Cover des Buches Mord im Tiergarten (ISBN: 9783954511785)
mecedoras avatar
Rezension zu Mord im Tiergarten von Tim Pieper

Mord im Tiergarten

von mecedora vor 10 Jahren

Rezension

mecedoras avatar
mecedoravor 10 Jahren
Ein jüdischer Zeitungsmagnat wird tot im Affenhaus des Berliner Zoos aufgefunden. Ermordet - und zwar ganz offensichtlich auf rituelle Weise, deuten seine Verstümmelungen doch auf kultische Opferung hin.
Wir schreiben das Jahr 1896, als der Kriminologe Otto Sanftleben von der Berliner Polizei zu diesem Mordfall, der nicht der einzige bleiben wird, hinzugezogen wird, und uns mitnimmt in einem Sumpf aus Antisemitismus, Nationalismus und Rassismus, mitnimmt in eine Welt von Hass und Wahnsinn. Wer ist der Mörder, der diese grausame Reihe von Ritualtötungen begeht?

Tim Pieper lässt in seinem historischen Kriminalroman "Mord im Tiergarten" die Atmosphäre der späten 1890er Jahre und die unter der von Uniformen und kolonial-nationalistischem Großdenken brodelnden und sich immer mehr verselbstständigenden Strömungen authentisch aufleben. Das aufkeimende und nur allzu schnell und leicht Fuß fassende und alle Gesellschaftsschichten vom einfachen Tierwärter bis zum renommierten Universitätsprofessor unaufhaltsam durchwirkende Gedankengut rassistischer und antisemitischer Art wird nicht nur historisch gut recherchiert, sondern auch in seinen Zusammenhängen und Ausbreitungswegen realistisch dargestellt. Erschreckend ist es, das Umsichgreifen der nationaldeutschen und rassenfixierten Überzeugungen zu beobachten - Strömungen, die es schon zu allen Zeiten gab, die zu dieser Zeit jedoch ein ganz anderes Ausmaß und ganz andere, auch pseudowissenschaftliche, Begründungen und Bemühungen erfuhren und für die spätere Entwicklung der deutschen Geschichte eine so ausschlaggebende und richtungsweisende Rolle spielten.

In diesem Umfeld macht sich Otto Sanftleben, ein sympathischer, wenngleich mir ein wenig überheblich erscheinender Kriminalist aus gutem Hause, auf die Suche nach dem Mörder. Der Körper lügt nicht, davon ist Sanftleben überzeugt, der Menschen und ihre Reaktionen genau beobachtet. An seiner Seite hat er Moses, seinen Leibdiener und "Ziehsohn", einen dunkelhäutigen Herero, der im Berlin dieser Zeit nicht nur mit den damals üblichen Vorurteilen gegen die vermeintlich wenig intelligenten und als "Wilde" in der Deutschen Colonialausstellung geradezu als Tiere einer archaischen Gattung ausgestellten Schwarzen zu kämpfen hat, sondern auch mit den neuen, durch Rassenzugehörigkeit begründeten angeblichen Minderwertigkeit, die ihm, einem intelligenten und strebsamem jungen Mann, von allen Seiten unterstellt - und in den Weg gestellt - wird.

So interessant Tim Piepers Figuren auch sein mögen: ihnen fehlt es ein wenig an Leben und Plastizität.
Auch der Erzählst ist an vielen Stellen ein wenig hölzern, sodass wirkliche Spannung beim Lesen dieses rein faktisch hochinteressanten und durchaus gut konstruierten Romans kaum aufkommt, der Leser nicht gefesselt wird.

"Mord im Tiergarten" überzeugt in allererster Linie durch das interessant gewählte Setting und dessen authentischer Ausgestaltung, Sprache und Figurenzeichnung lassen mich eineinhalb Sterne in der Bewertung abziehen.
Dreieinhalb Sterne für "Mord im Tiergarten" und trotz einiger Kritikpunkte eine Empfehlung, mit diesem Buch in die frühen Stunden des nationalistischen und antisemitischen Rassismus neuerer Zeit einzutauchen und die Hintergründe ein wenig besser kennenzulernen.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks