich geräuschlos mit den politischen Verhältnissen in Großbritannien, respektierte das Parlament, überließ die Regierungsgeschäfte fähigen Ministern. Das wohlhabende Großbritannien war im Begriff, zur führenden Wirtschaftsmacht Europas aufzusteigen. Georg hatte an den Kriegen gegen Ludwig XIV. teilgenommen. Er und seine Minister waren sich einig, dass auf dem Kontinent ein Gleichgewicht der Mächte herrschen sollte. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg spielte Großbritannien die Rolle des Schiedsrichters im Mächtesystem. Die Personalunion mit Hannover erwies sich als strategischer Vorteil für das Königreich. Blanning widmet nicht nur der internationalen Politik Aufmerksamkeit, sondern auch den Problemen im britischen Königshaus. Georg überwarf sich mit seinem einzigen Sohn. Jahrelang sprachen der König und der Thronerbe nicht miteinander. Vater-Sohn-Konflikte dieser Art traten in den folgenden Generationen immer wieder auf. Sie wurden zum unrühmlichen "Markenzeichen" des Hauses Hannover.
Von diesen privaten Misshelligkeiten abgesehen war Georg I. in der Tat ein glücklicher König, wie ihn Blanning nennt. Glücklich war er auch im Tode: Er starb nicht in Großbritannien, sondern in Deutschland. Seine letzte Ruhestätte fand er in seiner Heimatstadt Hannover, von der er sich nie gelöst hatte. Mit nicht einmal 90 Seiten Text fällt Blannings Buch sehr schmal aus. Doch bedenkt man, wie wenig Georg als König leistete und wie kurz seine Herrschaft war, dann ist dieser knappe Umfang allemal gerechtfertigt.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im April 2018 bei Amazon gepostet)