Anthologien sind etwas, dem viele zwiespältig gegenüberstehen. Einerseits schreiben Verlage sie immer wieder aus, andererseits ist der Absatz nicht der beste. Leser sehen sich dementsprechend oft einer Vielzahl von Autoren gegenüber, die sie nicht kennen und von denen sie nicht wissen, ob deren Stil oder auch nur die Idee ihnen gefällt. Dementsprechend lassen viele ihre Finger von Anthologien, es sei denn, einer (oder auch mehrere) ihrer Lieblingsautoren hat darin einen Platz gefunden. Dann kann es aber auch passieren, dass diese Leser eben nur diese eine (oder zwei oder drei) Geschichten liest, den Rest dann unter den Tisch fallen lässt. Für Verlage wiederum zeigt sich an der Vielzahl der Einsendungen vielleicht das eine oder andere Talent, mit dem man doch länger zusammen arbeiten möchte. Wie gesagt, ein Zwiespalt.
Bei den Horror-Legionen rief Christian Sidjani zum zweiten Mal die Horror-Elite, oder aber die, die es werden wollen, zusammen zu einem neuen Band. An dieser Stelle eine Frage der Rezensentin, denn die erste Zusammenkunft scheint komplett vom Buchmarkt verschwunden oder aber ist nur erhältlich gegen Überschreibung aller Besitztümer. Falls also noch jemand ein vergammeltes Exemplar herumliegen hat und dessen überdrüssig ist, hier ist der richtige Platz :).
Was aber versteht der Herausgeber unter den Legionen? Geht es um Krieg, Kampf und Horror - wobei ersteres eindeutig allein gesehen schon Horror ist? Mitnichten. Die vorgestellten Geschichten in diesem Band sind so weit gefächert wie das Horror-Genre selbst, vom "sanften" Grusel bis zum kalten Schrecken ist alles vertreten.
Doch sehen wir uns das ganze einmal im Detail an:
Tobias Bachmann und Markus K. Korb beziehen gemeinsam ein Zimmer in Venedig mit phantastischem Ausblick aber einem kleinen Haken dran. Ein schöner klassischer Horror von zwei versierten Autoren. Das Gespann überraschte mich kurzfristig, aber die Herren haben eine perfekte Symmetrie gefunden und ihre doch recht unterschiedlichen Stile hervorragend vereint.
Daniela Herbst stellt uns Noras Baby vor, und selbiger Wonneproppen kommt nicht nur mit einem Ballast an Vorgeschichte, sondern auch mit ordentlich Gore daher. Handwerklich top, guter Ekelfaktor. Man wünscht dem Neugeborenen nach der Geburt alles Gute für die Zukunft.
Michael Schmidt macht den geneigten Leser mit Max bekannt. Schönes Setting, die Handlung bleibt schlüssig.
Marla Wintar berichtet vom Lächeln meiner Schwester. Solider Horror und für mich die erste sehr gute Überraschung des Bandes. Der Twist am Ende war hervorragend erdacht!
Vincent Voss berichtet über K9K. Was, Sie wissen nicht, was das ist? Na, dann sollten Sie diese Geschichte lesen. Sehr amüsant, wie um Strafen gefeilscht werden kann!
Fred Ink dagegen zieht es in die Zukunft und nach Omega Tau 3. Ich mag experimentelle Geschichten wie diese, in denen der Leser mitdenken muss. Eine weitere sehr positive Überraschung.
Tony Lucifer lehnt locker an einen Klassiker an mit Das Ding aus einer ganz anderen Welt, zumindest was den Titel betrifft. Eine interessante Idee, die da bis ins Detail beschrieben wird. Interessant vor allem, wie viel Zeit das Ding sich für die Frau nimmt, der Mann dagegen hat nicht so sehr zu leiden.
Rona Walter erzählt vom Highwayman und ich musste anfangs schmunzeln, hatte ich doch bei der Eingangsszene die ganze Zeit ein gewisses Lied im Kopf. Aber es blieb beim Anfang, der Rest war sehr eigenständig und sehr gut geschrieben. Eine kleine Entführung ins 19. Jahrhundert, die diesem Band sehr viel Charme verlieh. Ein weiteres Highlight.
Oliver Susami berichtet von Tyrannosaurus Rex, der eine Freundschaft zu seinem jungen Protag Tim sucht. Erinnerte etwas an eine Geschichte von Stephen King, fand aber einen eigenen Weg. Und Tim wuchs mir im Verlauf der Geschichte wirklich ans Herz, der kleine Held. Schon allein für diese hervorragende Charakterzeichnung des Jungen lohnt es sich, diese Geschichte zu lesen. Und noch ein Highlight!
C. Auguste erzählt die Geschichte vom Soldat und sein Henker, wieder eine lockere Anlehnung an einen anderen bekannten Titel. Handwerklich gut geschrieben mit klaren Charakteren.
Xander Morus lässt uns teilhaben am Projekt März und fesselte mich vollkommen mit dieser Geschichte. Ja, das Gewicht der Seele, diese Zahl hat mich schon lange beschäftigt. Die Art, wie der Autor herangeht an diese Geschichte ist sehr gut. Ich erwähnte, dass sie für mich ein Highlight war?
André Wegmanns Albino Devil geht den Weg der guten alten Urban Legend, nur eben in Rumänien. Und nein, wir sprechen hier weder über Dracula noch Werwölfe. In den Wäldern gibt es noch eine Menge mehr zu entdecken.
Melisa Schwermer zeigt uns Das glitzernde Ding und zeigt es uns ebenfalls durch die Augen eines Kindes. Gut geschrieben mit einem gewissen Gore-Faktor. Und die Autorin führte mich tatsächlich erst auf eine falsche Fährte.
Arthur Gordon Wolf lässt seine Quids auf Down Under los. Ehrlich gesagt dachte ich, die Story hat gewisse Längen, die ein wenig Schere hätten vertragen können. Dennoch eine solide Horror-Geschichte mit einem gewissen SciFi-Einschlag.
Sönke Hansen sucht meine neue Heimat im Norden auf, wo wir der Baba Jaga begegnen, und sie kommt ganz ohne ihr Haus auf Hühnerfüßen. Wirklich gruselig und ebenfalls mit einem gewissen Gore-Faktor. Ich frage mich seit der Lektüre, was ich mir eher wünsche: Dass die Nachbarn den Schrei hörten oder besser doch nicht ...
Michael Dissieux führt den Leser in Das verlassene Dorf und zeitgleich auch auf eine Zeitreise, da diese Geschichte definitiv nicht in der Gegenwart spielt. Ein wirklich gruseliges Setting und der Hinweis, dass nicht alles dämonisch ist, was heute so leichtfertig als solches bezeichnet wird, bekommt allein von mir ein kleines Sternchen. Highlight? Sicherlich!
Isabell Schmitt-Egner berichtet über das Zirkuskind und die Torturen eines Pfarrers. Das Ende war überraschend.
Malte S. Sembten schließlich bildet den Abschluss der Anthologie mit Gott der Tränen. Ich glaube, das Bild der Schmetterlinge wird mir für eine Weile erhalten bleiben. Hier ebenfalls hervorragende Ideen und Recherche, wie man es vom ihm gewohnt ist.
Was bleibt zu sagen? Ganz einfach: selbst lesen und sich ordentlich gruseln. Diese Anthologie ist es wert, nicht nur verstaubt irgendwo in einem Bücherregal zu stehen. Hervorragend zusammengetragene Geschichten, wobei das Lesen der Autoreninfos teils ebenso unterhaltend war wie die Geschichten selbst.