„So spüre ich doch im Lesen das Heilsame“ – Margret Boveri an Ernst Jünger
Sie verkehren auf dem Olymp ihrer Epoche und sind sich dessen
pausenlos bewusst. Erstaunlicherweise wird das für den Leser nicht zur
Anstrengung. Erstaunlicherweise ist Margret Boveri die ansprechendere
Gesprächsteilnehmerin. Sie wirbt um Jünger und tritt in ihren Briefen
auf. Jünger lässt sie immer wieder abfahren, er fasst sich kurz. Er
enttäuscht die Freundin, wenn er in Berlin zu tun hat, einen Besuch der
Boveri aber vermeidet. Boveri bringt ihre Kränkbarkeit zum Ausdruck und
so ihren Rang, der es an sich nicht zulässt, ausgelassen zu werden. Sie
berichtet von Krankheiten, Jünger diagnostiziert von oben herab „Maladie
de relais.“ Das sind Krankheiten, „durch die uns ein neuer Vorspann
gegeben wird“.
Für Jünger geht es immer um die Gattung und den Erdkreis im Sternenfeuer, das ist
sein Fieber. Er schreibt: „Die Leute ziehen eine Größe aus ihrer Zeit
und deren Eros wie einen Fisch aus dem Wasser und freuen sich darüber,
daß sie zu stinken beginnt.“ So kritisiert er Augsteins Buch über
Friedrich II. Vielleicht kann man einwenden, dass Preußen auf vielen
Wegen von der nationalsozialistischen Landnahme befreit wurde.
Boveri
plaudert über die Todesumstände von Walter Frank: „Ich glaube fast, daß
die Frau von Frank ihm auf einer Parkbank den Gnadenschuß geben musste …
Ich fand es übrigens immer sehr merkwürdig, daß unsere Generäle des
Widerstands … sich unfähig zeigten, sich selbst zu erschießen.“
Die
Autorin liest die Memoiren von Leonard Woolf. Sie charakterisiert den
Mann: „Der letzte Liberale, rationale Weltoffenheit mit Scheuklappen.“
Sie reiht perlende Befunde auf eine Kette ihrer Huldigungen, sie will
gefallen und bestechen, während Jünger eher einlenkt und Erlesenes
lediglich zur Freude der Freundin beisteuert. Von ihrem Geburtstag
erfährt er aus der Zeitung, es beschämt ihn nicht, Boveri gegenüber
vergesslich und nachlässig zu sein. Sein Vorsprung spricht sich aus,
Jünger hat seiner Beobachtungsgabe Unglaubliches nachgesagt: „Zuweilen,
beim Ansehen eines Menschen, den ich schätze, wende ich die Augen ab –
in dem Gefühl, daß ich ihn durchschieße“. In ihren Besprechungen erklärt
Boveri Jünger mehrfach zum Chef-Vertrauten des Unbewußten. Er taugt ihr
als ein Mann des Jahrhunderts, sie zählt sich zu seinen
Verteidigerinnen in erster Linie. Die Feuilletonistin schätzt den
privilegierten Zugang zu einem Schriftsteller, den sie in ihren Artikeln
der schnöden Gegenwart entgegen stellt. Jünger versteht, wie er
eingesetzt wird, er schlägt manchen Haken, um das Feuilleton an seinen
Fersen aus dem Tritt zu bringen. Manchmal kommt er Boveri mit
verborgener Grobheit, als erwehre er sich einer unvermeidlichen
Verehrerin. Boveri teilt selbst aus und verweigert Liebesdienste. Jünger
darf sich nicht darauf verlassen, dass sie ihn in jeder Besprechung
glänzen lässt. Verweigerte Besprechungen laufen schon auf eine
Auslieferung ans feindliche Lager hinaus. Jünger hält sich für
hellsichtig: „Hinsichtlich der Wahrnehmung der historischen Realität bin
ich vorgeschaltet … das heißt, ich nehme sie … vor ihrem Erscheinen
wahr.“
Trotzdem greift Jünger nicht ins Rad. Der Fatalismus der
Geschichte behält ihn für sich, Jünger sucht die Freiheit in den
Katastrophen seines Jahrhunderts. Im Vergleich bleibt Boveri eine
ehrgeizige Aufsatzschreiberin, die wohl versteht, was in ihrem Fall
nicht in Frage kommt.