Wer war Wilson Bentley?
von parden
Kurzmeinung: Eine schneeklare Erzählung, die auf einer wahren Begebenheit beruht. Nur das offene Ende hat mich ein wenig enttäuscht...
Rezension
WER WAR WILSON BENTLEY?
Wenn man den Namen Wilson Bentley in die Suchmaschine des Internets eingibt, tauchen gleich Bilder eines freundlichen älteren Herrn auf sowie zahllose Bilder von - Schneekristallen. Es hat ihn wirklich gegeben, diesen Erforscher der filigranen und zerbrechlichen Kunstwerke, die bei niedrigen Temperaturen so zahllos vom Himmel fallen. Diesem Mann, der in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts begann, Schneekristalle unterm Mikroskop zu fotografieren und sich die gesamte dazu erforderliche Technik autodidaktisch anzueignen, hat Titus Müller diese kleine Erzählung gewidmet.
Wilson Bentley begegnet dem Leser in dem Buch erstmals im Alter von 17 Jahren, als sein Vater im Sterben liegt und er gemeinsam mit seinem etwas älteren Bruder Charles den Bauernhof der Familie bewirtschaften muss. Das Melken der Kühe, das Füttern der Hühner, das Mähen von Gras und das Sammeln und Kochen von Ahornsirup füllen Wilsons Tage vollkommen aus. Und doch stiehlt er sich während der langen Winter (oft liegt in Vermont Schnee von November bis weit hinein in den Mai) oftmals davon, um Schneeflocken zu sammeln.
"Glückstrunken hielt er das Brettchen in den fallenden Schnee. Ein Schatzsucher, ein Entdecker und Weltenerkunder war er, frei wie ein Vogel, dem Himmel mehr verwandt als der Erde." (S. 27)
Wegen seiner Leidenschaft für die unerkannten Kunstwerke der Natur wird Wilson häufig von seinem Vater und seinem Bruder gescholten, und die Einwohner des kleinen Ortes Jericho halten ihn für einen Spinner, für einen Tagträumer mit Flausen im Kopf. Doch Wilson hält an seinem Traum fest, und als er Minna, die junge neue Lehrerin im Ort, kennenlernt, gelingt es ihm, auch ihr die Schönheit dessen, was er in den Schneekristallen sieht, zu vermitteln. Sie ermuntert ihn, seinen Traum zu leben und sich selbst treu zu bleiben - nicht ahnend, dass er demnächst auch um sie kämpfen wird, um die Zukunft ihrer Liebe...
Eine angenehm zu lesende Erzählung präsentiert Titus Müller hier, wobei vor allem die Naturschilderungen zu überzeugen wissen. Die Liebesgeschichte ist eine zarte Dreingabe, das Ende bleibt jedoch vage und offen, was mich ein wenig gestört hat. Ansonsten wirkt sich der Zauber der faszinierenden Gebilde der Schneekristalle auch auf den Leser aus, unterstützt durch die wunderschöne Gestaltung des Büchleins: das Cover aus dunkelblauem Samt, geprägt mit silbernen Buchstaben und Schneekristallen. Letztere wiederholen sich zahllos auch im Innern des Buches und verleihen der Erzählung eine liebevoll-künstlerische Note.
Eine interessante Erzählung nach einer wahren Begebenheit, die verdeutlicht, dass es sich lohnt, für seine Träume zu kämpfen...
© Parden