*** Achtung! Spoileralarm ****
Schade, ich bin etwas enttäuscht. Es hatte sich so gut angehört: Labyrinthe, Jahrhunderte alte Rätsel, die immer an die weibliche Seite in der Familie weitergegeben werden. Ein Fluch, falls dem nicht so wäre. Versteckte Schatullen, bestickte Hüllen, sorgfältig in Rätsel gefasste Pergamente, der katholische Mystizismus, das geheimnisvolle Labyrinth von Chartres, Tag- und Nacht-Gleichen, Sonnenstände. Seiten über Seiten von Zeichnungen mit Labyrinthen, auf der Rückseite voller Rätsel
Will entschlüsselt einen Teil des Geheimnisses und erleidet einen Unfall, bei dem der Leser weiß, dass er absichtlich herbeigeführt wurde. Die Spannung steigt. Was immer Will herausgefunden hat, muss wahnsinnig wichtig gewesen sein! Jemand will mit allen Mitteln verhindern, das es an die Öffentlichkeit dringt.
Schwenk zu Lucy, die auf eine Herztransplantation wartet – warum, wird mal so im Nebensatz abgehandelt. Sie verliebt sich in Wills Bruder, ihren Arzt.
Irgendwann, so im Halbsatz im Text, kommt dann mal raus, dass Will an seinem Unfall verstorben ist. Nein, es hat noch nicht einmal ein neues Kapitel angefangen. Plötzlich ist es einfach Wochen später. Sehr verwirrend.
Und dann setzt eine Liebesgeschichte ein, die sich über Monate zieht, hin und her und ein ewiges Auf und Ab der Enttäuschung und des wieder gewonnenen Vertrauen.
Eine mystische Begegnung einer königlichen Barken auf der Themse, die Zeiten treffen aufeinander. Und fort ist sie. (Nein, warum sich die Welten, die Zeiten berühren - es wird nicht aufgeklärt und ist auch nicht weiter wichtig).
Einige Rückblenden zu Dr. John Dee, dem Universalgelehrten und Berater von Königin Elisabeth I., zu Shakespeare. Vage Andeutungen über dessen vergrabene Dokumente, seine in alle Himmelsrichtungen verstreute Bibliothek, Engelssprache und Shakespeare. Und dann kommt nichts mehr.
Ein seelenberührendes Erlebnis beim Durchschreiten des Labyrinths in Chartres.
Und dann wieder: nichts.
Da werden die ewig weitervererbten, offenbar so überaus wichtigen Pergamente gefunden und an dubiose und als gefährlich eingestufte Entrückungsgläubige herausgegeben, weil diese nicht vor Entführung der (todkranken) Lucy zurückschrecken. Aber letztendlich: passiert wieder nichts.
Kontaktpersonen, die Originaldokumente haben sollen, sind nicht am verabredeten Ort, Entführungsspekulationen und dann: ach, nur eine Terminsüberschneidung. Wieder nichts. Spannungsbogen fällt in sich zusammen.
Da werden – man wird nie erfahren von wem – Truhen aus versteckten Wandhöhlungen genommen, aber wieder zurückgelegt werden. Alles sehr geheimnisvoll. Und dann wird nicht aufgeklärt.
Kurz: es wird über weite Strecken in dem Buch eine Menge künstliche Spannung erzeugt, die dann wieder in seichtem Liebesgeflüster versandet und monatelange Zeitspannen überbrücken soll (so viel Tag- und Nacht-Gleichen gibt’ ja im Jahr nicht).
All die tollen Rätsel, die sich jemand mühsam ausgedacht hat - im Anhang des Buches sind all die Blätter mit perforiertem Rand zum Nachpuzzeln eingefügt – allein: sie werden nicht aufgelöst, nicht erklärt. Wer kein Hebräisch kann, sich mit der Kabbala nicht auskennt, die englische Literatur nicht in- und auswendig kennt, Shakespeare nicht im Herzen, im Kopf und dessen Zitate nicht auf der Zunge hat, wird nur verwirrt da durchblättern.
Aber das Beste: das Labyrinth der Zeichnungen, war da was? Die Lösung? Ach: wieder im Nichts versandet.
Alles deutet mehr oder weniger auf eine bestimmte Zahl hin. Und anhand dieser Zahl werden dann die abstrusesten Rückschlüsse gezogen, Daten ermittelt, Orte aufgetan. Es kann so sein. Oder ganz anders. Oder man zieht aus der eigenen kulturellen Erfahrung, die vielleicht nicht englisch, sondern amerikanisch ist, sich nicht an Shakespeare und London orientiert, sondern an Unabhängigkeitskrieg und Boston Teaparty etc., ganz andere Schlüsse.
Nichts desto trotz finden die Bösen natürlich nicht die Lösung, brauchen die Frau mit dem neuen Herzen und ihren Schlüssel, nur um von den Guten, wie sich da gehört!, ausgetrickst und mit den eigenen Waffen der Gier geschlagen zu werden.
Ganz zum Schluss, wenn eigentlich alles aufgeklärt sein sollte, weil der Crash zwischen Böse und Gut überstanden ist, wenn die Welt das in den Jahrhunderte alten Rätseln verborgene Heil erhalten soll, dann ist die eigentliche Lösung für alles am Ende eine völlig universelle. Nichts so Weltbewegendes, dass man jahrhundertelang ein Geheimnis bewahrt und nährt und vererbt. Dass man Gärten anlegt und Dokumente versteckt. Es ist ein nur für jeden einzelnen weltbewegendes Geheimnis, dass nur die eigene Welt verändert, aber nicht mit einem Schlag die Ganze.
Nicht nur die Story war wirr und teilweise nicht aufgelöst. Ich fand die Brüche im Text, die Zeitsprünge teilweise ganz schön anstrengend. Nur einen Absatz weiter, teilweise in der nächsten Zeile, war es ein anderer Ort und Wochen später.
Die Wortwahl war teilweise sehr gestelzt und altmodisch. Die Motive für die Handlungen der einzelnen Personen, und seien es auch nur die Motive für den nächsten Kuss oder einen koketten Augenaufschlag, waren selten stimmig, und meist sehr merkwürdig beschrieben. Dadurch hat man als Leser eigentlich keine Chance, sich ein stimmiges Bild von den handelnden Personen zu machen, wenn sie erst flirten, aber in der nächsten Sekunde, vor lauter Lieber, sich völlig neutral verhalten.
Den zweiten Stern, weil das Buch zum Ende hin spannender wurde – Entführungen und ausgetrickste Bösewichte – ja, sehr schön. Aber irgendwie kommt alles nicht auf den Punkt, ist die Lösung so profan und so un-weltbewegend, dass man sich gar nicht erklären kann, warum Dr. John Dee seine Tochter damit beauftragt hat, ihre Töchter und Enkel in das „große Geheimnis“ zu verstricken.