Rezension zu "Der Tag, an dem ich meine Stimme fand" von Tito R. Mukhopadhyay
Wenn man die Geschichte "Die Stimme der Stille" in diesem schmalen Büchlein liest, dann will man nicht glauben, dass sie ein achtjähriger Junge verfasst hat. Zu reif und zu klar sind die Beschreibungen seiner Welt und seiner Sicht auf das Universum der scheinbar Normalen. Titos Geschichte ist eine Art nachträglich geschriebenes Tagebuch, das bis in die frühe Kindheit zurückgeht.
Tito kann zu dieser Zeit noch nicht sprechen. Er begreift zunächst nicht, dass die Stimmen, die er hört, etwas mit den Lippenbewegungen der Menschen zu tun haben, die zu ihm sprechen.
Tito kann sich nur unkoordiniert bewegen. Er fühlt sich wie ein Geist in seinem Körper, weil die Muskelansteuerung nicht richtig funktioniert. Auf Veränderungen seiner unmittelbaren Umgebung reagiert er mit Panikattacken, Geschrei und wilden Bewegungen.
Tito wird wie viele Autisten von den bei ihm in der Regel ungefiltert ankommenden Eindrücken in Angst und Schrecken versetzt, wenn sie überhand nehmen. Er kann offene Räume nicht ausstehen. Seine Sinneswahrnehmungen sind voneinander getrennt, wie überhaupt die Koordination verschiedener Körper- und Geistesfunktionen ihm zunächst große Schwierigkeiten bereitet.
Seine Eltern suchen den Rat vieler Ärzte. Es dauert lange, bis endlich einer bemerkt, dass der Junge Autist ist. Eigentlich wäre die Geschichte bereits hier zu Ende, denn das ärztliche Schema besagt Hoffnungslosigkeit. Sie trauen dem Jungen nichts zu.
Doch Tito hat zum Glück eine Mutter, die mit derselben Sturheit ausgerüstet ist wie er selbst. Ohne diese Frau hätten wir nie erfahren, dass der Junge einen Intelligenzquotienten besitzt, von dem die meisten von uns nur träumen können. Es waren nicht die stets allwissenden Ärzte, sondern diese Frau, die der staunenden Wissenschaft zeigte, dass in vielen Autisten vielleicht oft mehr steckt, als sich die Medizin je vorstellen konnte. Ich habe mich schon immer gefragt, wie Leute über etwas Bescheid wissen können, was sie selbst nie von innen gesehen haben.
Von seiner Mutter lernt Tito Lesen. Danach kann er auf Buchstaben zeigen, auf diese Weise Wörter bilden und kommunizieren. Später bringt ihm seine Mutter auch das Schreiben bei. Eigentlich ist das unvorstellbar, wenn man erfährt, wie unkoordiniert Tito gewöhnlich agiert. Wir erfahren erst aus seinem Text, dass seine Mutter dabei fast Unmenschliches geleistet hat, nie aufgab und auch vor drastischen Methoden nicht zurückschreckte. Wahrscheinlich kann so etwas nur eine unglaublich harnäckige Mutter mit viel Liebe für ihr Kind und einem enormen Einfühlungsvermögen in dessen innere Welt.
Fazit.
Für interessierte Nichtautisten bringt dieses Buch Licht in die Innenwelt der scheinbar nicht Normalen. Und vielleicht zeigt es auch, dass sich das Leben nicht an willkürlich gezogene Grenzen hält. Für Eltern autistischer Kinder ist es mit Sicherheit eine Offenbarung und eine Quelle von Hoffnung.